Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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der Kerl hier herum? Der ehemalige Amazonenschüler erkannte sofort, was vor ihm im Mondlicht aufblitzte. Ein langer Dolch. Also wussten sie doch, dass er sie belogen hatte, und nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem sie ihn töten wollten. Heimlich und hinterrücks. So waren diese Halunken, aber sein Stil war das nicht. Auch wenn er den Attentäter wahrscheinlich mit einem Überraschungsangriff hätte erledigen können, kam das für ihn nicht in Frage. Dann lieber einen richtigen Kampf, Mann gegen Mann, trotz des ungewissen Ausgangs. Nach seiner langen Gefangenschaft war Blitz aus der Übung, was das Kämpfen anbelangte – das letzte Mal hatte er gegen die Männer gestritten, die seinen Sohn Sorayn umbringen wollten.

      »Was für eine schöne Nacht, Kapitän Wilu.«

      Der Angesprochene fuhr herum und japste erschrocken. Er sog so heftig die Luft ein, dass es sich anhörte, als würde er gleich ersticken.

      »Nein, das ist … es sieht nur so aus, es ist nicht …«

      »Wie sieht es denn aus, wenn jemand mitten in der Nacht zu der Hütte schleicht, in der ich schlafe?«

      Merkwürdigerweise blieb Blitz ganz ruhig. Sein Herz schlug ein klein wenig schneller, aber er hatte keine Angst. »Warum willst du mich töten, Kapitän Wilu?«

      »Oh nein, nein«, beteuerte der Pirat, mit einer Stimme, die in ein leises Winseln überging. »Ich wollte über dir wachen, bevor Suresch … Nein, ich …« Und dann sank er erstaunlicherweise auf die Knie. »Dein treuer Diener. Nur lass mich am Leben, bitte!«

      »Warum sollte ich dich am Leben lassen?«

      »Bitte, ich kann dir noch nützlich sein! Ich kann dafür sorgen, dass Oka in deine Hände fällt und dir niemand in die Quere kommt. Wenn du es wünschst, ist die Krone dein. Ich kann dafür sorgen, dass Suresch … über Suresch musst du dir keine Gedanken machen!«

      »Warum sollte ich mir über Suresch Gedanken machen?«, fragte Blitz, der einfach die Stichworte aufgriff, die ihm geliefert wurden. Er war weit davon entfernt, diese seltsame Situation zu durchschauen.

      »Ich glaube, er hat genau das geplant«, wisperte der Seeräuberkapitän. »Dass ich dich angreife und dafür mit dem Leben bezahle. Hat er dich gewarnt, Herr? Nein, ich weiß, niemand muss dich warnen. Du bist wie der Wind, der durch unsere Köpfe fährt. Aber erlaube mir … Wenn Suresch wollte, dass ich sterbe, dann hofft er darauf, dass du ihm den Thron überlässt. Dass du ihm Wenz gibst. Aber wenn es für dich ist … Ich bin auf deiner Seite, Herr. Ich kämpfe für dich. Ich bin nicht so töricht wie Suresch, glaub mir, solche Spielchen spiele ich nicht mit.«

      Blitz hielt es nicht für nötig, den Mann daran zu erinnern, dass er hier mit einem Dolch stand, um ihn zu ermorden. Sie dachten also, dass Zukata ihn geschickt hatte, um Okas Rebellion zu ersticken, den König zu töten und den Richtigen für den Thron auszuwählen. Natürlich hielt jeder der beiden Piratenkapitäne sich selbst für den Richtigen. Offenbar hatte Suresch gehofft, in dieser Nacht einen seiner Gegenspieler loszuwerden – entweder den angeblichen Kaisergänger Beny oder seinen guten Kumpel Wilu. Spekulierte er wirklich darauf, dass eines Tages ein trinkfester König namens Suresch den widerspenstigen Oka ersetzte?

      Der Gedanke an den König von Wenz war für Blitz mit einer Reihe unguter Erinnerungen verbunden. Oka. Damals ein junger, bärtiger Mann, dem er die Tochter aus den Armen gerissen hatte, ein kleines, verschrecktes Mädchen. In jener Stunde war ein König geboren, der niemals vor Zukata den Kopf beugen würde, der immer gegen ihn kämpfen würde, bis zum letzten Atemzug.

      Möglicherweise war doch nicht der richtige Zeitpunkt, um zu fliehen. Er konnte die Chance nutzen, eine alte Schuld abzutragen. Kein dreckiger Pirat sollte diesen aufrechten Herrscher in die Hände bekommen.

      »Wann wird der König hier eintreffen?«, fragte er.

