Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen
und als die Soldaten ihren Herrn begrüßten und den beiden gefangenen Frauen abschätzende Blicke zuwarfen, war von ihrem Bruder nichts zu sehen.
»Hol Keta«, murmelte Tamait, während er aus einem Gebüsch heraus die Soldaten beobachtete. Sie hatten das kleine Haus, in dem er mit seiner Schwester und der Prinzessin gewohnt hatte, umstellt, während die Frauen sich drinnen aufhielten. Zwölf Soldaten. Er musste sie nicht zählen; er hatte sich um ihre Pferde gekümmert. Wenn es nur Erion gewesen wäre, hätte Tamait nicht gezögert. Er war sich sicher, dass er es mit diesem miesen Kerl aufnehmen konnte; Erion war kein begnadeter Fechter, das hatte Tamait selbst bei der Schlacht von Neiara miterlebt. Tamait dagegen war bei seiner Mutter in die Lehre gegangen, bei Alika, einer salinischen Amazone, einer der besten. Doch ein Dutzend Soldaten anzugreifen, war sinnlos. Für Keta wäre das kein Problem gewesen, aber der Riesenprinz war nicht hier; er konnte am anderen Ende des Kaiserreichs sein. Ihn zu suchen, half Maja und Manina kein bisschen. Es würde, selbst wenn der junge Mann rasch auf die bunten Wagen traf und Minos Aufenthaltsort erfuhr – und dass Mino wiederum wusste, wo Keta sich aufhielt, daran bestand kein Zweifel –, viel zu lange dauern. Kaisergänger hin oder her, Tamait glaubte nicht, dass die Ziehenden viel darauf gaben, wenn es um einen der Ihren ging. Ein paar starke Brüder aus der Sippe wären eine willkommene Unterstützung, aber bis er ein paar Helfer zusammengetrommelt hatte, waren die Gefangenen längst fort.
Hol Keta. Na wunderbar, Maja, dachte Tamait grimmig, während er beobachtete, wie seine Schwester und die Prinzessin aus dem Haus kamen, begleitet von zwei weiteren Soldaten und diesem aufgeblasenen Erion. Sie setzten die Mädchen zusammen auf ein Pferd. Manina sah aus, als würde sie überhaupt nicht begreifen, was vor sich ging, wie eine Schlafwandlerin starrte sie ins Nichts. Maja dagegen schimpfte wütend auf Erion, so laut, dass er sie mühelos verstehen konnte.
»Nach Kirifas!«, rief sie ein ums andere Mal aus. »Was um alles in der Welt soll ich da? Wenn Ihr alle Leute, die je gegen Euch gekämpft haben, einsammelt und nach Kirifas bringt, können wir ein wunderbares Wiedersehensfest dort feiern. Ist das wirklich Zukatas Wunsch, oder nehmt Ihr mich nur mit, weil es Euch gerade so passt?«
Kirifas. Was hatte sie sich gedacht – dass Tamait nun, da er wusste, wohin die Reise ging, darauf verzichten würde, ihnen zu folgen, und stattdessen irgendwie Keta herbeischaffte? Dass er hier warten sollte, bis Mino, Jamai und Kroa auftauchten, so wie sie es regelmäßig taten, und mit ihnen gemeinsam einen Befreiungsversuch unternehmen? Das klang vielleicht sogar vernünftig. Warte auf Verstärkung. Ihr werdet uns einholen, irgendwie, und bevor wir in Kirifas ankommen, schlagt ihr zu. Nur, Tamait schüttelte besorgt den Kopf, gab es keinerlei Garantie, dass Maja und Manina auf diesem langen Weg nichts geschah. Er konnte nicht so lange warten.
Sobald die Reiter verschwunden waren, schlüpfte er zwischen den Bäumen hindurch zum Haus. Sie hatten die Tür angelehnt gelassen. Seine Schritte knarrten über die Holzdielen, während er seinen Blick durch die kleine Stube wandern ließ, in der er und die beiden Mädchen miteinander gelebt, gekocht und gelacht hatten. Die Hütte besaß nur diesen einen Raum, doch daran waren die Geschwister gewöhnt, nachdem sie einige Jahre bei den Ziehenden gelebt hatten, bei denen es auch nur einen Wagen pro Familie gab. Sich ausbreiten konnte man draußen, im Wald – das war das Zimmer, das jedem gehörte, der es in Anspruch nahm, der sich wie ein König fühlen wollte in einem unermesslich großen Palast. Für ihre Zwecke hatte es gereicht, nur für Manina war es natürlich gewöhnungsbedürftig gewesen, dass ihr so wenig Platz zur Verfügung stand. Hier auf der Bank hatte er geschlafen; die Freundinnen hatten das Bett hinter dem Vorhang benutzt. Damit es kein Gerede gab, hatten sie Manina als seine Frau ausgegeben. Tamait hätte nichts dagegen gehabt, wenn es wirklich so gewesen wäre. Die Prinzessin rührte etwas in ihm an, eine Art Beschützerinstinkt. Bei Maja hatte er selten das Gefühl gehabt, sie verteidigen zu müssen. Gemeinsam hatten sie gekämpft, und wenn sie sich in die Gefahr stürzte – so hatte er es empfunden, als sie darauf bestanden hatte, mit Sorayn fortzugehen –, konnte und durfte er ihr nicht helfen.
