Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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würde nicht unter Geleitschutz nach Kirifas gebracht werden. Alles wäre anders gekommen. Nein, Erion lachte nicht über den misslungenen Scherz. Aber seine Mundwinkel hoben sich doch, ein klein wenig – wenn es keine Täuschung war – und da war wieder dieses Gefühl, dass sie einander verstanden, dass da etwas zwischen ihnen war, bereit, zu beginnen, wie ein Keim, den der Gärtner bereits in die Erde gelegt hatte, eine Blumenzwiebel, die den Frost und den Winter nicht fürchten musste, sondern dazu bereit war, bei den ersten wärmeren Sonnenstrahlen bunt und blühend hervorzukommen.

      Manina hielt erschrocken die Luft an.

      Auf der Küchenbank lag ein Toter. Einer der Soldaten. Aus seiner Brust ragte ein gefiederter Pfeil. Maja beugte sich gerade über ihn.

      »Ja, schaut ruhig genau hin«, meinte Erion grimmig.

      »Ein toter Soldat«, sagte Maja. »Nun, Ihr habt Prinzessin Manina entführt. Überrascht es Euch, dass diejenigen, die ein solches Verbrechen begehen, mit dem Leben bezahlen müssen? Ich wundere mich nur, dass Ihr die Leiche hier im Haus aufbahrt. Wolltet Ihr uns damit Angst einjagen? Oder dachtet Ihr, kleine Mädchen wie wir würden in Ohnmacht fallen?«

      »Oh, von Euch habe ich sicherlich nicht erwartet, dass Ihr zusammenbrecht«, sagte Erion. »Zunächst einmal wollte ich sehen, ob Ihr überrascht seid. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ihr wisst genau, dass Euer Bruder dafür verantwortlich ist, Prinzessin. Und Ihr werdet dafür sorgen, dass er damit aufhört.«

      »Zunächst einmal: Nennt mich nicht so!«, fauchte Maja. »Ich bin keine Prinzessin. Meine Mutter wurde zwar zur Königin von Arima gekrönt, aber sie hat diese Krone abgelehnt und dort zurückgelassen. Sie ist keine Königin und ich keine Prinzessin. Ärgert mich nicht mit diesem völlig unnötigen ›Ihr‹ und ›Euch‹ und dem ganzen Kram. Und zum Zweiten: Glaubt Ihr wirklich, ich würde Euch helfen, Eure üblen Pläne auszuführen? Warum sollte ich? Womit wollt Ihr mir drohen, was Ihr nicht sowieso tun werdet?«

      Sie warf Manina einen schnellen Blick zu, wie um ihr mitzuteilen: Sieh genau hin. Hör genau zu. Du wirst sehen, wer er wirklich ist. Verpass es ja nicht.

      Erion schüttelte den Kopf wie über ein ungezogenes Kind, das nicht begreift, was die Erwachsenen reden.

      »Prinzessin Maja«, sagte er und bewies ihr somit, wie wenig er auf ihre Worte und ihre Wünsche gab, »was ich tue und was nicht, liegt ganz allein in meinem Ermessen. Aber auf manche Dinge habt Ihr durchaus Einfluss. Wir werden gleich weiterreiten, und ich rate Euch, meine Anweisungen ganz genau zu befolgen.«

      »Ihr wisst nicht, mit wem Ihr Euch angelegt habt«, flüsterte sie. Mit den Kindern der Amazone. Mit den beiden, die Mino für geeignet hielt, Manina zu beschützen. Und das würden sie tun, sie und Tamait, koste es, was es wolle.

      »Oh doch«, widersprach er. »Das weiß ich.«

      »Wenn Ihr nicht den Rest dieser Reise auf diese Weise zurücklegen wollt, überlegt Euch, wie Ihr unseren unerwünschten Begleiter zurückpfeifen könnt.«

      Maja hätte ihrem Widersacher am liebsten ins Gesicht gespuckt, aber er sah aus sicherer Entfernung zu, während einer der Soldaten ihr die Hände hinter dem Rücken zusammenband. Sie durfte nicht mehr mit Manina auf einem Pferd sitzen. Die Prinzessin hatte eins der nun herrenlosen Tiere bekommen und war ebenfalls gefesselt. Es bereitete Maja eine wilde Genugtuung, dass Erion Tamait so fürchtete, dass er sich um seine Gefangenen ernsthafte Sorgen machte.

      Die Anzahl seiner Männer war auf acht geschrumpft. Immer noch genug, um die Mädchen Tag und Nacht sorgfältig zu bewachen. Aber diese acht waren unruhig und blickten ständig um sich. Von überall her konnte ein tödlicher Pfeil angeflogen kommen. Erion wich an diesem Tag erstmals vom Weg ab, der sie noch lange durch den Wald geführt hätte, und lotste seine Truppe hinaus aufs offene Feld. Maja musste feststellen, dass es gar nicht so einfach war, fest im Sattel zu sitzen, auf diesem unwegsamen Gelände, mit gefesselten Händen, die es einem nicht erlaubten, sich am Sattelknauf festzuhalten und der Bewegung des Pferdes zu folgen. Sie war keine geübte Reiterin. Manina, die halb im Stall aufgewachsen war, hatte es da leichter. Maja sah ihren blonden Zopf vor sich auf und ab hüpfen. Vielleicht genoss sie es ja sogar, trotz der Fesseln, wenn nur ihr ach so geliebter Erion in der Nähe war.