      »Seine Späher werden unsere Schiffe einlaufen sehen«, gab Wilu zur Antwort. »Wir warten noch auf die anderen, damit wir ihm eine eindrucksvolle Flotte präsentieren können.«

      »Die Löwenbiss

      Der Freibeuter nickte. »Die wird in Kürze hier eintreffen, sie kommt aus Sandart. Wir werden die Flagge von Velas über dem Mast wehen lassen. Oka wird uns genau in die Arme laufen.« Er zögerte. »Was befiehlst du, Herr? Willst du ihn befragen?«

      »Ja, unbedingt.« Der Arimer nutzte die Macht, die ihm hier zufiel, sofort aus. »Dem Rebell soll kein Haar gekrümmt werden, bevor ich nicht mit ihm …«, er machte eine unheilvolle Pause, »… gesprochen habe.«

      »Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.« Der Pirat wagte ein vorsichtiges Grinsen.

      »Ich fürchte, er wird sich über unsere Unterredung nicht halb so sehr freuen, wie ich es mir wünsche«, umschrieb Blitz seine Befürchtung und lächelte voller Bedauern.

      Sein Gegenüber missverstand dieses Lächeln, stolperte von Grauen gepackt rückwärts und hastete fort.

      »Oka wird in ein Schiff steigen und den Gästen entgegenfahren«, erklärte Kapitän Wilu. Nervös streiften seine Augen den unheimlichen Kaisergänger und seinen Rivalen Suresch, aber genauso schnell zog er seinen Blick auch wieder zurück. »Den vermeintlichen Gästen. Und dann kommen wir mit unseren Schiffen und schneiden ihm den Rückweg ab. Wir nehmen ihn in die Zange und entern sein Schiff!« Beifallheischend sah er sich um.

      »Warum sollte König Oka das tun?«, fragte Blitz. »Er könnte die Velaner genauso gut am Ufer erwarten.«

      »Könnte er wohl, wird er aber nicht. In seiner Antwort bat ihn der König von Velas, an Bord zu kommen und dort die Verträge zu besiegeln.«

      »Wie konnte er denn antworten, wenn er die Nachricht gar nicht erhalten hat?«

      Wilu grinste selbstgefällig. »Man braucht nur einen Mann, der schreiben kann. Oka hat es geschluckt. Warum sollte er nicht? Seit einigen Wochen schon halten seine Späher Ausschau. Wir mussten so lange warten, wie Velas brauchen würde, um eine Kriegsflotte zusammenzustellen. Außerdem dauerte es eine Weile, alle Piratenschiffe von Deret-Aif hier zu versammeln. Die Stürme werden immer schlimmer. Die Adlerschwinge ist nicht das einzige Schiff, das repariert werden muss, andere sind gar nicht erst angekommen.«

      »Sehr viel Aufwand, um einen einzigen Mann zu töten«, bemerkte Blitz. Ihm entging nicht, wie die beiden sich ansahen.

      »Das ist uns schon klar«, gab der Kapitän der Greifenklaue zu. »Aber Wenz ist kein Königreich, das einfach einzunehmen ist. Im Gebirge gibt es unzählige Höhlen. Dann die vielen Schluchten und Täler und der Schnee …«

      »Ihr wisst also nicht, wo der König sich aufhält. Wie konntet ihr ihm dann die gefälschte Nachricht zustellen?«

      »Wir wussten, wem wir sie überreichen mussten.« Wilu platzte fast vor Stolz über seine Genialität. »Natürlich haben wir versucht, dem Überbringer zu folgen, aber wir haben ihn verloren. Wir sind Piraten, Herr, keine Spione. Wir kämpfen lieber auf dem Meer, als dass wir auf Felsen herumklettern.«

      »Und auf dem Weg zur Küste? Da könnte man ihn überfallen.«

      »Mit dem Risiko, dass er entkommt und wieder in eine seiner Höhlen schlüpft? Er ist von den Bergen heruntergestiegen. Sein Lager ist groß. Wir könnten es angreifen, doch selbst wenn wir ihn überraschen, besteht die Gefahr, dass Oka uns entwischt. Aber wenn er erst auf dem Schiff ist, wohin will er dann fliehen? Auf See haben wir die Oberhand. Wir erledigen nicht nur den König, sondern alle seine Würdenträger, die ihn begleiten.« Er grinste breit und wiederholte: »Wir sind Piraten.«

      Blitz versuchte fieberhaft, eine Schwachstelle in dem perfiden Plan zu entdecken, die es König Oka ermöglichte, Zukatas Gesindel zu entkommen.

      »Ich will mit ihm sprechen, bevor er auf sein Schiff geht.« Er sah erst Wilu und dann Suresch in die Augen, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.

      »Aber wir dachten … auf dem Schiff. Du kannst ihn befragen, wenn wir sein Schiff geentert haben, Herr.«

      »Habt ihr überhaupt eine Ahnung, worum es hier geht?«, fragte Blitz mit gefährlich leiser Stimme.


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