Kalte Berechnung. Michael Rapp

Kalte Berechnung - Michael Rapp


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Nero Latvica, oder soll ich Sie Erlkönig nennen? Ich konnte den Datenstrom Ihres ferngesteuerten Mordgerätes bis nach Nordmazedonien zurückverfolgen. Die Polizei in Skopje ist verständigt und dabei, Ihr Versteck zu umstellen.«

      Der Angreifer war erstarrt. Markus rann der Speichel aus dem Mundwinkel, nur seine Augen wollten sich noch bewegen. Er konnte gerade hoch genug schauen, um den Kopf der zweiten Maschine zu betrachten, die ihre Tarndecke abgestreift hatte und sie nun über dem linken Arm trug: eine humanoide PI, deren Modell nicht zu bestimmen war, denn sie trug keine äußere Verkleidung. Markus sah Teile des Metallskeletts, an dem graublaue Kunstmuskelbündel befestigt waren. Auf dem blanken Metallschädel der Maschine saß eine gelbe Baseballkappe mit der Aufschrift Sunflower Coffee. Sie lächelte schaurig.

      »Clever, das muss ich zugeben. Sie versenden Ihre Daten über Verkehrsleitsysteme und kommunizierende Kraftfahrzeuge großer Logistikflotten. So wird der Informationsstrom effektiv verschleiert und an den Sicherheits-KIs der Behörden vorbeigeleitet. Und all diese Vorbereitungen …« Die PI tätschelte mit ihrer Linken den Kunststoff der Wand. »Ihren eigenen mobilen Tatort zu installieren, hat etwas Geniales. So haben Sie fast vollkommene Kontrolle über die Spuren.«

      »Wer bist du?«, fragte Markus’ Spiegelbild düster.

      »Ich bin Die Antwort

      Ein überraschtes Zucken. »Die Antwort ist ein Darknet-Mythos!«

      Die nackte Maschine fasste an den Schirm ihrer Mütze. »Danke für die Blumen, Erlkönig. Da sind wir nun, zwei Legenden, die aufeinandertreffen.«

      Der Angreifer packte fester zu und zog Markus’ Kopf nach oben. »Verschwinde!«

      »Können Sie sie hören?«, fragte Die Antwort gelassen. »Polizei-Drohnen, die wie diebische Äffchen über Ihren Flur huschen und sich vor der Tür Ihres Arbeitszimmers sammeln. Das Kratzen, das Sie hören, wenn Sie Ihre Kopfhörer anheben, das sind keine Mäuse, es sind die Bewegungen der eng beisammenstehenden Einsatzmaschinen. Und das leise Klicken sind die Sicherungen ihrer Elektroschock-Pistolen.«

      »Ich höre sie jetzt«, sagte der Erlkönig. »Aber warum habe ich sie nicht kommen sehen? Warum hat mein Sicherheitssystem versagt? Warst du das?«

      Die Antwort fasste wieder an den Schirm ihrer Kappe. »Schuldig.«

      »Warum mischst du dich ein?«

      »Es war eine lohnende Aufgabe.«

      Der Auftragsmörder knurrte ungehalten. »Er hat gesagt, dass so was passieren würde. Aber er wollte nicht sagen, wann.«

      »Von wem sprechen Sie?«, fragte Die Antwort interessiert und kam einen Schritt näher.

      »Es kam über das Netz, ohne IP, ohne Namen. Ich soll demjenigen, der mich hereinlegt, etwas ausrichten: Serenity Base, 28. Januar.«

      »Serenity Base, tatsächlich?«

      »Falls du unser Zusammentreffen überlebst, sollst du pünktlich sein. Es würde sich auf jeden Fall lohnen … Verdammt! Er sagte auch, du würdest kein Ticket für den Clipper brauchen. Er muss also gewusst haben, dass du es sein würdest. Ich soll dir ausrichten: Der Preis, der dich im Erfolgsfall erwartet, ist das, was du dir am meisten wünschst.«

      »Niemand kann mir das geben.«

      »Er sagte, er könne es tun. Er sagte, ich soll sagen, er könne deine Fee sein. Wie albern.«

      »Das ist tatsächlich ziemlich albern … aber auch aufschlussreich. Ich werde dort sein.«

      »Falls du überlebst.«

      Plötzlich ging alles sehr schnell. Die Killermaschine riss Markus’ Kopf hoch und schlang den Arm um seinen Hals. Ihre offene Hand zielte auf Die Antwort. Die Kunsthaut explodierte; Schüsse ploppten aus der im Arm verborgenen Automatikwaffe. Die Anti-Robot-Geschosse sprengten faustgroße Löcher in die Wand. Die Antwort rollte sich nach rechts, die Tarndecke flog zur Seite und ihr Unterarm verwandelte sich. Knapp hinter dem Ellenbogen war der ursprüngliche Arm mit großer Kraft verdreht und abgerissen worden. Das, was jetzt den Unterarm und die Hand bildete, war eine schwirrende Masse, ein leuchtender Schwarm käferartiger Recycling-Effekte mit kräftigen Beißwerkzeugen zur Wertstoffzerkleinerung, der sich auf die Maschine des Erlkönigs stürzte.

