Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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Ziel erreichen konnte. Sorayn war tot oder er hatte sich, nachdem alles fehlgeschlagen war, einfach aus dem Staub gemacht. Wer konnte es wissen? Besser, sie vergaß ihn. Besser, nicht mehr an die blauen Augen zu denken, die unter den langen, schwarzen Wimpern hervorstrahlten. An sein dichtes schwarzes Haar, seine Haut, an das Glück jener ersten herrlichen Tage, als sie noch geglaubt hatte, es würde nie, niemals enden …

      Sie durfte nicht träumen, nichts bedauern, sondern musste sich auf das konzentrieren, was jetzt anstand. Die Suppe. Nein, verdirb sie nicht. Wenn Stollo uns hinauswirft, müssen wir dieses Dorf verlassen und uns etwas anderes suchen. Und Manina will hier nicht weg.

      Am Anfang waren sie gemeinsam mit den Zintas in einem bunten Wagen gefahren, doch der ehemaligen Kaiserin gefiel diese Art von Leben überhaupt nicht. Manina sehnte sich nach einem Ort, an dem sie bleiben konnte; ihr gab das Leben der Ziehenden das Gefühl, auf der Flucht zu sein. Deshalb waren sie schließlich hergekommen, im vorigen Jahr, damals noch mit Mino, ihrer Mutter, und deren unzertrennlichen Freunden Jamai und Kroa. Diese drei hielten es nicht aus in dem winzigen Dorf. Die Straße lockte sie, der Wald rief sie, und irgendwann hatte Mino gefragt, ob es sehr schlimm sei, wenn sie gingen.

      »Geht ruhig«, hatte Maja geantwortet. »Ich bin schon groß, nicht?«

      »Wegen dir mache ich mir keine Sorgen«, hatte Mino gemeint. »Du kannst auf dich aufpassen. Aber Manina. Sie hier allein zu lassen …«

      Es gab der jungen Zinta einen leichten Stich, dass ihre abenteuerlustige Mutter so leicht dazu bereit war, ohne sie weiterzuziehen. Dass sie sich bloß um die Prinzessin sorgte.

      »Sie ist keine Kaiserin mehr«, hatte sie eingewandt.

      »Jemand wie sie kann nicht einfach Schankmädchen spielen und glauben, sie wäre ein Mensch wie alle. Zukata könnte sie immer noch als Bedrohung empfinden. Vergiss nicht, er war schon einmal bereit, sie zu töten. Falls er sie je in der Reihe seiner Gegner vermutet … und bei Zukata reicht schon, dass er sich vorstellt, sie könnte ihm im Weg stehen … Du weißt, was ich damit sagen will. Niemand darf wissen, wer sie ist. Sie braucht einen neuen Namen. Keiner darf auch nur etwas ahnen. Die richtige Verbindung – vielleicht mit dem König von Wenz – könnte aus ihr eine ernst zu nehmende Gegenspielerin für Zukata machen. Viele Leute wären auf ihrer Seite. Alle, die genug von den Riesen haben.«

      An dieses Gespräch dachte Maja jetzt, während sie versuchte, das versalzene Gebräu, das Stollos mürrischer Sprössling in dem Kessel angerührt hatte, in eine halbwegs genießbare Speise zu verwandeln.

      König Oka von Wenz hatte Zukata öffentlich die Gefolgschaft aufgekündigt und seinen Austritt aus dem Kaiserreich erklärt. Ein wahnsinniges Unterfangen, das natürlich keinen Erfolg haben konnte, sondern nur zu weiterem Blutvergießen führen würde. Wenn jedoch Manina sich dazu gesellte und den verwitweten König ehelichte, würde diese Rebellion auf einen Schlag ein ganz anderes Gewicht erhalten. Andere Königreiche würden sich ihnen anschließen. Das Reich würde zerfallen, und irgendwann würde selbst Zukata die Lawine, die auf ihn zurollte, nicht mehr aufhalten können.

      Was für eine unglaubliche Verschwendung, wenn Manina ihr Herz einem dahergelaufenen Reisenden schenkte, nur weil sie beobachtet hatte, wie die Sonne auf sein Gesicht fiel! Andererseits war das vielleicht das Leben, das sich die junge Frau wirklich wünschte. Ein Leben ohne Kriege, ohne Verhandlungen, Streitereien, die Verantwortung für Tausende … Ein Leben an der Seite des Geliebten, fernab von allem. Dem Krieg konnte man aus dem Weg gehen, wenn man nur wollte. Manina brauchte ihren wirklichen Namen nie wieder auszusprechen, sie konnte einfach tun, was sie wollte, leben, wie es ihr gefiel, sich ihr eigenes Schicksal gestalten. Sicherheit und Glück.

