Rosenegg. P.B.W. Klemann
das Beil aus der Hand entwunden und begann, dem Ochsen schöne, saftige Stücke abzuschneiden, welche er an uns weiterreichte. Die Köche waren indessen ganz in eine Ecke gedrängt, und immer mehr des Volks stritt um das gute Fleisch, rissen jenes teils mit bloßen Händen vom Tiere, kämpften wie Wölfe um die Beute, rissen an den Gliedern und dem anderen Viehzeug, zogen an den Beinen und am Kopfe, dass es zum Erschrecken war. Bald begann der ganze Pavillon bedenklich zu schwanken und zu wanken, versuchten etliche von hinten und den Seiten über die Wände des Baus zu klettern, andere hieben und zerschlugen die Holzbalken, um sich derart Zugang zu verschaffen, und wieder andere drückten und hieben gegen die Stützpfeiler, als wollten sie den ganzen Bau niederstürzen, wie Simson es einstmals über die Philister getan.
Wie wir von dort entkamen, vermag ich nicht mehr zu sagen, sehe uns aber noch mit guter Beute das Feld räumen, waren wir alle mit großen Stücken guten Fleischs versehen, hatte der Korporal ein ganzes Ochsenbein gelöst und trug dieses stolz über der Schulter. Noch während wir speisten, kam bereits neue Bewegung ins Geschehen, hieß es mit einem Male: Sie werfen wieder Münzen! Diesmal jedoch vom Balkon des Rathauses hinab, und hatte sich das Volk vormals um den Weinbrunnen und Ochsen getummelt und gestritten, stürmten die Massen nun gegen den Römer; und wenn du glaubtest, lieber Leser, dass es zuvor schon rüpelhaft und wild zugegangen sei, dann erkläre ich dir, dass fortan gänzlich alles Maß verloren war.
Auf zum Römer!, hieß es sogleich, und wir eilten los, warfen die Reste des Fleisches einfach weg und rannten ins Getümmel. Wir tauchten ein in den Menschenstrom, wurden mitgerissen von seiner Kraft und seinem Sog, brandeten gegen das Rathaus, und ich wurde hin und her geschoben und gedrückt, dass ich mich plötzlich ganz alleine fand und keinen der anderen bei mir. Ringsum hatten die Leute die Hände zum Himmel gereckt, um die Münzen zu erschnappen, die es regnete, sah ich überall nur hochgestreckte Arme und Hände und lauter fremde Antlitze. Ich sah zum Balkon, wo die hohen Herren standen, war so nahe, dass ich sie gut erkennen konnte, wie sie dort sich belustigten, mit den Fingern auf uns zeigten und sich amüsierten, aus silbernen Bechern tranken und von silbernen Platten sich verköstigten, derweil sie in die Münzsäcke griffen, die ihnen die Diener hielten, und Gegriffenes hinabwarfen. Hoch über uns, da standen sie, unerreichbar, und doch hatte ihr Tun solche Wirkung auf uns, die wir zu ihren Füssen uns stießen und schlugen und niederwarfen, indessen sie uns lachend zugesehen.
Da wurde mir mit einem Mal schrecklich schwindelig und schlecht, war mir alles zu voll und dicht und zuwider, und ich wollte nichts als weg und fort. Irgendwann fand ich mich frei, torkelte über den Platz von hier nach dort und sah nur fremdes Volk und wusste nicht wohin. Einiges an Zeit muss ich derart verwirrt umhergelaufen sein, denn ich entsinn mich noch, dass es bereits dämmerte, als mich jemand anrief. Die Maria war’s, unseres Gastwirts Weib, die meinen Namen rief. Alleine stand sie da und winkte mich zu sich, fragte, wo denn meine Gefährten seien? Und ich antwortete, dass ich es nicht wisse, und frug zurück, wo denn ihr Mann? Er sei ihr auch verloren gegangen, sei gleichfalls los zum Münzensammeln, und sie habe ihn seither nicht mehr gesehen. Hast zum Saufen?, fragte sie, und ich reichte ihr meine Flasche, welche noch gut gefüllt war. Sie nahm einen großen Schluck und gab sie mir zurück, worauf ich auch einen guten Zug nahm, mich dabei aber ungeschickt verschluckte und husten musste. Da lachte sie mich aus, und ich erstaunte, denn nun erst wurde mir gewahr, wie jung sie eigentlich noch war, und dieses junge, unbefangene Lachen hatte ich sie zuvor, so glaubte ich zumindest, noch niemals lachen hören, ließ es mich ihre Jugend erst wirklich erkennen. Sie wisse, wo man frisches Bier ausschenke, vermeinte sie, ob ich denn noch den einen oder anderen Kreuzer über hätte, was ich bejahte.
