Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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schnappte nach Luft. Sie setzte schon zu einer heftigen Antwort an, doch Kroa drückte ihre Hand.

      »Unsere Brüder und Schwestern kommen nach«, sagte er. »Wir sind bloß die Ersten, wie schon gesagt. Und nur zu dritt. Ihr solltet die anderen fragen, wenn sie hier eintreffen. Mit Sicherheit meint dieses neue Gesetz des edlen Fürsten Ezir, dass die Gebühr von einer ganzen Sippe einzuziehen ist, auch wenn sie grüppchenweise daherkommt.«

      »Mit Sicherheit werdet ihr nicht jeden einzelnen Wagen als ganze Sippe behandeln«, fügte Mino hinzu, der es jedoch nach wie vor schwer fiel, ruhig zu bleiben. An ihrer anderen Seite hörte sie Jamai mit mühsam unterdrückter Wut atmen.

      »He, du!«, rief ein zweiter Posten, der sie gründlich gemustert hatte. »Ist das etwa ein Bogen?« Er zeigte auf Jamai. »Ist dir nicht bekannt, dass es bei Todesstrafe verboten ist, in den Wäldern des Fürsten zu wildern? Her damit!«

      »Zeigt uns, was ihr an Geld dabei habt«, befahl der erste Soldat. »Dann entscheiden wir, ob wir euren Worten Glauben schenken und es vor dem Fürsten verantworten, euch laufen zu lassen. Na los! Oder willst du«, er richtete das Wort an Mino, »dass wir nachsehen, wo du es versteckt hast?«

      Mino gelang es, das Gesicht nicht zu verziehen, so als wären sie es gewöhnt, ständig ausgeraubt zu werden. Sie zog einen kleinen Lederbeutel hervor und leerte ihn in die ausgestreckten Hände des fürstlichen Wegelagerers aus. Vier kleine Kupfermünzen fielen heraus.

      Der Mann grinste. »Eine«, sagte er, »für diese kleine Missgeburt hier, eine für dich, blasse Frau, und eine für den Halunken an deiner Seite. Die hier kannst du behalten.« Er gab ihr die vierte Münze zurück und nickte seinem Kameraden zu, der Jamai gerade um den Köcher und den Bogen erleichtert hatte. »Nimm ihm auch den Dolch ab. Wer weiß, wem er damit nachts auflauern will. – Und nun macht, dass ihr fortkommt.«

      Sie gingen, wie befohlen. Schweigend. Erst als sie außer Hörweite waren, sagte Kroa: »Wie es aussieht, haben wir noch Glück gehabt. Wenn du ihm an die Gurgel gesprungen wärst, Möwe, säßen wir jetzt alle in einer kleinen Zelle.«

      »Sie wollten uns möglichst schnell loswerden«, sagte Mino. »Damit sie zurück in ihre gemütliche Hütte können. Nur deshalb sind wir noch am Leben.«

      Es schneite jetzt stärker. In Jamais dunklem Haar glitzerten weiße Flocken. »Wir brauchen einen Unterschlupf hier in der Nähe.«

      »Damit du abends zurückkehren kannst, um deinen Bogen zu holen?« Kroa seufzte. »Jamai, lass gut sein. Du kannst dir einen anderen Bogen besorgen.«

      »Ja, und wie? Wovon sollen wir leben, wenn ich nicht jagen kann? Geld haben wir auch keins mehr. Was will dieser Fürst denn – dass die Ziehenden betteln und stehlen müssen, bis die Leute sich lauthals beschweren, und dann nehmen sie den Ziehenden noch mehr weg und machen es ihnen noch schwerer, so dass sie noch mehr betteln und stehlen müssen? Das sind meine Waffen, Kroa. Ich gehe hier nicht ohne sie weg.«

      »Was meinst du, Möwe?«, fragte Kroa. »Legen wir uns mit ihnen an?« Seine Stimme klang hoffnungsvoll, obwohl er eben noch versucht hatte, Jamai sein Vorhaben auszureden. Er wusste, wie es ausgehen würde, auch wenn er hin und wieder den Vernünftigen spielte.

      Mino warf einen Blick in Jamais finsteres Gesicht. »Ohne Waffen und ohne Geld kommen wir nicht weit. Da gebe ich dir recht.« Sie zögerte. »Wir sollten uns über etwas im Klaren sein. Dieser Ezir ist einer von Zukatas Räubern. Er hat dem ganzen Verbrecherpack Fürstentümer und Throne gegeben. Während wir unterwegs waren, hat sich einiges verändert. Sie werden an jeder Landesgrenze Zoll verlangen. Es wird wahrscheinlich schwieriger werden, Maja zu erreichen, als wir dachten.«

      »Das alte Gesetz«, flüsterte Jamai. »Dieser Tyrann hat alles, was Kanuna El Schattik für die Ziehenden getan hat, wieder aufgehoben. Wir haben keine Rechte mehr. Sie werden uns bluten lassen, bis wir vernichtet sind.«

      »Zukata weiß, dass unser Volk gegen ihn ist. Er weiß, dass er mit jedem Schlag gegen die Zintas auch Keta trifft.«

      Kroa winkte sie unter das dichte, verflochtene Gezweig eines großes Baumes, unter dem kein Schnee lag. Hier waren sie einigermaßen geschützt. Sie schüttelten den Schnee aus ihren Kleidern und setzten sich. Noch hatten sie Reste von der letzten Jagd in ihrem Beutel, ein paar trockene Kuchen vervollständigten die Mahlzeit. Schweigend aßen sie, in düstere Gedanken vertieft.