      »Er ist da!« Aufgelöst stürmte das verliebte Mädchen in die Küche. »Du musst jetzt rausgehen, ich kann nicht! Er darf mich nicht sehen, nicht so!«

      Maja wollte etwas sagen wie: Seit wann schämst du dich, im Gasthaus zu arbeiten? Sonst bist du doch immer so stolz darauf, dass du arbeiten kannst wie jeder andere auch. Aber sie blickte in das verzweifelte Gesicht ihrer Freundin und sah, dass es für kluge Sprüche nicht an der Zeit war. Sie musste aufpassen; am Ende führte diese Geschichte noch dazu, dass Manina ihre Identität preisgab, nur damit ein abgekämpfter Reisender sie nicht bloß für ein einfaches Schankmädchen hielt. Ehemals Kaiserin von Deret-Aif, Königin von Aifa, Erbin des Throns von Kirifas … und immer noch Prinzessin. Immer noch die Tochter des unvergessenen Kanuna El Schattik und Halbschwester von Zukata.

      »Dann füll du die Suppe in die Teller. Sie müsste jetzt schmecken, hoffe ich. Wo ist das Brot?« Mit raschen Handbewegungen ordnete sie alles auf dem Servierbrett an. »Und wie erkenne ich deinen Schläfer?«

      »Er ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe«, stammelte Manina.

      »Ja, sicher. Wenn es dich schon erwischen muss, dann auch richtig, wie? Wie sieht er aus, für Leute, die nicht völlig von Sinnen sind? Dunkel, groß, oder …?« Musste sie denn immer gleich an Sorayn denken, wenn es um den schönsten Mann der Welt ging? Schäm dich, Maja, rügte sie sich selbst. Das Herz taugt nicht, um jemanden zu beschreiben. Das Herz kann nur sagen: Dies ist er, den ich gewählt habe. Dies ist der, der mich verraten hat.

      »Blond«, flüsterte die Kaisertochter. »Er ist blond. Er sitzt da hinten in der Ecke, unter dem schwarzen Balken. Du kannst ihn gar nicht verfehlen.«

      Sie lächelte verzagt und ängstlich und doch von einem Glück beseelt, das sich nicht leugnen und verbergen ließ.

      »Na, dann wollen wir uns den Auserwählten einmal ansehen«, sagte Maja, hob das schwere Tablett hoch und ging hinaus in die Stube.

      Mit überlaufenden Krügen kam Stollo ihr entgegen. »Dort«, er bewegte den Kopf und wies damit in die hintere Ecke des Raumes, »der Mann wartet schon länger. Wo bleibt denn endlich das Essen?«

      Maja drängte sich an ihm vorbei, ohne einen Tropfen Suppe zu verschütten. Sie balancierte ihre Last vor sich her durch eine mit gut aufgelegten Holzfällern besetzte Bankreihe. Den blonden Mann unter dem geschwärzten Balken sah sie erst, als sie fast vor ihm stand.

      Die heiße Suppe spritzte über ihre Schuhe. Das Servierbrett fiel krachend gegen die Bank, der Teller rollte unter den Tisch. Aber sie stand da und konnte sich einen schrecklichen Moment lang nicht rühren. Als sie endlich an Flucht dachte – zwei, drei Atemzüge zu spät –, als sie sich umwandte und rennen wollte, war er schon bei ihr und packte ihr Handgelenk.

      »Nun, Maja«, sagte er, und in der plötzlich entstandenen Stille, in der alle verwundert zu ihnen hinsahen, klang seine Stimme laut und deutlich, »wohin so eilig?«

      »Lasst mich los«, zischte sie.

      »Ganz recht, Finger weg von meinem Mädchen!«, blaffte Stollo.

      Manina erschien an der Verbindungstür zur Küche.

      Lass sie begreifen und verschwinden, betete Maja im Stillen, oh Rin, er darf sie nicht sehen …

      »Rette sich, wer kann!«, schrie sie, so laut sie konnte. »Das ist Erion! Erion von Neiara!« Sie wollte Manina zurufen, dass sie fliehen sollte, dass sie so schnell wie möglich Tamait holen und mit ihm fortlaufen musste, aber sie wollte nicht Erions Aufmerksamkeit auf die Prinzessin lenken. Mit Sicherheit war er wegen Manina hier, irgendwie musste er erfahren haben, dass sie hier wohnte. Aber er hatte sie noch nicht erkannt, noch nicht bemerkt …

      Mit schreckgeweiteten Augen starrte Manina zu ihnen herüber.

      »Auf der Stelle, hab ich gesagt, Finger weg!« Stollo versuchte Maja von dem Angreifer wegzureißen. Sie flog in die Arme des Wirts, als Erion sie plötzlich losließ.

      »Sie gehört mir«, erklärte er mit ruhiger, selbstbewusster Stimme, die verriet, dass er es nicht nötig hatte, um seine Beute zu kämpfen. Vielleicht sah er die Mordlust in den Augen des kräftigen Gastwirtes, in den Blicken der Holzfäller, die regelmäßig hier einkehrten, von denen mehrere drohend aufstanden, jedenfalls zögerte er nicht lange, schob seinen Ärmel hoch und zeigte ihnen das Zeichen, das er an seinem Oberarm trug: ein eingebranntes Z, darüber eine Krone. Mit Befriedigung nahm er zur Kenntnis, wie die Männer zurückwichen.


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