Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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aufgewachsen war und die sie bis vor kurzem für ihre Eltern gehalten hatte, überwinden konnte. Bis es ihr gelang, die brennenden Gärten von Arima zu vergessen.

      »Es ging ihr hier gut«, entfuhr es ihm. »Du hättest sie niemals von ihrer Familie wegreißen dürfen.«

      »Wirklich?«, fragte Sorayn mit einem leisen Lächeln, und Toris schämte sich sofort dafür, dass er sich wie ein strenger Vater benahm, der seine erwachsene Tochter für immer behüten wollte.

      Der Braune blieb stehen, als die Wagen vor ihnen hielten. »Was ist denn jetzt los?«, fragte Toris. »Warte, du brauchst doch nicht …« Aber Sorayn war schon vom Bock gesprungen und ging an der Kolonne vorbei, um herauszufinden, was passiert war. Darauf zu hoffen, dass vielleicht ein Rad gebrochen war, war nicht nett, aber Sorayn wünschte sich nichts mehr als eine Gelegenheit, den Zintas zu helfen. Ihnen irgendwie zu beweisen, dass er kein Fremder war, der sie mit seinen Fragen belästigte, sondern einer, der zu ihnen gehörte. Falls jemand, der ihnen erst seit einigen Wochen folgte, überhaupt einer der Ihren sein konnte. Aber er machte es ihnen schwer, ihn zu ignorieren. Er drängte sich nicht in ihre Mitte, war jedoch immer in der Nähe, und Toris bekam langsam ein schlechtes Gewissen, ihn außen vor zu lassen, und rief ihn immer öfter zu sich. Dass er ihn jetzt das erste Mal zu sich auf den grünen Wagen gebeten hatte, war ein gutes Zeichen. Irgendwann hatte Sorayn ihn soweit, dass er ihm Majas Versteck verriet. Hartnäckigkeit war eine Eigenschaft, mit der alle Riesen geboren wurden. Toris war sich höchstwahrscheinlich nicht im Klaren darüber, dass er einen solchen vor sich hatte, aber falls er überhaupt irgendetwas von Keta über sie gelernt hatte, würde er irgendwann merken, dass Sorayn alles, was einen Riesen auszeichnete, im Übermaß in sich trug.

      Kein gebrochenes Rad hatte die Zintas zum Anhalten gezwungen. Sondern eine Straßensperre. Die Männer und Frauen aus den vordersten Wagen stritten lauthals mit zwei bis an die Zähne bewaffneten Soldaten.

      »Tribut? Wieso denn das? Kanuna hat uns schon vor Jahrzehnten davon befreit!«

      »Fürst Pidor ist der Herr dieses Landes«, sagte der Soldat, ohne eine Miene zu verziehen. »Und Kaiser Zukata hat selbstverständlich das Recht, die Gesetze des Kaiserreichs nach seinem Belieben zu erlassen. Glaubt es oder nicht, aber der traditionelle Wegezoll wurde wieder eingeführt. Entweder ihr arbeitet eine Jahreszeit lang für unseren Fürsten oder ihr lasst einen von euch hier. Wenn ihr euch nicht entscheiden könnt, wählen wir jemanden aus.«

      »Gibt es ein Problem?«, fragte Sorayn und trat näher. In seinen Fingern juckte es bereits. Hier war endlich die ersehnte Gelegenheit, Majas Familie beizustehen.

      Der Soldat wandte sich ihm zu, doch der nächststehende Zinta zischte: »Halt du dich da raus!«

      Sorayn hatte nicht die Absicht, sich aus irgendetwas herauszuhalten, erst recht nicht aus einem Streit oder einem Kampf. Er hatte nicht gewusst, ob er jemals wieder kämpfen würde, nachdem ihn der Segen im Krieg mit einem solchen Mitleid erfüllt hatte, dass er niemandem etwas zuleide tun konnte. Doch jetzt fühlte er etwas in sich brodeln, das sich sehr vertraut anfühlte. Er hatte gedacht, dass er es nie wieder verspüren würde: das dringende Bedürfnis, jemanden zu Boden zu schlagen. Er konnte kaum an sich halten.

      »Dieser Fürst Pidor verlangt einen aus der Sippe? Als Leibeigenen? Und das mit der Erlaubnis des Kaisers?« Natürlich wusste Sorayn, dass es solche Fälle auch unter seinem Urgroßvater gegeben hatte. Aber dann hatten die Landesherren hoffen müssen, dass ihre Dreistigkeit dem Herrscher in Kirifas nicht zu Ohren kam. Wenn diese Soldaten jetzt mit neuen Gesetzen auftrumpfen konnten, bedeutete das nichts Gutes. Was tat Zukata auf seinem Thron? Hatte Sorayn ihm nicht gesagt, er habe Kanunas Weg fortzuführen?