      Die Dunkelheit kam früh. Um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hatten sie kein Feuer gemacht – sie waren zu nah am Dorf. Die lauten Stimmen der Soldaten drangen bis zu ihnen durch den stillen Wald.

      »Da feiern sie«, knurrte Kroa.

      »Ich gehe jetzt«, kündigte Jamai an, aber der Zwerg hielt ihn zurück.

      »Noch nicht. Warte, bis sie schlafen. Und außerdem bin ich dran.«

      »Womit bist du dran?«

      »Mit einer Heldentat. Ich bin an der Reihe. Ich hole deine Waffen zurück.«

      »Nein, Kroa, das ist doch …«

      »Bin ich etwa zu alt?«, unterbrach Kroa ihn. »Bin ich zu klein? Wolltest du das sagen? Bin ich etwa nicht in der Lage, es mit dieser Handvoll Soldaten aufzunehmen?«

      »Es sind meine Waffen und ich gehe selbst.«

      »So ist er!«, rief Kroa aus. »So ist er immer, Möwe! Immer muss er alles alleine machen! Denkt er jemals an andere, he? Tut er das? An seine besten Freunde?«

      »Ach, seid doch still, beide«, zischte Mino. An anderen Tagen fand sie die ständigen Dispute der beiden erheiternd, heute jedoch ärgerte sie sich nur darüber. »Es ist sowieso noch zu früh. Wenn wir in der Nacht fliehen, sollten wir jetzt ein wenig schlafen. Also seid einfach still. Und später gehen wir alle zusammen.«

      In dem Unterschlupf, eng aneinandergekuschelt unter ihren drei Decken, die zusammen eine wärmende dicke Schicht ergaben, war es fast behaglich. Trotzdem wäre ein Feuer schön gewesen. Oder eine Unterkunft in einem richtigen Haus. Bevor sie einschlief, wanderten Minos Gedanken zu dem Haus auf Arima, in dem sie fast ihr ganzes Leben verbracht hatte, das Haus ihrer Kindheit und ihrer unglücklichen Ehe. Nein, dort hatte das Glück nicht gewohnt. Es war hier unter diesem Baum, hier bei Jamai und Kroa …

      Kroa schlüpfte unter den Decken hervor. Er hatte darauf bestanden, die erste Wache zu übernehmen, damit er seinen Plan ausführen konnte, bevor ihm Jamai zuvor kam. Seinem Freund war ohne weiteres zuzutrauen, dass er alleine aufbrach, um sich unnötig in Gefahr zu begeben. Vielleicht hatte sogar Möwe vor, heimlich die Waffen und das Geld zurückzustehlen. Hielten ihn die beiden für alt? Er lächelte grimmig in sich hinein, während er die Decke sorgsam wieder zurechtstopfte. Möwe und Jamai schliefen Rücken an Rücken, so wie sie es immer taten, wenn die Kälte sie dazu zwang. Innerlich schüttelte er den Kopf über diese beiden. Ob sie ihn wohl vermissen würden, wenn er nicht wiederkam, wenn irgendetwas schiefging? Sie gehörten so sehr zusammen … aber das war nicht seine Sache. Kroa duckte sich unter den Zweigen hindurch. Schnee rieselte ihm in den Kragen, als er trotz aller Vorsicht an einen Ast stieß. Aus den Wolken kam glücklicherweise im Moment nichts nach. Die Nacht lag sternenklar über ihm. In den nächsten Tagen würde es noch kälter werden. Bis dahin mussten sie alle möglichen Verfolger abgeschüttelt haben; sie brauchten unbedingt ein Feuer, wenn es ihnen nicht gelang, einen Unterschlupf in einer Scheune oder einer alten Hütte zu finden.

      Während er sich dem Wachhaus näherte, verabschiedete er alle Sorgen und Überlegungen, die die Zukunft betrafen. Jetzt zählte nur noch sein Vorhaben. Ein Kribbeln in Armen und Beinen erfüllte ihn mit Vorfreude und Angst zugleich, sein Herz begann schneller zu schlagen. Das war immer so, bei jedem waghalsigen Abenteuer, bei jedem Auftritt, ganz gleich, wie lange man dafür geprobt hatte.

      Licht fiel durch die Fenster und malte helle Rechtecke in den Schnee. Es war noch nicht spät genug, andererseits bezweifelte er, dass es eine Stunde gab, zu der wirklich alle schliefen. Ein frierender Soldat wanderte am Schlagbaum auf und ab und rieb sich dabei die Oberarme. Diese Männer kannten ihren Herrn; das war kein fetter, verweichlichter Fürst, der in einem Schloss saß und nichts von dem wusste, was in seinem Land


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