Tamait seufzte, während er sich nach den Dingen umsah, die er mitnehmen wollte, und gleichzeitig ein Auge darauf hatte, was fehlte, was Maja dabei hatte. Vielleicht war es ihr gelungen, ein Küchenmesser einzupacken? Doch nein, die Messer staken noch alle im Holzblock. Vielleicht … Er trat auf den Vorhang zu und streckte die Hand aus, um ihn beiseite zu ziehen. Im selben Moment sprang ihm ein Angreifer entgegen und zielte mit dem Schwert nach seiner Brust.
Um ein Haar hätte es ihn erwischt. Er warf sich zurück, krachte gegen einen Holzschemel und stürzte. Der Soldat – jetzt sah er, dass es einer von Erions Leuten war – holte erneut aus. Er machte nicht viele Umstände, offensichtlich war er nur hier, um zu töten. Tamait rollte sich zur Seite, ergriff mit jeder Hand eins der abgebrochenen Beine des Hockers und sprang auf. Die Waffe traf auf das massive Holzstück; es wurde ihm aus der Hand geschlagen und fiel krachend gegen Töpfe und Pfannen. Tamait parierte den nächsten Schlag mit dem zweiten Stuhlbein, machte einen Satz rückwärts und griff sich eine schwere Eisenpfanne. Der Soldat, bisher mit schweigendem, unbeweglichem Gesicht, lachte auf. »Was soll das denn werden?«
Ein Krieger kann mit allem kämpfen, was zur Hand ist. Er erinnerte sich an diesen Satz aus dem Mund seiner Mutter, während sie einen Krieg mit Spaten und Hacken geplant hatte, bevor die Schwerter gekommen waren, die schönen, scharfen Schwerter, die Mino irgendwie organisiert hatte. Tamait würde diese Weisheit seinem Gegner schon beibringen. Der hatte sich den Falschen für seinen Mordversuch ausgesucht. Einen Krieger. Stollos Stallburschen und Rausschmeißer, doch diese Zeiten waren ab heute vorbei.
Die Bratpfanne diente ihm hervorragend als Schild, mit dem er jeden Hieb abwehrte. Tamait war sich jedoch darüber im Klaren, dass ihm noch etwas Besseres einfallen musste. Jemanden mit Küchenutensilien zu töten, war sicherlich möglich, aber der Soldat war stark; so schnell würde er sich nicht überwältigen lassen. Der junge Mann schleuderte ihm das Kochgeschirr an den Kopf, sprang noch einmal zur Feuerstelle zurück und griff sich die Eisenkette vom Haken, an der man sonst die Töpfe aufhängte. Er wickelte sie sich ums Handgelenk. Sein Gegner, nicht mehr ganz so stürmisch wie zu Beginn, beobachtete ihn misstrauisch. »Und das? Was wird das?«
Breitbeinig stand Tamait da, gut im Gleichgewicht, bereit zum Tanz. »Hat Erion dir nicht gesagt, wer ich bin?«, fragte er.
»Zukatas Feind«, antwortete der Soldat. »Das genügt.«
»Vielleicht hätte er dir etwas mehr über mich erzählen sollen«, sagte Tamait. »Hat er zum Beispiel erwähnt, dass ich Fischer bin? Und ich hatte schon ganz andere Fische an der Angel als dich.«
»Fischer?« Der Soldat blieb unbeeindruckt. »Dann werde ich jetzt dafür sorgen, dass …« Er wollte auf Tamait losstürmen, doch dieser flog mit einem Salto rückwärts durch die Tür, etwas, das er bei den Zintas gelernt hatte. Muschelsammler, Schwertkämpfer, Akrobat – der Arimer war schon immer ein sehr gelehriger Schüler gewesen.
Der Möchtegern-Mörder folgte ihm eilig nach draußen, um zu verhindern, dass sein Opfer in den Wald entkam. Genau dies hatte Tamait beabsichtigt. In der engen Hütte konnte er die Kette nicht so als Waffe benutzen, wie ihm vorschwebte, doch hier war genug Platz, um sie über sich kreisen zu lassen, und kaum war der Soldat bis auf wenige Schritte an ihn herangekommen, wickelte sich die Eisenkette pfeifend um seinen Arm. Mit einem Ruck riss der junge Mann ihn zu Boden, wich dem Schwert aus und vollführte eine weitere Drehung, schon fast tänzerisch. Es gab ein hässliches Geräusch, als der Knochen brach. Der Angreifer schrie qualvoll auf.
Tamait trat auf das Schwert.
»Woher«, fragte er, »wusste Erion, wo wir sind? Er hat uns nicht zufällig gefunden, hab ich recht?«
Es brauchte nur eine winzige Bewegung, um dem Soldaten unerträgliche Schmerzen zuzufügen. Die sonst so freundlichen Augen des Arimers funkelten hart und mitleidslos.
»Zukata ließ überall suchen, nach … nach dem Mädchen … Gasthaus am Weg … oh verdammt!«
»Was hat er mit ihr vor?«, wollte Tamait wissen.
»Kirifas«, stöhnte der Verletzte.
»Er soll sie wirklich nach Kirifas bringen? Zukatas Schwester? Das bezweifle ich irgendwie … Und Maja? Warum hat