Kalte Berechnung. Michael Rapp

Kalte Berechnung - Michael Rapp


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Rangelei mit einem ausfällig gewordenen Betrunkenen hatten er und Susan versucht, den Kern der PI mit Carstens Com zu manipulieren. Richard prostete dem auf eine Holzplatte gemalten Bild von Guy Fawkes zu, der gerade zu seiner Richtstätte geführt wurde. Du hattest deinen Plan wenigstens nicht von YouTube.

      »Willst du den ganzen Tag schmollen?« Mike Drei Sieben lehnte auf dem Tresen und blickte ihn aus seinen blauen Roboteraugen an. Richard fühlte über das Emotionsfeedback des Emo-Links die miesen Schwingungen der Maschine. »Als du sagtest, du wolltest einen auf die alten Zeiten heben, dachte ich, das wird so ein menschliches Abschiedsritual zum Eintritt in eine neue Lebensphase wie ein Junggesellenabschied oder ein Abschlussball – irgendwas Geselliges mit brauchbarem Unterhaltungswert. Aber jetzt sieht es aus, als wolltest du uns in dieser nach Bier und versteinertem Zigarettenqualm stinkenden Touristenfalle endgültig die Stimmung vermiesen.« Leise fügte die Maschine hinzu: »Wenn du mich weiter mit so üblen Emotionen fütterst, werfe ich eine Bombe, und zwar genau hier.«

      »Robs haben im Pub nichts zu suchen«, sagte der Barmann, ein molliger Zwanzigjähriger mit dünnem Bart und breiten Hosenträgern über dem Schottenhemd. Richard knurrte nur zur Antwort.

      Mike lächelte sardonisch und schabte mit seinen abgenutzten Fingerkuppen über den Tresen. »Komisch, ich dachte, ihr hättet durch die Pacht einen exklusiven Ausschankvertrag mit Fleet. Wieso habe ich dann letzte Woche leere Heineken-Kisten an eurer Hintertür gesehen …? Vielleicht sollte ich das mit dem Fleet-Vertrieb abklären?«

      »Scheiß-Maschinenbastard«, schimpfte Mr. Hosenträger, trollte sich aber zu seinen Gin-Flaschen.

      Mike kratzte sich mit dem Mittelfinger an der Nase, eine Geste, die er irgendwo abgeschaut hatte und die offenbar das einprogrammierte Beleidigungsverbot unterlief. Er richtete sich auf und streckte sich. »Komm schon, der Laden ist nur was für alte Säcke und unentschlossene Selbstmörder. Wir haben Arbeit.«

      Richard seufzte und hob sein Porter. »Auf alle Dinosaurier-Bullen, die hier getrunken haben, bis sie ausgestorben sind.« Er trank sein Bier aus, setzte das Glas lautstark auf den Tresen und erhob sich, wobei er seinen Mantel von der Stuhllehne zog. »Fahren wir nach Hause, ich hab für heute die Schnauze voll.«

      »Und der Job?«, fragte Mike genervt. »Ich habe dir gesagt, das ist eine Überraschung. Es wird dir gefallen, und es ist nur eine kurze Fahrt.«

      »Ich bin in Rente.« Der Satz schmeckte bitter. Er warf sich den Mantel über und nahm seinen Regenschirm, der am Tresen lehnte.

      Mike verzog den Mund. Richard ließ ein letztes Mal den Blick durch den Raum wandern, der sich kaum verändert hatte, seit er vor zweiunddreißig Jahren hier seinen Einstand beim CID gefeiert hatte. Seltsam, in seiner Erinnerung schienen erst ein paar Sommer vergangen zu sein. Dabei war er gerade 67 geworden, und der Schmerz in seinen Gelenken war die neue Normalität. Schon lange hatte er keinen Arzt mehr an sich herumdiagnostizieren lassen, auch wenn Mike ihn ständig daran erinnerte. Schließlich teilten sie über die Emo-Verbindung auch den Schmerz, was für die PI anfangs irritierend gewesen war.

      Mit minimalem Nicken grüßte er in Richtung des Barmanns, der sich schmollend wegdrehte. Mike hielt ihm die Tür auf, was Richard zu einem besonders ungehaltenen Knurren veranlasste. Er öffnete und schloss die linke Hand, der Arm schmerzte schon wieder und war etwas steif. Er wusste verdammt gut, was das bedeuten konnte, wusste, welches Risiko er einging, indem er den Schmerz ignorierte. Aber wozu etwas unternehmen? Seine Show war gelaufen, das Feuerwerk abgebrannt. Er würde die City verlassen müssen, die Straßen, in denen er aufgewachsen war und die er jahrzehntelang gegen Mörder und Terroristen verteidigt hatte. Mit seiner Rente konnte er sich das Leben hier nicht mehr leisten – verdammt, selbst mit seinem Lohn hatte er es sich nicht leisten können. Die Interessenten für seine Wohnung kreisten schon. Er hatte die von den Großeltern geerbten achtzig Quadratmeter immer für ein heruntergewirtschaftetes Loch gehalten, aber wie sich herausgestellt hatte, würden sie ihm ein Vermögen bringen. Mehr als genug, um die hundertzweiundneunzigtausend Pfund Privat-Darlehen über UKlendeasy.com zurückzuzahlen und eine schicke neue Wohnung in Ipswich zu kaufen. Doch für jemanden aus der City lag schon Romford verdächtig nahe am Arsch der Welt.