Ich folgte ihr durch die Gassen, mag es in der Nähe der Märkte gewesen sein, doch sicher bin ich nicht, entsinn ich mich allein noch gut der Fröhlichkeit des Volks, wurde getanzt und gesungen auf den Straßen, spielten hier und dort Musikusse, wozu geklatscht wurde und im Kreise sich gedreht. Die ausgelassenste Stimmung umgab uns, und nichts ließ mehr von der wilden Tollheit auf dem Römer erahnen. Das Bier war kalt und frisch und bekam mir gut, besser als der schwere Wein, und bald schon sah ich mich mit der Maria Hand in Hand tanzen. Meine Tanzkunst war zu jener Zeit von kümmerlicher Qualität, und ich fürchte, auch später nie zur Meisterschaft gelangt zu sein, doch trunken war ich und jung, und so sprang und drehte ich mich, ließ meine Beine durch die Lüfte sausen und klatschte mit den Händen. Maria tat es mir gleich, und gemeinsam hüpften und tanzten wir, als wär uns alles gleich und wir alleine auf der Welt. Irgendwann gingen wir von dort fort, führte mich Maria an der Hand durch eine enge Gasse, ich glaube, dass wir zurück zum Römer wollten, da sahen wir zwei Pärchen inniglich umschlungen, die ganz ungeniert dem Eros huldigten, die einen links und stehend an der Wand, die andern rechts einfach auf dem schlammigen Boden. Wir schlichen an ihnen vorüber, indessen diese unverhohlen seufzten und stöhnten, konnten uns das Lachen kaum verkneifen. Doch waren diese derart in ihr Tun vertieft, dass wohl eine ganze Compania unbemerkt hätte passieren können. Kaum waren wir vorüber, blieb Maria stehen und sah mich ernst an. Komm, sagte sie dann und zog mich in einen nahen Hauseingang. Sie küsste mich sacht mit offenen Augen und begann, meine Hose zu öffnen. Komm, mach schnell!, sagte sie und griff in meine Hose.
Als wir auf den Römer gelangten, war es schon recht dunkel, und das Volk stand im weiten Kreise um ein großes Feuer herum, genährt aus dem einstmaligen Pavillon, das nun lichterloh brannte. Wir kamen in den Schein der Flammen, da rief eine Stimme nach mir: Bruder! Da bist ja! Der Andreas war’s mit einer jungen Dirne im Arm. Überschwänglich umarmte er mich und ich auch ihn, schien er trunkener noch als ich selber: Potztausend, Bruder, meinten schon, dich verloren zu haben, rief er. Wo denn die anderen seien?, frug ich. Dort, der Bastian! Wobei er auf unseren Kameraden wies, welcher mit dem Rücken zu uns stand, ins Gespräch vertieft mit zwei fremden Gestalten. Hat Freundschaft geschlossen! Kennst ihn ja! Die Übrigen, weiß der Teufel! Er stellte mich der Dirne vor, entsinn ich mich nicht mehr des Namens, und ich sah mich nach Maria um, doch war selbige mit einem Male verschwunden. Mein Blick wanderte umher, sie zu finden, da packte mich der Bastian, der mich nun erst entdeckt hatte, in einer festen Umarmung und hob mich in die Luft: Der Kaspar ist da!, lachte er und ließ mich wieder los. Seine neuen Bekannten, die beide Schmiede waren, vermeinten, sie wüssten, wo es noch trefflich zugehe, wir ihnen deshalb folgen sollten. Ich sah mich ein letztes Mal nach Maria um, vergebens aber, so brachen wir denn auf.
In ein großes, stattliches Zunfthaus führten sie uns, mit offenem, weitem Saal mit langen Tischen und Bänken, wo es wahrlich zünftig zuging, zumindest soweit ich es noch weiß, ging es alsbald wieder mit dem Saufen weiter, und nunmehr, lieber Leser, verliert sich endlich ganz die Spur meines Gedächtnisses und kann erst wieder anknüpfen in jenem Augenblicke, als ich erwachte, den Kopf auf dem klebrigen, bierbespritzten Tische liegend.
Ich entsinn mich noch, wie ich den Kopf von gemeldetem Tisch hob, um mich sah und im ersten Moment weder wusste, wo noch wann noch wer ich war. Das dämmernde Morgenlicht schien durch die Fenster, und wie die Sicht mir klarte, sammelte sich mein Geist, und ich entsann mich des Geschehenen und endlich auch, wo ich zugegen. Überall um mich herum lagen die Leute quer verstreut und durcheinander, auf den Bänken und Tischen, auf den Tresen und Fenstersimsen und etliche gar auf dem Boden, schnarchte es aus allen Ecken und Enden. Ich stand auf und torkelte Richtung nächstgelegener Tür, denn meine Blase pressierte mich derartig, dass ich zu platzen fürchtete, musste des Weges über mehrere Schlafende steigen, die maulten, wenn ich ihnen auf Hand oder Fuß trat.
Ich kam in einen Flur hinaus, doch konnte ich mich beim besten Willen nicht entsinnen, wo Aus- noch Eingang sich befunden, lief daher in die erstbeste Richtung, stieg einige Treppen rauf und andere wieder runter, öffnete mal hier, mal dort eine Tür, doch stets erfolglos, bis ich es endlich nicht mehr verhalten konnte, die nächste Tür, die ich fand, aufriss und es einfach laufen ließ. Potz Teufel, noch mal!, ertönt es da aus dem Kämmerlein, in welchem ich mit heruntergelassener Hose dastand: Dir auch ’nen schönen Morgen!, lacht mir der Andreas entgegen von einem kleinen Bette aus. Sich an meinem Anblicke verköstigend, schüttelte es ihn derart vor lauter Lachen, dass er gar aus dem Bett fiel. Zwei weitere Gestalten entdeckte ich nun gleichfalls im Bette, die Dirne, an welche ich mich noch von tags zuvor entsinnen konnte, und offenbar eine weitere Dame, beide schlafend, doch wegen entstandener Komödia und Lärm gerade erwachend. So eilte ich mich, meine Notdurft zum Abschluss zu bringen,