Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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zu überwachen.«

      »Bist du sicher, dass das alles ist?«

      Der Kapitän der Adlerschwinge winkte dem Herrn der Greifenklaue, mit nach draußen zu kommen. Sie gingen ein paar Schritte von den Häusern fort. Dort wischte Suresch sich über die Stirn. »Wie wirkt dieser Beny auf dich?«, fragte er. »Höflich und freundlich, aber nicht zu sehr? Wie einer, der Fragen stellt, obwohl er genau weiß, was Sache ist?«

      »Worauf willst du hinaus?«, wollte Wilu wissen.

      »Er versucht, sich wie ein normaler Matrose zu benehmen, aber das ist er nicht. Die Narben überall auf seinem Körper sprechen eine andere Sprache. Und ich habe gesehen, wie er das Messer hält.«

      »Ein Mörder?«, wisperte der Pirat erschrocken.

      »Zukata traut uns nicht. Deswegen schickt er uns seinen Kaisergänger.«

      »Um Oka zu töten?«

      »Und vielleicht nicht nur Oka. Wir dürfen keinen Fehler machen.«

      Wilu atmete tief durch. Winzige Schweißtröpfchen standen auf seiner Stirn und sammelten sich über seinen Brauen. »Und wenn wir schneller wären als er?«

      »Schneller als ein Meuchelmörder? Vergiss nicht, Zukata selbst hat ihn ausgesucht. Glaubst du, er würde uns einen Stümper schicken?«

      »Vielleicht täuschen wir uns. Vielleicht hat er einen ganz anderen Auftrag.«

      »Du hast seine Augen gesehen. Der verbirgt etwas. Dieser Mann steckt vom Scheitel bis zur Sohle voller Geheimnisse. Wenn du den für einen einfachen Piraten hältst, bist du gleich verloren.« Ein Schauer durchfuhr ihn. »Seine Augen sind so schwarz wie die Sturmnacht, die wir hinter uns haben. Ich sage dir, das ist ein eiskalter Mörder. Ich hab noch nie so jemanden wie ihn an Bord gehabt. Er sagt, Zukata hat ihm ein Schloss gegeben. Ich dagegen glaube, er bekommt erst noch eins.«

      »Okas Schloss? Wenn er ihn getötet hat?«

      »Könnte doch sein.«

      Wilu knirschte mit den Zähnen. »Wir sollten dieses Königreich kriegen.«

      »Wir haben nicht mal das Zeichen! Zukata wird uns nie eine Krone geben, wenn er uns nicht vorher das Zeichen verliehen hat! Aber wenn wir uns aus dieser Sache zurückziehen oder es vermasseln, kann er seinem Bluthund alles anvertrauen. Vielleicht hat Beny die Anweisung, uns beim kleinsten Fehler zu beseitigen? Weißt du’s? So oder so, wir haben keine Wahl. Wir müssen weitermachen. Lass dir bloß nicht anmerken, dass wir wissen, was er ist. Gehen wir zurück.«

      Als sie sich zurück zur Hütte wandten, sahen sie den schwarzhaarigen Mann, über den sie gesprochen hatten, an der Tür stehen und ihnen entgegensehen.

      »Er weiß es«, flüsterte Wilu bang. »Er weiß, dass wir über ihn reden.«

      »Na, Beny?«, fragte Suresch betont munter. »Auch ein wenig frische Luft schnappen?«

      »Ganz schön stickig da drinnen«, gab Beny zurück und ließ seinen Blick forschend über sie gleiten, einen Blick, hart und schneidend wie ein Messer.

      Sie wussten es. Irgendwie ahnten sie, dass er nicht der war, der er vorgab zu sein. Blitz wunderte sich nur, dass sie ihn weiterhin in Ruhe ließen und ihn nicht einfach packten und umbrachten. Vielleicht waren sie sich doch nicht ganz sicher, anders war ihre Zurückhaltung nicht zu erklären. Das Klügste war es, sich einfach aus dem Staub zu machen, bevor irgendwann einer aus Zukatas alter Bande hier auftauchte und ihnen mitteilte, dass der angebliche Beny in Wirklichkeit Blitz hieß und sie den Todfeind des Kaisers mit gebratenem Fisch, schlechtem Wein und wertvollen Informationen versorgten.

      Blitz wartete in der Hütte, in der er untergebracht war, bis die Piraten nach und nach einschliefen. Endlich wurde die vom Alkohol beflügelte Prahlerei von lautem Schnarchen abgelöst. Er selbst hatte nur wenig getrunken. Damit man ihn nicht für ein Weichei hielt, hatte er allerdings vortäuschen müssen, dass er mithalten konnte. Unauffällig leerte er seinen Becher unter den Tisch, wo der Wein von den Binsen aufgesogen wurde; der säuerliche Gestank fiel in dem übelriechenden Raum mit Sicherheit nicht auf. Zum Glück hatte er nicht dort schlafen müssen, sondern hatte sich ein paar Piraten angeschlossen, die ein weiter draußen stehendes Fischerhaus wählten.

