Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen
dass sich dieses Königreich in die Ordnung des Kaiserreichs einfügt. Ich muss mit Oka reden, bevor er seinen Fuß auf das Schiff setzt. Was er weiß, ist viel wichtiger als sein Tod. Glaubt ihr, Zukata hätte mich hergeschickt, wenn es nur darum ginge, einem alten Mann den Schädel einzuschlagen?«
»Aber wenn du mit ihm geredet hast, geht er nicht mehr auf das Schiff!«, wagte Suresch einzuwenden. »Und überhaupt, wie willst du an ihn herankommen? Er wird mit großem Gefolge an die Küste kommen. Auf dem Meer werden wir ihn schlagen. Hier an Land brauchten wir ein viel größeres Heer.«
Sie sahen ihn fast angstvoll an. Blitz war es nicht gewöhnt, die Macht eines Kaisergängers tatsächlich auszuüben. Sie würden seinen Befehlen folgen, aber nur, solange sie ihren eigenen Gewinn nicht gänzlich schwinden sahen. Wenn er es zu weit trieb, würden sie mit Sicherheit noch einmal versuchen, ihn umzubringen.
»Kein Kampf an Land, darin stimme ich euch zu«, sagte er schnell. »Es muss alles genau so ablaufen, wie ihr es mit den anderen Piraten besprochen habt. Ich werde mich ganz unauffällig in Okas Lager schleichen. Und glaubt mir, es gibt Mittel, eine Befragung so durchzuführen, dass derjenige später nichts mehr davon weiß.«
Hatte er jetzt nicht doch zu dick aufgetragen? Aber an ihrer Reaktion merkte er, dass sie ihm noch viel mehr zutrauten. Wilu war blass geworden, Suresch betrachtete eingehend seine schwarzen Fingernägel. Seinem Blick wichen sie aus. Wofür hielten ihn die beiden Kapitäne? Für einen Folterer, einen Henkersknecht? Kein vernünftiger Mensch würde einem derart riskanten Vorhaben zustimmen. Aber die Piraten trauten sich nicht, dem gefährlichen Kaisergänger zu widersprechen.
»Er wird auf das Schiff gehen, ohne zu ahnen, was ihn erwartet«, versprach Blitz. »Und in die Falle tappen. Dann werdet ihr ihm zeigen, wer über das Meer herrscht. Doch nun weist mir den Weg zu Okas Lager.«
Der aufmüpfige König musste sich tatsächlich sicher sein, dass seine Verbündeten in Kürze eintrafen. Die Zelte, von den Wenzern zwischen den Ausläufern der Berge errichtet, weniger als eine Tagesreise vom Hafen entfernt, waren nicht so zahlreich, wie Blitz erwartet hatte. Das Gelände dahinter war dermaßen zerklüftet, dass es geradezu zum Verstecken einlud. Kein Angreifer konnte hier ein Gefecht bis zum bitteren Ende erzwingen.
Die drei Beobachter duckten sich hinter die kleineren Felsen auf der Seeseite.
»Und wenn …«, begann Wilu, aber der Arimer sah ihn nur an, und da sagte der Pirat etwas anderes als das, was ihm zuerst auf der Zunge gelegen hatte. »Ja, Herr. Tu, was immer du tun musst.« Und etwas leiser fügte er hinzu: »Wie viele von deiner Sorte hat der Kaiser in seinen Diensten?«
»Du meinst, wen er als Nächstes schicken wird, falls ich versage?« Blitz lächelte, obwohl ihm alles andere als zum Lachen war. Entgegen seiner prahlerischen Ankündigungen hatte er keine Ahnung, wie er unbeschadet zu König Oka vordringen sollte. »Glaub mir, für jemanden wie mich gibt es kein Versagen.« Nur den Tod durch Okas Männer. Nur eine einzige Gelegenheit, um eine alte Schuld abzutragen. Nur diesen einen Versuch. Aber Versagen? Alles, was sonst noch passieren konnte, lag in Rins Hand.
Wilu beeindruckte dieses großspurige Versprechen sehr. Er nickte und zog sich vorsichtig zurück.
»Wartet nicht auf mich«, lautete die Anweisung. »Greift nicht ein, wenn ich nicht wiederkomme. Vielleicht, wenn alles gut geht, bleibe ich bei ihm und führe ihn eigenhändig auf das Schiff.«
Dass er sich nicht fürchtete, beeindruckte die Piraten wohl am meisten.
»Allein unter Feinden«, murmelte Suresch. »Und wenn sie es merken? Und wenn sie Zukatas Zeichen entdecken?«
»Allein unter Feinden«, wiederholte Blitz grimmig. »Was auch geschieht, bleibt bei unserem Plan.«
Seine Begleiter zogen sich zurück. Sobald er auf sich gestellt war und niemandem mehr etwas vormachen musste, überrollte ihn die Angst. Jetzt spürte er auch die Kälte. Der Stein, hinter dem er kauerte, war kalt wie ein Eisblock. Schnee bedeckte die Hänge, die letzten weißen Tupfer reichten fast bis hinunter zu den Zelten. Heimeliger Rauch drang aus den Abzügen. Ein paar dunkel gekleidete Gestalten wanderten umher. Für ein warmes Plätzchen am Feuer hätte er bald alles gegeben, aber einfach ins Lager zu marschieren und ein Gespräch mit Oka zu fordern, war Selbstmord. Überdies zweifelte er nicht daran, dass die Piraten weiterhin alles beobachteten. Den Aufruhr über eine Gefangennahme würden sie mitbekommen, und was sie dann tun würden, war nicht abzusehen.
