Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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kleines, aber sehr wichtiges Königreich zu sein – über das Herz des Mannes, den Ihr vernichten werdet?«

      »Ich bin … und Fria?«

      »Fria?«, fragte Erion verächtlich. »Eine Zeitlang glaubte ich tatsächlich, sie könnte der Schlüssel sein. Aber er brach bereits mit ihr, bevor er Euch traf. Er tötete ihren Bruder. Glaubt Ihr, er würde Euch jemals solchen Schmerz zufügen? Oh nein, mit Sicherheit nicht. Er würde lieber sterben, als Euch zum Weinen zu bringen.«

      Ihr Gesicht. Diese Stille, die über sie gekommen war, während sie jeden seiner Schläge aushalten musste. Fast hätte sie ihm leidtun können. Und er würde jedes seiner Worte bereuen, wenn sie gleich anfing, gegen ihn zu kämpfen. Er sah schon die Wut durch all den Schmerz und den Schrecken der Erkenntnis schimmern.

      »Ihr seid ein mieses kleines Scheusal«, flüsterte Maja. »Ich verfluche Euch.« Und dann sprang sie mit einem Mal auf und stürzte sich auf ihn. Nur weil er darauf gefasst gewesen war, gelang es ihm, durch die Tür zu schlüpfen, bevor sie ihm das Gesicht zerkratzen konnte, und draußen lehnte er sich gegen die Bretter und hörte zu, wie sie drinnen in der Kajüte tobte. Erion lächelte.

       7. Die Last auf den Schultern

      D I ES O L D A T E NH A T T E NSorayn einen Strick um die Handgelenke geschlungen und führten ihn daran hinter sich her. Mit Leichtigkeit hätte er ihn zerreißen können, doch natürlich tat er es nicht. Dafür war es noch zu früh. Erst musste er sehen, wohin sie ihre Gefangenen verschleppten, was mit denen geschah, die aus ihren Sippen herausgerissen wurden, um einem fremden Fürsten zu dienen.

      Zunächst brachten sie ihn zu einem unerwartet großen Haus am Waldrand. Ein Kampf der Sippenbrüder hätte, so sah Sorayn nun, keine Chance gehabt. Hier waren mindestens dreißig oder vierzig Männer untergebracht. Im angrenzenden Stall hörte er ihre Pferde stampfen. Vor dem Gebäude lungerten ein paar gelangweilte Kerle herum.

      »Wen bringt ihr denn da mit?«, rief einer, der ihnen mit aufgerissenen Augen entgegensah. »Da habt ihr euch einen Burschen gekrallt, wie?«

      »Zinta«, sagte der Soldat, der die Leine hielt, verächtlich.

      »Ach, werden die so groß?«

      »Die gibt es in allen Größen, glaub mir.« Sie redeten über ihn, als hätten sie im Garten ein besonders beachtliches Exemplar einer Gemüsesorte gefunden. Keine außergewöhnliche Spezialität, die man auf den Tafeln der Reichen finden würde, sondern etwas Schlichtes, nahrhaft und kräftig, für das einfache Volk.

      Der Mann trat näher und befühlte Sorayns Oberarm. »Dafür wird Pidor uns ein Fass öffnen lassen.«

      »Fürst Pidor?« fragte Sorayn. »Nie gehört. Ist er schon lange im Amt?«

      »Du, ich glaube, der dreckige Zinta redet mit uns.«

      »Das scheint mir auch fast so.« Sie musterten ihn aus zusammengekniffenen Augen. Wahrscheinlich ließ seine Größe sie davor zurückschrecken, ihn zu misshandeln. Obwohl sie ihn für sicher gefesselt hielten, ließ der Soldat, der schon den Arm zum Schlag hob, die Hand wieder sinken.

      »Fürst Pidor hat es nicht gern, wenn sie beschädigt sind.«

      »Wo bringen wir ihn diese Nacht unter? Heute schaffen wir es nicht mehr bis zum Fluss.«

      Der andere zeigte auf den Stall. »Da, wo sonst? Glaubst du, ich schlafe mit einem Ziehenden unter einem Dach?«

      Bei jeder abfälligen Bemerkung, bei jeder Beschimpfung war Sorayn froh, dass er hier war und nicht einer aus der Sippe. Toris hätte sich wahrscheinlich schon längst brüllend auf sie gestürzt, und einen der jüngeren Brüder hätten sie bestimmt schon zusammengeschlagen, wenn er sich empört gewehrt hätte. Der Riesenprinz ließ sich dagegen ohne Gegenwehr zu den Pferden schubsen, die ihn neugierig beäugten. Zwischen ihnen an einen Pfahl gebunden, verbrachte er die Nacht. Der warme Geruch der Tiere lullte ihn ein, ihr Schnauben und Stampfen, war sein Schlaflied. Lang ausgestreckt lag er im Stroh und fühlte die trägen Gedanken der freundlichen Stallbewohner durch seinen Geist treiben. Grüne Wiesen erstreckten sich vor ihm, Apfelbäume lockten mit duftenden roten Früchten. Süßer Hafer füllte seinen Mund, duftendes Heu, würzig, mit vielen Kräutern durchmischt, war sein Kissen.

