Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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nahm sie neben ihm Platz.

      »Prinzessin?«, fragte Erion verwundert.

      »Lasst sie gehen.«

      »Wie bitte?« Erstaunt hob er die Brauen. Sein Lächeln war wieder das überhebliche Lippenkräuseln, das er immer zur Schau stellte.

      »Ich habe Euch ertappt«, flüsterte Maja. »Ich sah, wie Ihr sie angeblickt habt.«

      »Ihr täuscht Euch«, widersprach der Herr von Neiara ruhig.

      Aber sie war sich ganz sicher, alles passte zusammen. »Die Leiter«, fuhr sie fort. »Als wir oben auf dem Dachboden festsaßen … Sie war nicht beschädigt, nicht wahr? Ihr wolltet nur eine Gelegenheit, um die Prinzessin zu umarmen.«

      »Die Leiter war sehr wohl beschädigt.«

      »Wirklich? Dann habt Ihr es selbst getan, nehme ich an.«

      »Was wollt Ihr, Prinzessin Maja?«, fragte er. »Ich werde keinen von Euch gehen lassen.«

      »Sie soll sterben, nicht wahr?« Maja versuchte, hinter seine undurchdringliche Maske zu blicken. Dabei war sie wohl die Letzte, die mit der Gabe auftrumpfen konnte, andere zu durchschauen. Mit Bitterkeit dachte sie daran zurück, dass sie auch Sorayns wahre Absichten nicht erkannt hatte. »Tut es nicht. Ihr könnt Euer Herz nicht abtöten – nicht so. Wenn das, was Zukata Euch befiehlt, so offenkundig falsch ist, dürft Ihr ihm nicht gehorchen.«

      »Ich werde tun, was immer Zukata befiehlt«, sagte Erion leise, und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass er völlig aufrichtig war, und sie erschauerte. Der Kaisergänger sah sie voll an. »Ich werde tun, was er verlangt«, wiederholte er, und war da nicht in seinen Augen das, was sie gehofft hatte zu sehen und was sie jetzt doch mehr erschreckte als alles andere – Bedauern? »Es gibt keinen anderen Weg.«

      Maja fühlte die Kälte in Schauern durch ihren Körper rinnen. »Bei Rin«, wisperte sie, »dann ist Manina verloren.«

      Wie eine Schlafwandlerin stand sie auf und ging zurück zu ihrer Freundin, wie eine Träumende, und war doch so wach wie nie.

      »Was ist?«, fragte die Kaisertochter argwöhnisch. »Was hast du mit ihm geredet? Was ist los, Maja? Sieh mich bitte nicht so an!«

      »Du wirst auf dieser Reise den Tod finden«, sagte Maja.

      »Das hat er gesagt? Das glaube ich nicht!«

      »Er hat es angedeutet … Manina, wir müssen fliehen. Heute Nacht noch. Wir müssen hier weg, bevor er uns noch stärker bewachen lässt. Sieh nicht zu ihm hin. Bleib ganz ruhig. Versuch ein bisschen zu schlafen, wenn du kannst.«

      »Aber …«

      »Fünf Soldaten hat er um das Lager verteilt … Die drei am Feuer achten nicht ununterbrochen auf uns. Dort sind die Pferde, sie sind angebunden, aber man kann den Pflock aus der Erde reißen, das müsste kein Problem sein. Du kannst ohne Sattel reiten, oder?«

      »Ja, aber …«

      »Ich sagte, lass dir nichts anmerken, schau nicht zu den Pferden, wenn wir von ihnen reden. Ich weiß nicht, ob ich mich ohne Sattel halten kann, wahrscheinlich eher nicht. Wenn wir ein Pferd zusammen nehmen? Wird das wohl gehen? Wenn ich hinter dir sitze, und du reitest?«

      »Im Dunkeln?«, fragte Manina. »Ohne zu wissen, wohin?«

      »Das ist unsere einzige Chance. Vielleicht die letzte. Was wissen wir, wie lange er dich am Leben lässt?« Sie drückte die Hand der Prinzessin.

      »Gib mir Zeit«, bat diese leise. »Vielleicht kann ich sein Herz gewinnen.«

      Du hast es schon, wollte Maja sagen. Du hast es schon, doch das wird dich nicht retten! Aber sie sagte es nicht, denn jeder Funke Hoffnung würde Manina nur noch widerspenstiger machen, noch blinder für die Gefahr, in der sie schwebte.

      »Lass uns erst etwas essen, wir brauchen eine Stärkung. Auf mein Zeichen laufen wir los. Du darfst nicht zögern, hörst du?«

      Manina seufzte, aber dann nickte sie schließlich.