Seine Hände und Füße waren taub, als Blitz sich schließlich dazu durchrang, sich näher an die Wenzer heranzutasten. Die überall verstreuten Steinbrocken boten etwas Deckung, aber nicht viel. Das Lager war klug ausgewählt; im Hintergrund die schützenden, schnell zu erreichenden Berge, nach vorne hin lief das Gelände flach aus und war gut zu überblicken. Blitz hoffte, dass er für die scharfen Augen der Wächter unsichtbar blieb, wenn er sich nur vorsichtig genug bewegte. Genauso gut konnte es aber sein, dass sie ihn schon längst entdeckt hatten und gelassen darauf warteten, dass er so nah herankam, dass sie ihn mühelos ergreifen konnten.
Auf dem Bauch vorwärts zu robben, war in dieser Kälte erbärmlich schwer. Der feine Rauch des Lagers lockte ihn unwiderstehlich weiter. Seine Zähne klapperten. Dann hörte er die Pferde schnauben. Jetzt erst bemerkte er sie, da sie auf der kargen Weide hinter den Zelten grasten. Die Piraten hatten nichts davon gesagt, dass die Wenzer Tiere dabei hatten, die ihn verraten konnten, aber er hätte daran denken müssen. Wusste er nicht, dass Oka die schönsten Rösser des Königreichs züchtete? Niemals würde er den schwarzen Hengst vergessen, der ihn einen Teil der Flucht mit Manina begleitet hatte. Vorsichtig hob Blitz den Kopf und versuchte, die kleine Herde zu zählen. Doch die dunklen Leiber verschmolzen fast mit den Felsen und dem dürren Gestrüpp dazwischen. Einmal noch ein solches Pferd reiten! Zu wissen, wie schnell ihn die langen Beine tragen würden, weit, weit fort von allen Feinden und allen Pflichten. Frei durchs Kaiserreich zu streifen, so wie er es als Junge erträumt hatte, zusammen mit Mino … Blitz fühlte kaum noch, wie die Kälte sich in seinem Körper ausbreitete. Er würde reiten, so schnell wie der Wind. Niemand erwartete von ihm, dass er einem König gegenübertrat, der ihn hasste. Niemand …
»Steh auf!«
Niemand außer Rin. Rin, der Unerbittliche. Der ihn antrieb wie ein Reiter ein lahmes und müdes Pferd. Der ihn vorwärts trieb, immer weiter voran, der ihn niemals in Ruhe ließ …
»Na los, wird’s bald.«
Jemand riss ihn hoch. Männer in Umhängen aus schwarzem Pelz. Glänzend und dick und weich. Er starrte auf die Felle und dann in ihre von struppigen Bärten gespickten Gesichter.
»Bringt mich zu König Oka.« Seine Zähne klapperten, sein Kiefer ließ sich kaum bewegen. »Leise. Unauffällig. Ich …«
»Keine Sorge«, zischte einer der Wächter. »Wir machen bestimmt kein großes Getue darum, dass wir einen von Zukatas Spionen gefangen haben. Einen seiner Piraten, die sich hier herumtreiben.«
Sie schleiften ihn mit. Blitz konnte jedoch nur Dankbarkeit empfinden, als sie ihn in eins der dunklen Zelte stießen. Eine Schale glühender Kohlen erfüllte den Raum mit Wärme und Licht. Er streckte die Hände danach aus, aber jemand warf ihn rücklings zu Boden. Über ihm bleckten zwei große wilde Gesellen die Zähne.
»Einer der Spione. Na endlich. Wir wussten, dass ihr hier seid. Aber jetzt drehen wir den Spieß einmal um. Nun wirst du uns ein paar Auskünfte geben.«
»Du wirst uns mit Freuden alles sagen, was du weißt!«, kündigte der zweite Wenzer mit einem gehässigen Lächeln an.
Blitz schloss für einen Moment die Augen. »Ich bin kein Pirat«, sagte er nur. Er atmete die Wärme, das goldene Licht. Wenn er nur seine Füße ein wenig näher heranhalten durfte … Er beugte sich nach vorne und begann seine Stiefel aufzuschnüren. Seine Zehen waren rot, aber noch nicht so dunkel, dass er Grund zur Sorge gehabt hätte. Die Schmerzen nahmen ihn völlig gefangen, als es in ihnen zu kribbeln begann.
»Wir sollten ihm die Füße gleich ganz ins Feuer halten«, sagte der eine Wächter.
»Macht doch«, sagte Blitz ungerührt. Er widmete sich