Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen
Teppich aus dem, was vielleicht eine Klage war und vielleicht auch nicht. Manina weinte manchmal, wenn sie ihr zuhörte. »Ich halte das nicht aus!«, rief sie dann. »Was soll das? Kannst du nicht etwas Fröhlicheres spielen?« Tamait blickte sie wissend an. Und wenn Mino, ihre wunderschöne hellhaarige Mutter, das Lied vernahm, formten ihre Lippen, vielleicht ohne dass sie selbst davon wusste, einen Namen.
»Ist Sorayn in Kirifas?«, wiederholte Maja ihre Frage, versuchte, es beiläufig klingen zu lassen. Ihr Widersacher durfte nicht wissen, wie viel davon abhing. Jemandem wie ihm wollte sie nicht auch nur den kleinsten Einblick in ihr Herz gewähren.
»Und wenn es so wäre?«, fragte Erion zurück. »Würdet Ihr dann freiwillig mitkommen?«
»Mein Gemahl würde nie jemanden wie Euch ausschicken.«
»Seid Ihr Euch da sicher?«
Da hatte er ihren wunden Punkt getroffen! Nur gut, dass er ihr Gesicht nicht sah. Vielleicht bemerkte er, dass ihr heiß wurde, und lächelte über die Röte, die über ihren Nacken kroch. Was wusste sie schon über Sorayn? Hätte sie wirklich beschwören können, wem er Befehle erteilte und wem er diente? Sie hatte ja nicht einmal eine Ahnung davon, was aus ihm geworden war! Was war er nicht schon alles gewesen? Ein Ungeheuer, vor dessen Anblick sie mit Entsetzen zurückgezuckt war … ein Schmied der goldenen Worte … einer, der mit einem Bären spielte und Riesen befahl … der sie umarmte und küsste und sich dabei, während sie an nichts anderes denken konnte als an ihn, seinen Weg zum Thron bahnte. Viel wusste sie und doch viel zu wenig. Aber zu keinem der Sorayns, die sie gekannt hatte, hätte es gepasst, irgendetwas von Wert jemandem wie Erion anzuvertrauen. Oder bedeutete sie dem Mann, von dem sie fast jede Nacht träumte, gar nichts? War sie nie mehr als eine Figur auf einem Spielbrett gewesen, die man hierhin und dorthin schob? Die ihren Zweck – ihn zu Keta und dem Segen zu führen – erfüllt hatte?
»Ganz sicher«, antwortete Maja, obwohl sie sich alles andere als sicher war. Sich mit dem Feind zu verbünden, war bestimmt nicht Sorayns Art, aber was wusste sie, wozu sein Ehrgeiz ihn alles trieb? Und trotzdem, Erion gegenüber wollte sie ihre Zweifel nicht zugeben. »Er hätte niemals Euch dazu ausgesandt. Bei Rin, wir kommen alle von den Glücklichen Inseln, und Sorayn hat auf Neiara gelebt, wo Ihr und Eure Familie gewütet haben! Er hat gegen Euch gekämpft und Eure Pläne zunichte gemacht. Wisst Ihr nicht mehr, wie er Euer Schiff und die Waffenladung verschwinden ließ? Sorayn hat ganz gewiss keine Ahnung davon, dass Ihr hier bei mir seid.«
Erion lachte stumm in sich hinein. »Wie gut kennt Ihr ihn überhaupt?«, fragte er. »Wisst Ihr beispielsweise von Fria?«
»Fria? Die Riesin? Ich kenne sie.«
»Tatsächlich? Habt Ihr vielleicht sogar freundschaftlich mit ihr geplaudert? Und es hat Euch nicht gestört?«
»Was?«
Aber er lachte nur, und in diesem Moment hasste sie diesen hinterhältigen Kerl so sehr, dass sie ihn am liebsten umgebracht hätte. Was deutete er da an?
Maja konnte sich gut an Fria erinnern, an diese wilde Riesin mit dem langen blonden Zopf, mit den Verzierungen am Kleid. Sie war so oft in Sorayns Nähe gewesen, hatte manchmal stundenlang mit ihm gesprochen …
»Und Euch ist nie ein Verdacht gekommen?«, fragte Erion übertrieben freundlich und fürsorglich.
Sorayn war in Kirifas und vertraute diesen Leuten alles an. Seine Geheimnisse, seine Liebschaften, seine Frau … Wie war das nur möglich? Was war das für ein Fremder, dessen Bild Erion ihr da zeichnete, einer, der mit dem Feind paktierte?
»Wofür braucht er mich dann?« Ihre aufflammende Sehnsucht war wie mit einem Schwall kalten Wassers gelöscht worden. Fria. Was sollte sie denn noch alles über Sorayn erfahren?
Auf dem breiten Fluss zog ein langgestreckter, flacher Frachtkahn vorüber. An seiner Seite tauchten eine ganze Reihe von Rudern mit raschem Schlag ins Wasser.