      Nun schliefen sie. Vielleicht träumten sie vom Sturm, denn einer wimmerte wie ein kleines Kind, das unter Albträumen litt. Blitz war schon halb zur Tür hinaus, als ihn ein heiserer Schrei zusammenzucken ließ. Auf leisen Sohlen huschte er zu der Bank, auf der einer der Schläfer sich unruhig hin und herwälzte, und fasste ihn an der Schulter.

      »He!«, flüsterte er. »Du träumst! Weck hier nicht alle!«

      »Ich ertrinke«, stöhnte der Mann. »Überall Wasser, Wasser! Ich ertrinke!«

      »Nein, tust du nicht. Du liegst hier im Haus. Du bist nicht auf dem Schiff.«

      Gefangen in seinem Traum, umklammerte der Pirat Blitz’ Hand. »Rette mich! Zieh mich raus! Ich ertrinke!« Er ertastete einen Ärmel, krallte sich darin fest und ließ sich nicht abschütteln. »Ich ertrinke!«

      »Nein, du träumst!« Aber der Arimer kannte dieses Gefühl. Wenn einem bewusst wurde, dass man nicht nur mit den Füßen keinen Grund mehr erreichen konnte, sondern dass das schwarze Wasser so tief war, dass jegliche Vorstellungskraft versagte. So hoch der Himmel reichte, so weit ging es hinunter ins Dunkle. Und dieses Wasser kam von allen Seiten, um einen mit sich zu ziehen, unerbittlich, hinunter in diese Nacht, die man nicht kennenlernen wollte, und man wusste, dies ist die Stunde. Jetzt. Jetzt passiert es, jetzt bist du dran. Noch nicht. Dein Schrei, immer wieder: Noch nicht. Bitte noch nicht. Und es passiert doch.

      Blitz umfasste die hilfesuchende Hand des träumenden Piraten mit beiden Händen. »Ja«, sagte er. »Jetzt geschieht es. Hör auf zu schreien. Wehr dich nicht. Lass das Brett los. Lass alles los.«

      »Wasser, überall …«

      Der Albtraum des Seemannes. Jedes Matrosen. Kein Freibeuter hatte Angst davor, im Kampf zu sterben, beim Entern eines anderen Schiffes, von einem Gegner geschlagen, der stärker war als erwartet. Dies war das Einzige, was sie fürchteten: den dunklen Abgrund, der sich unter den blauen, spielerisch zuschnappenden Wellen verbarg.

      »Lass los«, befahl er. »Und halt nicht die Luft an. Lass dich sinken. Noch tiefer, in einen anderen Traum. Und da ist die Hand, unter dir, eine große Hand, die dich auffängt. Kannst du es spüren? Eine Hand, größer als ein Schiff?«

      »Da ist keine Hand«, murmelte der Pirat.

      »Doch, sie ist da. Fühlst du sie nicht? Lass dich sinken. Da ist sie. Sie hält dich fest. Das Wasser ist nicht schwarz, sondern blau. Siehst du die Hand jetzt, genau unter dir?«

      »Da ist … nichts … nichts.« Der Träumende entließ Blitz aus seinem Griff. Seine Hände fielen herab, sein Kopf neigte sich zur Seite, der Atem wurde schwerer, tiefer.

      Der Arimer richtete sich auf und schlich zur Tür. Jetzt schliefen sie alle.

      Draußen warf der Mond sein Licht auf die Bucht und verwandelte die See in glitzerndes Silber. Er lächelte, als eine kühle Brise ihm das Haar aus der Stirn strich. Die Greifenklaue schien auf ihn zu warten, ihn zu einer geheimnisvollen Reise einzuladen. Mein Schiff nach Rinland … Mit eisigen Fingern fasste eine Windböe unter sein Hemd. Blitz fröstelte. Nein, die Greifenklaue war bestimmt nicht das Schiff, das ihn der verlorenen Weißen Möwe hinterher bringen würde. Wie mit weißen Schwingen waren seine Freunde Lexan, Jußait und Bajad nach Rinland gesegelt. Die Adlerschwinge. Ja, das würde schon besser passen!

      Ruhig, als würde er nicht seine Flucht planen, die ihn vor skrupellosen Verbrechern in Sicherheit brachte, betrachtete er den felsigen Strand und hörte auf das unermüdliche Rauschen und Raunen des Meeres. Nur keine Eile zeigen. Tu, als wäre es dein Recht, hier zu stehen. Sie hatten garantiert Wachen aufgestellt, und auf nichts reagierten diese empfindlicher als auf verdächtiges Herumschleichen.

      Da kam der Posten schon! Blitz wollte ihm gerade einen Gruß zurufen, als er sah, dass


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