      Der Soldat musterte ihn abschätzend. »Die Sippe, die vor euch hier durchgekommen ist, hat sich zuerst auch gesträubt. Aber wir haben denen schon beigebracht, wie der Hase läuft. Ihr könnt es so oder so haben, wie ihr es wünscht.«

      »Geh einfach«, sagte einer der Zintas zu Sorayn. »Geh, das hier ist schwer genug für uns.«

      Sorayn rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Er hörte zu, während sie sich berieten. Einige waren dafür, umzukehren und einen anderen Weg zu nehmen; andere, hitzigere Gemüter wollten eine solche Behandlung auf keinen Fall dulden und stimmten dafür, die beiden Soldaten so zu verprügeln, dass ihnen Hören und Sehen verging.

      »Soldaten treten niemals zu zweit auf«, gab ein anderer zu bedenken. »Sie werden Verstärkung rufen, und dann haben wir das Nachsehen.«

      »Eine Jahreszeit«, meinte eine Zinta-Schwester, schon halb am Weinen, »was heißt das? Was sollen wir tun? Wenn wir für diesen Fürsten arbeiten, wovon sollen dann wir leben? Und unsere Kinder?«

      Auch die Zintas aus den hinteren Wagen waren herbeigekommen und erfuhren die schlechten Neuigkeiten.

      »Umkehren ist keine Lösung«, sagte Toris sofort. »Wenn dies ein Gesetz ist, das ganz Deret-Aif betrifft, werden wir an jeder Grenze vor dieser Wahl stehen.«

      Verzweiflung machte sich in den braunen Gesichtern breit. Sorayn beobachtete die Soldaten, die mit verschränkten Armen und breitem Grinsen abwarteten. »Mit denen werde ich fertig«, bot er an. Das Jucken in seinen Händen verstärkte sich zu einem Brennen. Wie hatte Zukata es nur wagen können, Kanunas Werk anzutasten?

      »Was?«, rief Toris. »Du willst mit ihnen kämpfen?«

      »Das können wir selbst.« Stolz warfen sich ein paar junge Männer in die Brust. »Wir brauchen deine Hilfe nicht. Wir werden ihnen zeigen, was es heißt, uns versklaven zu wollen!«

      »Merkt ihr es nicht?«, fragte Sorayn leise. »Wie unruhig eure Pferde geworden sind? Sie wittern ihre Artgenossen. Diese Soldaten sind nicht zu zweit. Ihr könnt nicht sehen, wie viele sich in dem Wäldchen dort verbergen.«

      Die älteren Zintas schüttelten voller Bedenken die Köpfe. »Lange ist es her, dass wir vor einer solchen Entscheidung standen.«

      »Und damals war Remanaine bei uns.«

      »Jetzt bin ich da«, mischte Sorayn sich wieder ein. »Zieht ihr weiter und ich werde mich darum kümmern.«

      »Nein.« Toris’ Stimme klang scharf. »Du allein? Wir sollen fliehen, während du sie zurückhältst? Wenn es nur diese zwei wären, brauchten wir dich nicht dazu, und wenn es ein ganzer Trupp ist, zwanzig oder fünfzig, kannst du uns auch nicht helfen. Sie werden dich töten und uns nachsetzen. Wenn du sie angreifst, werden sie unter uns wüten und keine Rücksicht auf Kinder oder Alte nehmen. Wir werden niemanden opfern. Wenn es nicht anders geht, werden wir die Arbeit verrichten müssen, zu der sie uns zwingen.« Er blickte in der Runde. »Ich wüsste nicht, was wir sonst tun könnten. Das werde ich ihnen jetzt sagen.«

      Sorayn konnte sehr gut mit den jüngeren, heißblütigen Burschen mitfühlen, die sich damit nicht abfinden wollten. Auch er überlegte fieberhaft, wie man diese Demütigung vermeiden konnte. Natürlich musste er zum Kaiser und ihn dazu zwingen, dieses Gesetz wieder zurückzunehmen. Doch bis er in Kirifas angekommen war und mit seinem Großvater gesprochen hatte, bis die Kunde von der neuen Regelung die Landesherren erreicht hatte, würde Majas Sippe in Knechtschaft leben müssen.

      »Nein!«, rief er aus. »Warte, Toris. Gebt ihnen einen der Euren.«

      »Ich habe bereits gesagt, so etwas tun wir nicht.«

      »Biete ihnen einen großen, starken Kerl an. Sie werden unmöglich ablehnen können.«

      »Du?« Toris starrte ihn ungläubig an. »Du willst, dass wir dich alleine hier lassen? Meine Tochter wird mich schlagen, wenn ich so etwas zulasse.«

      Sein Herz machte einen kleinen Sprung. Selbst Toris glaubte also daran, dass Maja ihn immer noch liebte, dass es ihr etwas ausmachte, wenn ihm etwas geschah.

      »Ich gehe mit ihnen«, verkündete er. »Nicht, dass ich vorhätte, besonders lange zu bleiben. Sobald ihr weit genug weg seid, mache ich mich aus dem Staub.«

      »Und du glaubst, das geht so einfach?«

      Er sagte ihnen nicht, was er mit seinen Händen tun konnte. Eisenketten zerreißen und Bäume fällen,


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