      Die Maschine schlug um sich und ließ Markus los, der schwer zu Boden fiel. Dann stürzte sie auf ihn und drückte ihn mit ihrem Gewicht auf den Kunststoff. Seltsamerweise roch sie sogar nach Schweiß. Am Rand seines Sichtfeldes sah er einen der Metallkäfer aus der Kunsthaut des Gesichtes auftauchen, seine Mandibeln schnappten wie eine Blechschere. Panisch versuchte Markus, sich zu bewegen. Er hatte das Gefühl zu ersticken, und obwohl er innerlich schrie, brachte er nur eine Art Wimmern und Quietschen hervor. Die leblose Killermaschine wurde angehoben und zur Seite gerollt. Die Antwort drehte Markus auf den Rücken. Er blickte in den Schädel seines Retters, in die blauen Augen, auf die freiliegenden weißen Zähne und sog Luft in die Lunge.

      »Hi nir!«, stieß er mit lahmer Zunge hervor, was Hilf mir heißen sollte.

      Da sein Gegenüber kein Gesicht hatte, konnte er das folgende Schweigen nicht deuten. Schließlich sprach Die Antwort:

      »Herr Wirm, ich war schon lange hinter dem Erlkönig her. Ich wusste zwar, dass einer der Drogen produzierenden Geschäftspartner Ihres Partners ihn damit beauftragt hatte, unliebsame Ermittler und Konkurrenten zu ermorden. Doch die Sicherheitsmaßnahmen in seiner Organisation sind sehr streng, mein Erfolg war fraglich …«

      Einige der Käfer krabbelten über Markus’ Hüfte und seinen Bauch, er fühlte, wie sie ihre Flügel ausbreiteten und abhoben.

      »Ich war mir sicher«, fuhr Die Antwort fort, »würde Ihr Boss einen Killer benötigen, um einen Zeugen und vermeintlichen Spitzel auszuschalten, müsste er seinen Bekannten um Hilfe bitten, und ich bekäme meine Chance. Ich wollte fischen und brauchte einen schleimigen Wirm als Köder.«

      Du warst das? Du hast seine Mails an meinen Com geschickt? Du hast es aussehen lassen, als würde ich ihn ausspionieren! Markus sabberte wütend.

      »Betrachten Sie Ihr unfreiwilliges Mitwirken an Erlkönigs Verhaftung als Buße für Ihre Verbrechen.« Die Antwort warf sich die Tarndecke über und verschwand hinter dem falschen Umgebungsbild. Die letzten Käfer schlüpften in die Täuschung, dann erklangen sich Richtung Tür entfernende Schritte.

      »Eine Verabredung mit jemandem, der den Erlkönig vor mir aufspüren konnte. Wie aufregend.«

      18.01.2048, Texas

      Fliegen bot den Rausch, mit doppelter Schallgeschwindigkeit über die Prärie zu rasen. Das Gefühl, den hochmodernen Wasp-Waffenträger zu kontrollieren, unter dessen Deltaflügeln vier Coyote-II-Raketen hingen. Lenkwaffen, die ein Terroristencamp innerhalb von Sekunden in eine expandierende Wolke aus Feuer, Trümmern und Leichenteilen verwandeln konnten. Walther T. Easons Drohne war schon auf drei Kontinenten im Einsatz gewesen, er hatte sie über Steppen, Wüsten und Dschungel gelenkt. Walther selbst hatte es allerdings nie weiter als bis nach Veracruz, Mexiko geschafft.

      Schlürfen aus der Nebenbox. Benjamin »Benny« Parker hatte sein Mikrofon zur Seite gebogen und saugte an seiner Pepsi. Zu Beginn des Lehrgangs bei Waving Flag Incorporated war Benny noch spindeldürr und drahtig gewesen. Ein Ex-Soldat, auf inspirierende Weise erfüllt von patriotischem Eifer. Zweieinhalb Dienstjahre, eine Heirat und drei bezaubernde Kinder später spannte seine Dienstkleidung über einem Waschbärbauch und nicht mehr die Flagge, sondern College-Football-Spiele, Barbecue-Wettbewerbe und das Feierabendbier bei Janes’ ließen seine Augen leuchten.

      »Wir bauen einen Pool«, unterbrach Walther das nervige Schlürfen.

      »Meine Tam will auch einen für die Kinder, aber mehr als so ein Stahlgerippe-Aufstellteil könnten wir uns nicht leisten. Was bekommt ihr?«

      »So ein Aufstellteil … Aber ist doch egal. Wasser


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