Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen
Kapitän Wilu und Kapitän Suresch natürlich«, verriet Blitz.
»Was willst du für diese Information?«
»Ich bin nicht hier, um etwas zu verkaufen.« Er probierte das Getränk, das durch die Becherwand hindurch seine Hände wärmte. Es war Tee. Heißer, würziger, duftender Tee. Er rann stark und bitter seine Kehle hinunter, unendlich wohltuend. Fast hätte der Arimer hinzugefügt: mit einem Platz am Feuer und dieser Bewirtung habt Ihr mich schon genug bezahlt. Aber da war dieses Lächeln …
»Habt Ihr das etwa schon gewusst?«, fragte er.
»Nein«, entgegnete Oka und lächelte immer noch so rätselhaft, dass einfach mehr dahinterstecken musste als die Freude darüber, knapp dem Tod entkommen zu sein. »Oh nein, das wusste ich nicht.«
»Habt Ihr nicht gehört? Die Hilfe wird nicht kommen. Ihr dürft nicht fahren. Ihr müsst zurück in Eure Berge.«
»Du bist also hier, um mir zu sagen, was ich tun soll?«
Blitz’ Gedanken wirbelten durcheinander wie Wellen, über denen der Sturm aufzog, ein kreiselnder, wütender Wirbelsturm. König Oka rechnete trotzdem mit seinen Verbündeten. Er konnte das gar nicht verbergen. Etwas betroffen hatte er bei der Nachricht dreingeblickt, aber anscheinend nur, um einen kurzen Entschluss zu fassen, der ihm Freude bereitete. Vorfreude – worauf? Auf den Sieg?
»Ihr denkt, sie kommen doch? Aber die Velaner wissen nichts von Eurer Not. Euer Bote wurde abgefangen, die Antwort war eine Fälschung. Oder … Sagt nicht, Ihr habt zwei Boten ausgesandt!«
König Oka schwenkte seinen Tee sacht hin und her und betrachtete nachdenklich die spiegelnde Flüssigkeit. »Klüger wäre es gewesen, du hättest das, was du denkst, nicht ausgesprochen.«
»Sie sind wirklich unterwegs?«, rief Blitz begeistert. Die Drohung ignorierte er vorerst lieber. »Eure Verbündeten aus Velas? Das heißt, die Piraten werden zwischen ihnen und Euch eingeschlossen sein. Auch wenn Ihr zusätzlich von hinten angegriffen werdet, könnt Ihr sie mit der Übermacht Eurer Schiffe aufreiben!« Er hob die Hand, um dem schlauen Rebellenanführer zuzuprosten. Und wunderte sich, dass der Becher aus seinen Fingern glitt, dass er nicht die Kraft aufbrachte, ihn festzuhalten …
6. Schläge ins Gesicht
S I EM U S S T EE I N G E S C H L A F E Nsein, ohne es zu merken, gegen die Brust ihres Entführers gelehnt. Als Maja die Augen aufschlug, sah sie vor sich die graue, sandige Straße in der aufziehenden Dämmerung eines neuen Tages.
»Guten Morgen, Prinzessin«, grüßte Erion freundlich.
»Sind wir die ganze Nacht geritten?« Sie fühlte sich völlig steif, alles tat ihr weh. Aber ihre Freundin war frei. Das allein zählte.
»Wir sind bald am Fluss, Prinzessin Maja«, sagte er.
»Hört endlich damit auf«, fuhr sie ihn an. »Ich habe Euch bereits gesagt, ich bin nicht die Prinzessin von Arima. Warum lasst Ihr mich nicht endlich gehen? Wir haben auf verschiedenen Seiten gekämpft, aber das ist Jahre her. Euer Herz hat gesiegt und Manina entkommen lassen. Wollt Ihr Euch dafür an mir rächen?«
»Ihr täuscht Euch«, meinte er mit dieser ruhigen, gelassenen Stimme, die in ihr die Wut zum Kochen brachte. »In allem.«
»Ach ja?«
»Ich soll Euch gehen lassen? Nachdem ich durch das halbe Kaiserreich gereist bin, um Euch zu finden? Und dann die glückliche Fügung, dass Prinzessin Manina mit Euch zusammen war. Euch beide zum Kaiser zu bringen, wäre die Krönung meiner Laufbahn gewesen … Aber mein Auftrag seid Ihr. Ich habe heute Nacht mit Sicherheit nicht die Falsche festgehalten.«
»Ich bin was?« Sie fand es schwierig, sich mit jemandem zu unterhalten, dessen Gesicht man nicht sehen konnte. Log er? Seine Stimme verriet immerhin etwas von seinen Gefühlen – Triumph ja, da war ein ungeheurer Triumph in ihm, den er kaum zurückhalten konnte, den er mit ihr teilen musste. »Warum? Zukata kennt mich nicht. Will er sich an meiner Mutter rächen, für die uralten Geschichten von Maninas Entführung? Was kann der Kaiser von mir wollen?«
»Wisst Ihr denn selbst nicht, wer Ihr seid, Prinzessin Maja?«
»Ich bin nicht …«
»Was seid Ihr nicht? Die Prinzessin von Arima? Glaubt mir, wenn ich Euch mit Eurem Titel anrede, dann habe ich nie gemeint, dass Ihr das seid. Ich spreche Euch als Prinzessin von Kirifas an, wie es Euch gebührt.«
»Von Kirifas?« Warum nannte er sie so? Als wäre sie mit der Kaiserfamilie verwandt gewesen, als wäre sie …
»Sorayn«, flüsterte sie.
