Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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Fragen mehr beantworten konnte.

      Leise fluchend untersuchte Tamait seine Taschen, aber nichts gab darüber Aufschluss, was Erion tatsächlich plante. Er nahm das Schwert an sich, fand das Pferd des Soldaten etwas weiter vom Haus entfernt angebunden und ritt zum Silbernen Krug, wo Stollo und sein Sohn dabei waren, die Gaststube aufzuräumen und das Chaos zu beseitigen, das die unverschämten Besucher hinterlassen hatten.

      »Da bist du ja endlich!«, rief Stollo aus, als er ihn sah. »Komm, pack mit an!«

      »Tut mir leid«, entgegnete Tamait, »aber ich kann nicht, ich muss ihnen nach.«

      Der Wirt nickte, runzelte jedoch besorgt die Stirn. »Er ist Kaisergänger, mein Junge, da kann man nichts machen. Und selbst wenn er sämtliche Frauen und Mädchen des Dorfes mitgenommen hätte, was will man tun? Wenn wir ihm nicht gehorcht hätten, du kannst dir vorstellen, was dann passieren würde. Zukata würde noch mehr Männer schicken, sie könnten das ganze Dorf …«

      »Ich weiß doch. Niemand macht dir Vorwürfe. Und trotzdem muss ich ihnen nach.«

      Geh, sagten Stollos Augen. Verschwinde lieber, bevor jemand merkt, dass ich mit einem rede, der sich gegen Zukata stellt, der sich traut, einen Kaisergänger und seine Männer zu verfolgen, einen, der nicht klein beigibt. Geh bloß, bevor ich dran bin.

      »Zwei Dinge noch. Vor unserer Hütte liegt ein Soldat mit einem gebrochenen Arm, der vielleicht in Kürze aufwacht. Vielleicht solltet ihr mal nach ihm sehen. Und dann werden demnächst drei Reisende hierherkommen und nach uns fragen. Bitte erzähl ihnen alles, was hier vorgefallen ist. Wir sind auf dem Weg nach Kirifas.«

      »Drei Reisende«, wiederholte Stollo. »Tamait, das hier ist ein Gasthaus. Wie soll ich denn da bloß die Richtigen erkennen?«

      »Das ist nicht schwer«, sagte der Arimer. »Einer ist ein Zinta mit brauner Haut. Dann ist eine Frau mit weißem Haar dabei. Und der Dritte ist ein Zwerg.«

       3. Tribut

      » W I RS I N DS P Ä Tdran«, sagte Mino und schnupperte. In der Luft lag bereits der erste Geruch von Schnee, ein frischer, scharfer Duft. Sie liebte es, wenn es schneite, wenn sich die zuckrigen Flocken über ihr weißes Haar und ihre weiße Haut legten, als kämen sie nur ihretwegen. Im Winter zu reisen war für sie immer etwas Besonderes gewesen, und dieser kalte Wind aus dem Norden brachte ihr die Zeit zurück, in der sie mit ihrem Ziehvater Keta unterwegs gewesen war, weil auch er nirgends zur Ruhe kommen konnte. Die Sippen der Zintas versammelten sich in den sonnigen Nadelwäldern des Südens, aber Keta musste weiter und sie mit ihm. Diese Zeit hatte sich so in sie eingebrannt, dass sie nur die Augen zu schließen brauchte und vor sich die langen, pelzigen Ohren ihres geliebten Esels sah. Einige Schritte vor ihr ging der Riese mit den breiten Schultern und den großen Schritten …

      »Gar nicht«, widersprach Kroa, kratzte sich hinter den Ohren und brachte damit seine langen Strähnen durcheinander. Sein Haar war mittlerweile recht schütter, aber indem er es kunstvoll um seine Glatze herumdrapierte, fiel es nicht so sehr auf. Zumindest hoffte er, dass es nicht auffiel, aber da er nicht größer war als ein fünfjähriges Kind und ihm daher die allermeisten Leute auf den Kopf schauen konnten, urteilten sie über seine Bemühungen anders als er. »Wie können wir spät dran sein? Du hast Maja nicht versprochen, dass wir sie besuchen. Also kann sie nicht auf uns warten. Oder uns vorwerfen, wir hätten uns verspätet. Selbst wenn wir erst in zwei Jahren nach Laring kommen, kann sie uns nichts vorwerfen. Siehst du das nicht auch so, Jamai?«

      Der Angesprochene, ein drahtiger Mann mit schwarzem Haar und bräunlicher Haut, schlug Kroa lachend auf die Schulter. »Und wer spricht jeden Tag davon, dass wir Manina ein Geschenk mitbringen müssen? Wer bleibt auf allen Marktplätzen vor wirklich jedem Stand stehen, um ein Geschenk für eine Prinzessin zu finden? Nun?«