»Er fährt ins Landesinnere hoch«, erklärte Erion. »Die Strömung ist stark, aber er kommt gut voran. Damit werden wir bis nach Aifa reisen.«
»Mit diesem Schiff? Auf dem Fluss?«
»Das ist der Rianang. Bis nach Kirifas bringt er uns leider nicht, er kommt aus den Torner Bergen, aber eine Zeitlang wird er unser Zuhause sein. Ich muss nur diesen Frachter anhalten.«
Es gab hier keine Anlegestelle, keinen Hafen. Aber sie zweifelte nicht daran, dass der Kaisergänger fertigbringen würde, was auch immer er sich vorgenommen hatte.
Seitdem sie wusste, dass er in Sorayns Auftrag unterwegs war, fühlte sie sich wie gelähmt.
Fria. Das war so niederträchtig, so gemein. Während ihr Herz voller Glück gewesen war, während sie die wunderbarsten Tage ihres Lebens genossen hatte, war Sorayns Geliebte zusammen mit den anderen Riesen in der Nähe gewesen. Nur um den Segen zu stehlen, hatte er sie geheiratet, bloß dafür … und Fria hatte es geduldet, weil es allein diesem einen Zweck diente. War es so gewesen? Sie wünschte sich, Erion hätte ihr nicht die Augen geöffnet. So hatte er sich also gerächt dafür, dass sie Manina zur Flucht verholfen hatte.
»Was soll ich in Kirifas?«, fragte sie noch einmal. Erion hatte gerade ein paar Frühaufsteher entdeckt, Fischer, die mit ihren kleinen Booten vom Ufer ablegten, und winkte ihnen.
»Ihr seid Sorayns Frau, oder nicht?« Er hatte jetzt keine Zeit mehr für sie. Erion musste den Fischern klar machen, dass sie dem Kahn nachrudern und ihn anhalten sollten. Er zeigte ihnen das Zeichen auf seinem Arm, und Maja merkte, wie ihre Gesichter sich veränderten.
Sie saß immer noch auf dem Pferd, mit gefesselten Händen, müde und zerschlagen, und sehnte sich nach einer Gelegenheit, um sich zu waschen und richtig auszuruhen. Sie wollte sich bewegen, sich strecken, atmen und einfach alles vergessen, was sie gehört hatte, und das Unglück abschütteln … Während der hochmütige Kaisergänger seine Befehle erteilte, wandte sie das Gesicht ab und weinte.
Das Schiff war zu groß, um am Ufer anzulegen, deshalb mussten sie in Booten übersetzen. Erions Pferd bohrte trotzig die Beine in den schlammigen Untergrund, aber Maja stand wie willenlos daneben und wartete. Ihr Kampfgeist hatte sie verlassen. Das war gut, denn in diesem Moment hätte er sie schlecht aufhalten können, wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hätte, ihm Schwierigkeiten zu machen. Ihr Geschrei hätte den Braunen noch ängstlicher gemacht. Ja, er hatte es ihr genau zum richtigen Zeitpunkt erzählt.
Erion überließ es den Fischern, das störrische Tier mit harten Schlägen aufs Boot zu treiben. Er selbst stieg mit Maja in ein zweites, half ihr beim Einsteigen und Hinsetzen und konnte nicht umhin, den Anblick ihrer Verzweiflung zu genießen. Noch war sein Auftrag nicht erfüllt, noch waren sie nicht in Kirifas, aber besser hätte es gar nicht laufen können. Dass Manina entkommen war, war natürlich ein Wermutstropfen …
Denk nicht an die hübsche blonde Prinzessin. Er zwang sich, ihr Bild aus seinem Geist zu vertreiben, wie eine kleine Fliege, die man sich aus den Augenwinkeln wischt, einen schmerzhaften Fremdkörper, der einen dummerweise zum Weinen bringt. Manina ist im Moment unwichtig. Konzentrier dich auf dieses Mädchen hier.
Maja. Ja, diese kleine Wilde musste mit Vorsicht behandelt werden. Er betrachtete ihr schönes Profil, während sie zum Schiff hinübersah. Dogla, der Kapitän des Frachters, erwartete sie an der Reling, ein dicker, bärtiger Mann, der grüßend den Kopf neigte, während in seinen Augen die Wut funkelte. Erion hatte durchaus Verständnis dafür, dass der Mann es nicht schätzte, dazu gezwungen zu werden, Passagiere und ein Pferd mitzunehmen, aber der Macht eines Kaisergängers konnte sich niemand widersetzen.
Ein paar Matrosen pfiffen, als Erion Maja an Bord half. Blitzschnell war er bei dem nächsten und schlug ihn hart mit der Handkante ins Gesicht.
»Diese Dame«, sagte er laut und deutlich, so dass jeder im Umkreis es mitbekam, »steht unter dem Schutz Kaiser Zukatas persönlich. Ich erwarte, dass ihr sie mit dem gebührenden Respekt behandelt. Jede Frechheit werde ich aufs Schärfste ahnden.«
Der Flusskapitän sog scharf die Luft ein. »Ihr habt es gehört. Kümmert euch um das Pferd und um eure Arbeit und um nichts sonst.«