Kalte Berechnung. Michael Rapp

Kalte Berechnung - Michael Rapp


Скачать книгу

      »Wir haben etwas für die Gesellschaft getan!«, brauste Richard auf. »Abschaum von den Straßen geschafft! Totschläger, Raubmörder und den einen oder anderen richtig gefährlichen Bastard!«

      Mike legte den Kopf auf die Seite. »Nur wenn wir Erfolg hatten, was zuletzt nicht immer der Fall war. Denk an die Hardwicks, Martha Engreen und ihren Sohn Nick.«

      Richard versteifte sich und sandte Mike ein wirklich übles Gefühl.

      Die PI fuhr unbeeindruckt fort: »Vielleicht ist es besser, wenn neuere Modelle unseren Job machen und wir uns zukünftig auf die kleinen Sünder konzentrieren.«

      Richard starrte ihn an und versuchte seine Gedanken zu lesen. Was soll das?, fragte er sich. Mike wusste genau, dass er in den letzten Wochen an kaum etwas anderes gedacht hatte als daran, Iven Wescott zu schnappen, den Mörder, der ihm entkommen war, gerettet von Richards Pensionierung. Er erinnerte sich an das Fahndungsbild, das kantige Gesicht unter einem Deckel aus braunem, an den Spitzen rot gefärbtem Haar, an die graublauen, abwesend blickenden Augen. Bankraub war selten geworden, besonders die altmodische Dillinger-Nummer mit vorgehaltener Waffe. Die meisten, die das heute noch versuchten, taten es in rührender Einfalt und fanden sich folgerichtig wenige Schritte hinter der Tür auf dem Bauch liegend unter einem Sicherheitsroboter wieder, der ihnen die Glieder neu ordnete und dabei erklärte, dass die Polizei bereits auf dem Weg sei und die Bank ihnen die Betriebsunterbrechung und alle ihren Kunden und Mitarbeitern anfallenden Kosten in Rechnung stellen werde. Mit solchen Versagern hatte Richard im Stillen sogar Mitleid. In einer Welt gelenkt von künstlicher Intelligenz waren menschliche Idioten eine stark gefährdete Spezies. Wie oft hatte er erlebt, dass sich Betrunkene, halbstarke Schlägertypen oder von sich überzeugte harte Kerle mit Robotern angelegt und den Kürzeren gezogen hatten. Eine Jarlberg-Antiope aus Mikes Baureihe war dreimal so schnell und viermal so stark wie ein kräftiger Mann und kannte im Nahkampf alle schmutzigen Tricks. Dazu kamen die versteckt eingebauten nichttödlichen Waffen. Taser, Schallkanonen und Blitzlichter in den Handflächen, die einen hundert Kilo schweren Kickboxer binnen Sekunden in ein blindes, taubes, zuckendes Panikbündel verwandeln konnten. Nein, Menschen mit einem Funken Verstand legten sich nicht mit PIs an. Es sei denn, sie hatten einen Plan. Iven Wescotts Plan war es gewesen, die Maschinen von sich abzulenken, indem er gezielt auf Unschuldige geschossen hatte. Während die PIs der Bank seinen Opfern Erste Hilfe leisteten, war er entkommen. Der polnische Kundenbetreuer Filip Lipa war auf dem Marmorboden der LC Bank am Schock eines Bauchschusses gestorben. Martha Engreen hatte einen Schulterdurchschuss erlitten. Die austretende Kugel hatte ihren achtjährigen Sohn am Kopf gestreift. Und vor der Bank hatte Martin Hardwick seine Frau Joan verloren, mit der er zwölf Jahre verheiratet gewesen war. Wescott hatte keine Beute gemacht, doch immerhin war er entkommen, als erster englischer Bankräuber seit sieben Jahren, weil er unter all den Idioten der rücksichtsloseste und brutalste war.

      Nach einer zehnminütigen Fahrt hielt das E-Car vor einem alten Bürohaus auf der Isle of Dogs. In den Fenstern spiegelten sich der graue Himmel und ein Schwarm Tauben. Über dem Eingang hing die Videofolie eines Maklers: 2.100 Quadratmeter Bürofläche in bester Lage … Richard wuchtete sich vom Sitz, stützte sich auf seinem soliden Schirm ab und warf die Tür hinter sich zu.

      »Was wollen wir hier?«

      Ohne ein Wort ging Mike zum Eingang. Er legte die Hand auf das RFID-Schloss, öffnete die Tür und trat in die Lobby. Woher hat er den Code?, wunderte sich Richard. Er sah sich um: Teile der Deckenverkleidung fehlten, Kabel und Röhren hingen herab, und es roch abgestanden und ein wenig nach offenem Kanal. Mike verriegelte die Tür hinter Richard. Die verbliebenen LED-Lampen an der Decke leuchteten auf. Das Licht am Aufzug ging an, und die Tür öffnete sich mit leisem Scharren.

      »Kannst du mir endlich verraten, was das wird?« Richard folgte Mike in die Kabine, immer noch verärgert, aber auch gespannt, wo das alles hinführte.