      »Deinetwegen«, sagte sie. »Nur deinetwegen werde ich fliehen. Du hast mit Zukata nichts zu tun, und wer weiß, wie diese Sache für dich ausgeht … Na gut. Versuchen wir es.«

      Der Brei war warm; dass er nach nichts schmeckte, fiel Maja in ihrer Aufregung kaum auf. Sie lag neben ihrer Freundin und horchte in die Nacht hinaus, auf die Geräusche dort draußen unter dem dunklen Himmel. Der Mond war eine schmale Sichel unter rasch vorbeiziehenden Wolken. Irgendwo heulten Wölfe, der Laut ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Auch die Pferde bewegten sich unruhig.

      Als das Feuer fast heruntergebrannt war und nur noch schwach glomm, war der richtige Moment gekommen. Maja fühlte es, so wie sie wusste, dass Tamait auf sie wartete.

      »Ich bin schon wach«, flüsterte Manina, als sie ihre Schulter berührte. Nur wenige Meter entfernt verwandelte das kalte Licht der Sterne ihre schlafenden Begleiter in dunkle Schemen.

      »Jetzt.«

      Sie sprangen auf und rannten zu den Pferden; Maja riss den Holzpflock des nächstbesten Tieres aus der Erde. Die Prinzessin stolperte ihr nach, dicht hinter sich einen der Soldaten. »Maja!«, schrie sie, als er die Hand nach ihr ausstreckte. Die Zinta zögerte nicht, sie lief zurück und schmetterte die Faust in sein Gesicht, mit einer solchen Kraft, dass der Schlag ihn zu Boden schleuderte. Dann zog sie die Kaisertochter mit sich.

      »Zu mir!«, hörte sie Erion brüllen. Von ferne, dort, wo die Wachen ihre Runde gingen, ertönte ein weiterer Schrei, und dann durchbrach der wunderbare Klang von Stahl auf Stahl die Nacht.

      »Das ist Tamait!«, rief Maja. »Er lenkt sie ab. Komm!«

      Da war schon das Pferd. Sie griff in seine Mähne, zog sich hoch und wandte sich um. »Manina!«, schrie sie. »Schnell! Komm!«

      »Reite, Maja!«, rief Manina die gerade das zweite Reittier losmachte, als Erion sie erreichte. »Flieh! Flieh doch!« Gleich würde er sie packen – doch der Kaisergänger stieß sie nur zur Seite und hielt auf Maja zu. Diese wollte das Pferd dazu bringen, ihm auszuweichen, aber es scheute, und im nächsten Augenblick sprang Erion hoch, schlang seine Arme um ihre Taille und riss sie herunter. Sie stürzten beide zu Boden, und dann sah Maja nur noch, wie Manina nach dem lose herunterhängenden Führstrick des erschrocken sich bäumenden Pferdes griff. »Komm! Maja, komm!«

      Wie eine Wildkatze wehrte die Arimerin sich gegen Erion, aber es nützte nichts. »Reite!«, schrie sie. »Nun reite schon! Los, reite!« Sie lachte laut auf, als Manina sich auf den Rücken des Pferdes schwang und in der dunklen Nacht verschwand.

      »Reite!«, rief sie und jubelte, wild und froh. »Ja, ja! Reite zu!«

      »Ihr nach!«, rief der Kaisergänger zwei Soldaten zu, die von irgendwoher aus der Dunkelheit auftauchten, aber sie konnte ihn nicht dazu bringen, sie loszulassen, so sehr sie sich auch sträubte. Sie hatte nicht gedacht, dass dieser Kerl so stark war. Mit allen Kniffen, die sie von ihrer Pflegemutter Alika gelernt hatte, versuchte sie ihn auszutricksen, aber gegen seine pure Kraft kam sie nicht an. Ihre Hoffnung, Manina doch noch irgendwie folgen zu können, wurde zunichte, während sie in Erions kräftiger, unerbittlicher Umarmung lag. Und trotzdem lachte sie in sich hinein.

      »Eure Soldaten werden Manina niemals einholen«, sagte sie. »Sie kann reiten wie keine Zweite.«

      »Wir werden sie kriegen«, sagte er, und seine Stimme verriet, wie sehr ihn der Kampf mit ihr angestrengt hatte. Auch wenn sie nicht gewonnen hatte, so bereitete es ihr doch eine gewisse Befriedigung, dass sie ihm wenigstens Schwierigkeiten bereiten konnte. Er gab sich die größte Mühe, sie nicht loszulassen, während er sie zurück zum Lager schleppte.

      »Ihr habt Euch auf die Falsche gestürzt«, frohlockte sie. »Oder sollte das Absicht gewesen sein? Hat Euer Herz Euch am Ende doch verraten, so dass Ihr die, die Ihr liebt, entkommen ließet?«

      »Ich habe genau die Richtige erwischt, Prinzessin Maja«, widersprach er.

      Natürlich konnte jemand wie Erion


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