»Dafür habt Ihr bemerkenswert lange gebraucht«, fand er. In seiner Stimme schwang immer noch eine beunruhigende Freude mit. »Natürlich. Prinzessin von Kirifas, durch Eure Heirat mit Prinz Sorayn von Kirifas. Sagt jetzt nicht, dass Ihr das nicht wusstet.«
»Doch«, musste sie zugeben. Ihre Gedanken überschlugen sich. Darauf wäre sie nie von selbst gekommen – dass man sie im ganzen Reich suchen ließ, weil sie Sorayns Frau war! Was konnte der böse Riese von ihr wollen? Hatte ihr Mann ihn vielleicht darum gebeten? Gegen ihren Willen glomm ein Glücksgefühl in ihr auf, ein Funke, der heiß und wild in ihr brannte. Wollte Sorayn sie sehen? Dann lag ihm etwas an ihr!
Die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Würde einer, der sie liebte, den Befehl geben, sie in Fesseln in die Hauptstadt zu schleppen? Ganz gleich, ob sie wollte oder nicht?
»Was will Zukata von mir?«, fragte sie unsicher. Vielleicht erfüllte der Kaiser seinem Enkel diesen Wunsch, ohne dass dieser davon wusste, was hier mit ihr geschah? »Er hätte mich auch höflich fragen können, ob ich mitkommen will.«
»Ich habe Euch höflich gefragt«, sagte Erion zufrieden.
Nun ja, was einer wie er unter Höflichkeit verstand.
»Ist Sorayn in Kirifas?«
»Dort vorne ist der Fluss.« Erion antwortete nicht auf ihre Frage. »Wir werden ihm eine Zeitlang stromaufwärts folgen, damit wir so nah wie möglich an Aifa herankommen.«
Sorayn war nicht Kaiser geworden. Das war das Einzige, was sie wusste. Hals über Kopf war sie damals fortgeritten, fort von dem Blutvergießen, fort von der Armee der wilden Riesen, fort von dem Mann, den sie liebte, der sich in einen gewalttätigen, vom Ehrgeiz zerfressenen Soldat verwandelt hatte, in einen blutrünstigen Riesen … Mit dem Versprechen, Zukata nie an die Macht gelangen zu lassen, sondern selbst weise und gerecht zu regieren, hatte Sorayn die junge Kaiserin Manina dazu gebracht, abzudanken. Maja wollte mit alldem nichts zu tun haben. Ihr lag nichts an Herrschaft und Reichtum, erst recht nicht zum Preis eines blutigen Krieges. Sie war gegangen und hatte dabei ihr Herz auseinandergerissen. Und diese Entscheidung trotzdem nicht bereut … eine Weile jedenfalls. Bang hatte sie beim Ziehenden Volk auf die Nachricht gewartet, dass Sorayn zum Kaiser ausgerufen worden war, dass er das Heer aus Yos zurückgeschlagen hatte. Doch stattdessen wurde im ganzen Land Zukatas Sieg verkündet, der Beginn einer neuen Ära unter dem Riesen, der sein Erbe antrat. Was war mit dem Gesegneten geschehen? Als sie erfuhr, wer sich als neuer Herrscher über Deret-Aif auf den Thron von Kirifas gesetzt hatte, stand sie da wie gelähmt. Sie hörte auf zu atmen, auch ihr Herz schlug nicht mehr. Es fühlte sich an, als hätte die Welt aufgehört zu existieren, und sie selbst nahm Teil an dem Tod, der über sie alle kam.
Zukata war Kaiser.
Und Sorayn?
Kein Wort von dem Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hatte. Nichts. Nichts über ein Gefecht, einen Kampf, über einen Toten, den sie hätte beweinen können. Rein gar nichts.
War sie eine Witwe? Oder würde der Geliebte eines Tages vor ihrer Tür stehen, unverhofft, und sie wieder einmal überraschen? Sie wusste nicht, was sie denken, was sie fühlen sollte. Weinte sie? War sie erleichtert, weil er nicht in Kirifas herrschte und von ihr erwartete, das mit ihm gemeinsam zu tun? In ihr war eine merkwürdige Stille. Bis in ihre Lieder