      Bei der ersten Rast sprang Maja alles andere als elegant ab und stürzte rücklings ins Gras.

      »Erlaubt doch, Euch zu helfen«, tadelte ihr aufmerksamer Entführer. Er schickte einen seiner Soldaten zu Manina und verfolgte stirnrunzelnd, wie dieser die goldhaarige Prinzessin vom Pferd hob.

      »Warum tut Ihr es nicht selbst?«, fragte das Zinta-Mädchen. »Fürchtet Ihr Euch vor der Macht, die sie über Euch ausüben könnte?«

      »Niemand hat Macht über mich«, widersprach der Kaisergänger und wandte sich ab, als hätte sie ihn beleidigt.

      Sieh einer an, dachte Maja. Aber als sie und Manina danach beieinander saßen und sich die tauben Handgelenke rieben, während die Soldaten den Platz sicherten, verriet sie ihrer Freundin nicht, worüber sie grübelte. Erion war nicht leicht zu durchschauen; dass es ihn störte, wenn ein anderer Mann die Hände auf die Hüften einer wohlgebauten Frau legte, bedeutete noch gar nichts. Die Arimerin nahm sich jedoch vor, ihn genauer zu beobachten. Sein Anblick erfüllte sie immer noch mit einer solchen Abscheu, dass sie es kaum aushalten konnte. Der Kampf auf Neiara, der Tod ihrer Eltern – all das war mit seiner Person verbunden, und deshalb betrachtete sie lieber die Landschaft und überlegte, wie sie Tamait unterstützen konnte. Doch ihre Augen würden Erion ertragen müssen, wenn sie so vielleicht herausfinden konnte, dass Manina recht hatte – dass dort auf der Lichtung nicht nur ein Herz angerührt worden war.

      Am Abend schlugen sie ihr Lager mitten in den Wiesen auf. Einer der Soldaten wollte Maja vom Pferd helfen, aber es gelang ihr – diesmal etwas geschickter –, selbst auf den Boden zu springen. Hastig drehte sie sich um, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Erion Manina aus dem Sattel hob. Er wandte ihr den Rücken zu, doch sie zweifelte nicht daran, dass seiner Miene keine Gefühle anzumerken waren. So sehr achtete er darauf, immer dasselbe Gesicht zu tragen … Maninas Wangen dagegen röteten sich, und sie lächelte verlegen, als ihr Traumprinz ihre Fesseln löste.

      »Siehst du«, flüsterte die blonde Prinzessin, als sie nebeneinander saßen und zusahen, wie die Soldaten eine Feuerstelle vorbereiteten. Es gab hier kaum Holz, nur trockenes Gras, in dieser weiten, leicht hügeligen Ebene, wo der Herbst das Land bereits duften ließ und die goldenen und roten Ähren und Rispen des Grases wie eine Flaumschicht über dem Boden ausbreitete. Erion stellte gerade fünf seiner acht Soldaten als Wachen auf.

      »Was soll ich sehen?«, fragte Maja grimmig. »Wie freundlich er ist? Wie höflich? Dass er sich nichts herausnimmt, was er sich nicht herausnehmen darf?« Sie rieb sich die schmerzenden Handgelenke. »Oder dass er es nicht erträgt, wenn jemand anders dich berührt? Dass er danach giert, in deiner Nähe zu sein? Soll ich dir versichern, dass er mindestens ebenso schlimm dran ist wie du?«

      »Wie du das alles sagst, klingt das nach einer Beleidigung.« Mit Tränen in den Augen wandte Manina sich ab.

      Das Schweigen, das zwischen ihnen begann, tat weh. Aber das war nicht das Schlimmste. Die Unstimmigkeit zwischen ihr und ihrer besten Freundin konnte sie beide ernsthaft in Gefahr bringen, wenn es darauf ankam. Denn Tamait war da. Irgendwo da draußen in der Dunkelheit, ganz in ihrer Nähe, sie konnte es fühlen …

      Maja ließ sich nichts anmerken. Sie beobachtete, wie das Feuer in Gang gesetzt wurde, wie die Soldaten Wasser aus einem nahe gelegenen Bach holten, wie einer von ihnen sich daran machte, Mehl in einem Topf zu verrühren und einen Brei zu kochen, der zweifellos nicht schmecken würde … Und da, unverhofft wie ein Blitz, der über den Himmel zuckt, sah sie, wie Erion zu Manina herüberschaute. Er kniete neben dem Feuer, um die Glut anzufachen, und warf der blonden Schönheit nur einen kurzen Blick zu, von dem er wohl dachte, er würde unbemerkt bleiben. Aber sein Gesicht verriet alles. Einen flüchtigen Moment lang war er der junge Mann, den Manina auf einer Lichtung entdeckt hatte, der attraktive Prinz, in dessen Augen Sehnsucht und Träume blühten.

      Alles, was sie in so verletzend spöttischem Ton zu ihrer Freundin gesagt hatte, stimmte. Der Pfeil der Liebe


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