      Aus dem grauen Himmel sprühte Regen in sein Gesicht, zu wenig, um deswegen den Schirm zu öffnen. Touristenhorden aus aller Welt zogen unerschütterlich fröhlich über die Bürgersteige, um etwas von dem Restcharme des einstigen Zentrums des Empires aufzusaugen. Wann ist alles scheiße geworden?, fragte sich Richard und rieb sich den Arm. Vielleicht wäre es doch kein Fehler, mal Blutdruck zu messen. Wann war das letzte Mal? Er erinnerte sich nur noch an die Pflichtuntersuchung anlässlich seiner Beförderung zum Chief Inspector …

      Ein E-Car hielt vor ihnen auf der Straße. Mike seufzte, öffnete die Tür. Und für einen Moment fühlte Richard Mikes Furcht, dass mit seinem menschlichen Partner irgendwann auch ein Teil von ihm sterben würde.

      »Nichts ist peinlicher als ein neurotischer Roboter«, stichelte er.

      »Wem sagst du das!« Mike seufzte noch einmal. Er war ebenfalls nicht mehr der Jüngste, sein Baujahr lag so um 2031–32, genau hatte Richard sich das nicht gemerkt. Seine verstärkte schwarz-gelbe Oberfläche glänzte nur noch an wenigen Stellen. Hier und da zeigten sich Spuren vergangener Einsätze. Und an diese konnte sich Richard gut erinnern. Jede Schramme, jede Brandnarbe war eine Geschichte, wenn auch nicht immer eine gute.

      Richard ließ sich schnaufend auf den Sitz sinken und wuchtete die Beine in den Wagen, erst das rechte, dann das linke. Seine Knie jubilierten, und seine Hand würgte den Hickorygriff seines Schirms, sodass seine Knöchel weiß hervortraten. Er hatte das Gefühl, von den Touristen angestarrt zu werden wie eine lokale Sehenswürdigkeit, und für einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, ihnen etwas für ihr Geld zu zeigen, seinen nackten Arsch zum Beispiel. Aber bis er den hochbekommen hätte, wäre die Bande längst auf der Charing Cross Road verschwunden.

      »Was ist das für eine Arbeit, die mir gefallen soll?«, fragte er stattdessen, Desinteresse heuchelnd. »Also, was ist die Überraschung?«

      Mike lächelte und ließ sich seinerseits Zeit mit der Antwort. »Ich habe auf deinen Namen eine Detektei eröffnet. Richard Harris ist jetzt Inhaber von Deep Investigations. Deine Lizenz wurde heute Morgen ausgestellt.«

      »Ich als Detektiv? Bilde dir bloß nichts ein«, grummelte Richard, kam aber angesichts der Frechheit der PI nicht um ein trockenes Auflachen herum.

      »Ich wusste, du würdest den Klang des Wortes mögen …«

      »Detektiv?«

      Mike sah Richard an.

      »Arbeit – der Ruhestand würde uns umbringen.«

      Richard starrte aus dem Fenster. »Hast du solche Angst davor, meine Emotionen zu verlieren, weil du dann wieder eine ganz normale PI bist? Oder glaubst du, man wird dich nach meinem Tod verschrotten? Irgendwann ist es auf jeden Fall so weit. Meine Teile können nicht beliebig ausgetauscht werden, und selbst wenn das ginge, würde ich da nicht mitmachen.«

      Mike schwieg. Der Wagen bog um die Ecke. Regentropfen zogen kleine Ströme über die Scheibe.

      »Privatdetektiv.« Richard schüttelte den Kopf. »Von all deinen dummen Ideen ist das die dümmste. Ganz ehrlich, du müsstest mal zum Schraubendoktor.« Irgendwie machte ihm die Idee aber doch Spaß.

      Mike blickte lächelnd aus seinem Fenster. Die City zog vorbei, ein Trupp Royal Horse Guards, verfolgt von einer Kameradrohne der BBC, überteuerte Cafés, Automaten-Schneidereien bekannter Modehäuser und kitschige Andenkenshops. – Vielen Dank für Ihren London-Besuch, wir hoffen, Sie hatten Spaß auf dem Riesenrad. Beehren Sie uns bald wieder und bringen Sie Ihre Kinder mit. Richard und Mike teilten den Ärger und spielten den Ball der Verachtung über den Emo-Link hin und her.

      »Wer ist unser Auftraggeber, darf man das erfahren?«, grummelte Richard schließlich. »Für wen sollen wir wen ausspionieren? Wessen abgängigen Ehemann verfolgen?«

      »Warum so zynisch? Bei der Met haben


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