      »Genau aus diesem Grund besteht keine Eile«, versetzte der Zwerg würdevoll. »Was nützt es uns, wenn wir müde und abgehetzt bei ihnen anlangen und haben kein Geschenk dabei? Außerdem ist in Laring Spätsommer. Nur die hier oben in Wenz bestehen darauf, früher mit dem Winter anzufangen als alle anderen.«

      Mino runzelte die Stirn, während sie in die tiefhängenden grauen Wolken blickte. »Ich möchte am liebsten zu ihnen fliegen«, sagte sie. »So schnell ich nur kann … Wir haben uns zu lange aufgehalten. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns beeilen müssen … dass wir zu spät kommen könnten.«

      »Zu spät? Was meinst du damit?«, fragte Jamai. »Du warst es doch, die unbedingt noch die Tropfsteinhöhlen von Ruaning sehen wollte.«

      »Ja, ich weiß. Aber auf einmal … Wir wollten im Spätsommer oder Frühherbst wieder im Silbernen Krug sein. Daran hätten wir uns halten sollen. Der Winter wird eher dort sein als wir.« Die ersten Flocken begannen zu fallen, sie rieselten herab wie Regen, klein und schnell, als hätten sie es eilig, auf dem Boden aufzutreffen. »Ich weiß selbst«, fügte sie leise hinzu, »dass ich dachte, ich brauchte diese Reise. So weit wie möglich fort von Kirifas. Ich dachte, wenn es mir nur gelingt, nicht mehr daran zu denken, dass Zukata gewonnen hat, würde es mir besser gehen. Aber jetzt will ich nur noch vorwärts.«

      »Sieht aus, als müssten wir jedenfalls erst einmal anhalten.« Kroas Stimme klang heiter, und doch blitzte in seinen Augen das Misstrauen auf, das ihn immer befiel, wenn sie es mit Uniformierten zu tun bekamen.

      Vor ihnen befand sich eine Straßensperre. Ein paar bewaffnete Männer lungerten an einem Schlagbaum herum. Aus einem kleinen Holzhaus wenige Meter dahinter kam Lärm; anscheinend wimmelte es in diesem kleinen Dorf von Soldaten.

      »Das gefällt mir nicht«, murmelte Jamai. »Aber sie haben uns bereits gesehen. Wenn wir jetzt umkehren, werden sie uns nachsetzen.«

      »Oh, wir können problemlos verschwinden«, versicherte Kroa. »Wenn wir wirklich wollen. Was meinst du, Möwe?«

      »Das ist unsere Straße.« Mino zögerte. Der Schnee wirbelte in immer größer werdenden Flocken zur Erde. »Und ich möchte nicht auf der Flucht sein, wenn ich zu Maja komme. Lasst uns erst einmal herausfinden, was das soll.«

      Sie näherten sich den Wächtern, die so taten, als hätten sie die Ankömmlinge erst jetzt bemerkt. Sie grinsten, richteten sie sich zu voller Größe auf und blickten auf die Wanderer herab, als wären sie alle drei Zwerge.

      »Wohin des Wegs?«, bellte einer.

      »Seit wann müssen Reisende über ihr Ziel Rechenschaft geben?«, fragte Jamai. Es gelang ihm, den Ärger aus seiner Stimme herauszuhalten, doch Mino wusste, dass es bereits in ihm brodelte. Trotzdem hoffte sie, dass es nicht zu einem Streit kam. Ihre Freunde liebten hin und wieder eine handfeste Auseinandersetzung – hatten sie das von ihrem Riesenfreund Keta gelernt? –, aber sie wollte keinen Ärger. Wenn einer von ihnen sich auch nur leicht verletzte, würden sie noch später zu Maja und Manina kommen.

      »Seit sie gefragt werden«, knurrte der Soldat. »Genau seit dann. Also noch einmal: Wohin des Wegs?«

      Nie im Leben würde sie ihr wahres Ziel verraten. Deshalb sagte Mino: »Nach Salien, wenn’s recht ist.«

      Der Mann kniff die Augen zusammen. »Ob das recht ist oder nicht, das entscheiden wir. Wen haben wir da? Du bist ein Zinta, und ihr? Was seid ihr, eine Schaustellertruppe? Wo ist euer Wagen? Wo ist der Rest eurer Sippe?«

      Wir sind allein unterwegs, wollte Mino antworten, aber sie biss sich rechtzeitig auf die Lippen. Dass Unterstützung unerreichbar war, gab man besser nicht zu.

      »Wir sind die Vorhut«, sagte sie. »Um geeignete Marktplätze zu finden.«

      »Der Fürst dieses Landstrichs erhebt den üblichen Zoll von den Ziehenden«, gab der Soldat bekannt und blickte schräg über sie hinweg, als sei es unter seiner Würde, Abschaum wie sie mit seinem Blick zu berühren.

      »Was soll das denn heißen?«, fragte Kroa. »Als wir das letzte Mal hier durchgekommen sind, war davon nicht die Rede.«

      »Seit Ezir Fürst von Kaiser Zukatas Gnaden ist, wird auch in diesem Wenzer Landkreis


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