      »He!« Ein derber Fußtritt weckte ihn. »Aufstehen, es geht los!«

      Sorayn gähnte, setzte sich auf und merkte, dass er gar nicht mehr gefesselt war. Im Schlaf musste er den Strick aus Versehen zerrissen haben. »Oh, Verzeihung. Der schöne Strick.« Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und zupfte sich Strohhalme von der Kleidung.

      »Komm, wird’s bald?«

      »Ohne Frühstück?«, hakte er nach.

      »Aufstehen!«, bellte der Soldat. »Gegessen wird erst nach der Arbeit!«

      Trotz seiner intensiven Träume davon, was Pferde glücklich machte, hatte der junge Prinz keinerlei Appetit auf Heu und Gras. »Nicht einmal eine Tasse Tee? Schön heiß?«

      Seine gute Laune schien den Mann glauben zu machen, dass er es mit einem Schwachsinnigen zu tun hatte. »Noch mal schön langsam: Du – jetzt – aufstehen! Gehen. Arbeiten. Dann essen. Kapiert?«

      »Wird man so, wenn man in Fürst Pidors Diensten steht? Dass man nicht mehr die einfachsten Sätze zustande bringt? Welch bedauerliches Schicksal.«

      Er rappelte sich auf und streckte sich. Mit Befriedigung nahm er zur Kenntnis, dass der Soldat einige Schritte zur Seite wich und unwillkürlich nach seinem Schwert griff. Auch wenn Sorayn nicht wie ein Riese aussah, war er immer noch größer als jeder andere hier. Nun, sollten sie sich ruhig von seinem freundlichen Auftreten täuschen lassen.

      »Du läufst.« Sein Bewacher sattelte eins der Pferde, machte aber keinerlei Anstalten, den vermeintlichen Zinta noch einmal zu fesseln. »Und vergiss nicht: Du gehörst jetzt dem Fürsten. Weglaufen nützt gar nichts. Du bist zu Fuß, wir sind beritten. Bis jetzt haben wir noch jeden erwischt, der es versucht hat.«

      Wenn man freiwillig gefangen war, konnte man dazu nicht viel sagen. Er hatte nicht vor zu fliehen. Wenn er genug gesehen hatte, würde er einfach wieder gehen. Sollten sie ruhig versuchen, ihn aufzuhalten!

      Der Weg führte durch einen lichten Wald, in dem der Herbst bereits Einzug gehalten hatte. Ihre Schritte raschelten durch Unmengen von Blättern, und es roch nach Moder und Pilzen. Sehnsüchtig dachte Toris’ Schwiegersohn an die Gemeinschaft der Ziehenden, die nun ohne ihn das Land durchquerten und vielleicht gerade jetzt um ein Feuer saßen und miteinander schwatzten. Vielleicht brieten sie Eier und Pilze zum Frühstück, garniert mit Kräutern.

      »Dort ist der Rianang«, sagte der Soldat stolz.

      Und Sorayns gelöste Stimmung fiel von ihm ab wie ein goldenes Herbstblatt.

      Am Ufer schufteten Menschen. Etwa zwei Dutzend Arbeiter wankten dort mit gebeugtem Rücken unter der Last riesiger Säcke. Eine niedrige Mauer hatten sie daraus bereits errichtet.

      »Was tun sie da? Bauen sie einen Deich? Wozu?«

      Der Zinta-Verächter ließ sich ausnahmsweise dazu herab, ihm Auskunft zu geben. »Weil der Fürst es angeordnet hat. – Heda! Schau, was ich hier habe!«

      Der Aufseher, der sie bemerkt hatte und ihnen entgegentrat, unterzog den Neuen einer kurzen Musterung und nickte zufrieden. »Mit wie viel Nachschub können wir noch rechnen?«

      »Ein oder zwei Wagenkolonnen müssten noch bei uns durchkommen, bevor der Winter beginnt.«

      »Das ist zu wenig. Ich brauche mehr Leute. Ein Mann von jeder Sippe ist nicht genug. Bringt mir jeden, der mit anpacken kann, ist das klar?«

      Der Soldat verzog das Gesicht, aber er nickte. »Du wirst doch dem Fürsten mitteilen, wie gut wir die neuen Arbeiter auswählen?«

      »Natürlich«, versprach der Aufseher kühl. Er war ein kleiner, hagerer Mann mit wenig Haaren. »Und jetzt muss ich weitermachen.« Er winkte Sorayn


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