      »Das Ergebnis des DNA-Abgleichs kam heute früh rein«, sagte Mike geheimnisvoll. »Ich habe ein Labor in Irland damit beauftragt, auf deine Kreditkarte … Tut mir leid, es war nicht billig. Aber ich bin mir sicher, es wird sich lohnen.«

      Richard fühlte ein vertrautes Kribbeln in den Fingern. Das Jagdfieber schlich sich an ihn heran. »Abgleich wovon?«

      »Einer Probe, die ich von einem Stück Plastikmüll genommen habe, mit der DNA aus Wescotts Wohnung …« Er betätigte den Knopf für das achte Stockwerk.

      »Wescott? Du hast ohne mich ermittelt?«

      »Ein alter Komplize von Wescott, Ron Voight, hat hier früher als Haustechniker gearbeitet. Er versorgt Wescott immer samstagnachts mit Lebensmitteln, auf Speicherkarten geladenen Serien und Pornos und entsorgt den Müll über seine eigene Tonne. Das erhöhte Müllaufkommen ist mir in seinen Abrechnungsdaten aufgefallen. Also habe ich einige Proben geholt. Dabei bemerkte ich, dass jemand einige der Verpackungen gewaschen hatte, wohl um Fingerabdrücke zu beseitigen, aber die DNA-Spuren wurde er so nicht los. Anschließend habe ich mich ein bisschen mit dem Wagen des Typen darüber unterhalten, wo er so unterwegs war und was er dabei aus dem Netz geladen hat – ein ganz süßes französisches Gefährt übrigens …«

      »Mike!«

      »Jedenfalls bin ich so auf diese Adresse aufmerksam geworden …«

      Der Aufzug hielt, und die Türen öffneten sich. Auf einer Matratze inmitten des großen, offenen Raums, umgeben von Fertignahrungsschalen, Bierdosen und leeren Plastikflaschen, saß ein Mann. Den Kopf über ein Tablet gesenkt, spielte er ein Ballerspiel. Piepsige Musik drang aus seinen Ohrhörern, unterlegt vom dumpfen Wummern der Waffe. Iven Wescott hatte sichtlich Gewicht zugelegt, er wirkte müde und depressiv.

      »Herzlichen Glückwunsch zur Pensionierung, Partner.« Mike trat aus der Kabine. Richards Wut kochte in seinen Adern; in seinen Ohren rauschte das Blut. Selbst die schmerzenden Knie waren vergessen. Wütend ging er auf Wescott los. Dieser bemerkte die Bewegung und hob den Kopf, nur um den aus Hickoryholz gefertigten Griff eines Regenschirms auf sich zufliegen zu sehen. Der Mörder kippte zur Seite, verlor den Kopfhörer und spuckte Blut auf die Matratze. Seine Hand schlüpfte unter das Kissen und holte eine klobige Sportpistole hervor. Richard schlug zu, und die Waffe landete zwei Meter entfernt auf dem abgenutzten Teppich. Wescott schrie wütend und versuchte, sich aufzurichten, aber Richard trat seinen Arm weg, sodass er zurücksackte. Der nächste Schlag traf wieder seinen Kopf. Benommen krabbelte der Kerl hinter der Waffe her, doch als er die Hand ausstreckte, nagelte Richard sie mit der Stahlkappe des Schirms auf den Boden.

      Mike Drei Sieben sah aufmerksam zu und sog Richards rachsüchtige Genugtuung in sich auf.

      »Übertreib es nicht, Partner. Schließlich muss ich nachher aufräumen und mir eine Geschichte ausdenken. Die Leute glauben zwar, dass eine PI nicht lügen würde, aber die Beweise sollten auch nicht gar zu deutlich in diese Richtung weisen. Außerdem ist der Kerl eine Viertelmillion Pfund an Belohnungen wert.« Er sandte ihm ein beruhigendes Gefühl.

      Richard kickte die Pistole zur Seite, dann erst hob er den Schirm. Schnaufend kniete er sich auf Wescotts Rücken, verdrehte dem Blutenden und Fluchenden die Arme und legte ihm die Handschellen an, die er aus Gewohnheit in der Manteltasche mitführte.

      »Weißt du, ich nehme es zurück. Die Idee mit der Privatdetektei ist vielleicht doch nicht so bescheuert. Mehr Freizeit, weniger Regeln und niemand mault, wenn ich im Dienst trinke …«

      »Außer mir, meinst du wohl.«

      Zuerst bemerkte Richard es nicht, als an der kahlen Bürowand leuchtende Buchstaben aufflammten und sich, wie von Drucklettern gesetzt, Wörter bildeten. Erst als er Mikes Überraschung fühlte, hob er den Kopf.

      »Richard!« Mike starrte auf die Wand.

       Glückwunsch zur Verhaftung, PI Harris!

      Ihre nächster Auftrag: 28.01., Serenity Base, Meer der Heiterkeit. Erfolg erfüllt Ihnen Ihren größten Wunsch. Dagegen hätte Nichterscheinen ein Aufdecken Ihrer Gesetzesverstöße zur Folge.

      Das Licht verschwand, zwei schillernde Papiere lösten sich von der Decke


Скачать книгу