Die Prinzess von Alaska. Richard Henry Savage
Hause des Kommandanten, einem zweistöckigen, blockhausartigen Gebäude, das eine mattengedeckte Galerie einfasste, herrschte reges Leben. Kuriere und Ordonnanzen gingen ab und zu durch die dichten Gruppen von Offizieren aller Waffengattungen, die hier und dort plaudernd umherstanden. Die blaue Uniform wurde häufig von den langen, grauen, astrachanverbrämten und goldverschnürten Ueberröcken unterbrochen, die den russischen Offizieren das Typische geben. Auf den rauhen, meist scharf geschnittenen Gesichtern lag ein Zug der Erwartung. Eine eigene, lebhafte Art der Unterhaltung, in die sich das Klirren der Waffengehänge und Sporen mischte, kam überall zum Ausdruck. Wusste man doch, dass die Signale von der Insel Constantin das Einlaufen einer Korvette angekündigt hatten, mit der man den vom Zaren in besonderer geheimer Mission nach Alaska und Kamtschatka entsandten Grafen Fersen erwartete.
Eine Generalinspektion war sicher; allerhand militärische Schauspiele und gesellschaftliche Vereinigungen selbstverständlich, denn der Gesandte des Zaren vertrat die Person des Herrschers selbst; er musste mit ausserordentlichen Ehren empfangen werden. Das liess auch das rege Leben ahnen, das allenthalben herrschte.
Die Ketten von Wachtposten, die sich von der Kommandantur bis zu den äussersten Ansiedelungen der Kosaken dehnten, um jeden Befehl mit Blitzesschnelle in die entlegensten Teile der Festung zu übermitteln, schienen in fortgesetzter Unruhe. Dazu jagten die leichten Tarantassen und Kibitkas heran, denen die Würdenträger des Distriktes mit ihren Damen entstiegen, um beim Empfange und den Festlichkeiten nicht zu fehlen. So manche der helläugigen Amur-Schönen erweckte dabei das Interesse der Harrenden, forderte Gruss und Gegengruss heraus.
So wurde das Leben und Treiben in den weiten Salons der Kommandantur, die sich den Gästen und Offizieren der Garnison geöffnet hatten, immer bunter. Allein das Kichern, Lachen und Plaudern schien wie mit einem Male zu verstummen, als die schlanke Gestalt eines Mannes in der grauen Sträflingsjacke sich der zu der Galerie des Kommandanturgebäudes führenden Treppe näherte.
„Fedor Orloff,“ ging es flüsternd von Mund zu Mund, und mit einer gewissen Aufmerksamkeit trat man zur Seite, dem ehemaligen Kameraden Raum zu lassen.
Orloff war von dieser Aufmerksamkeit sichtlich berührt und seine Hand zitterte merklich, als er seinem Vorgesetzten mit stummem, militärischem Grusse gegenübertrat.
„Vorwärts, Orloff!“ begrüsste ihn dieser mit einer gewissen dienstlichen Schärfe im Ton. „Man erwartet von Ihnen einen Bericht über unsere Strandbefestigungen!“
„Zu Befehl!“ verabschiedete sich Orloff und stand im nächsten Augenblicke dem Diensthabenden gegenüber, der ihn durch ein kleines Vorzimmer in den grossen Sitzungssaal der Kommandantur eintreten hiess und ihn mit lauter Stimme meldete: „Der Gefangene Nr. 24 190.“
Orloff trat zu dem kommandierenden General, vor dem er, die Hand zum Grusse erhoben, schweigend stehen blieb.
General Dachkoff befahl ihm durch eine Handbewegung, an einem Seitentische Platz zu nehmen, ohne sich in der Unterhaltung, die er eben mit dem Admiral der Marine-Station von Wladiwostock führte, stören zu lassen. Es war eine eigenartige Stimmung, die in dem Saale herrschte, und Orloff musste sein Auge erst an den Glanz gewöhnen, der ihn umgab.
Unwillkürlich trat ihm das öde Bild der elenden Hütte vor Augen, in der er sein Dasein fristen musste, und eine glühende Röte trat auf seine Wangen. Er musste alle seine Kraft zusammennehmen, um die Herrschaft über sich zu bewahren. Da fiel sein Blick auf den General, der an der Spitze der langen Tafel sass, in goldstrotzender Uniform, die breite Brust mit Orden und Sternen übersäet. Vor ihm lagen Karten, Pläne und das Memorandum, das Orloff in der Zeit seiner Gefangenschaft mit so grosser Sorgfalt gearbeitet hatte, um das Elend seines Daseins zu betäuben. „Der Zar wird lesen, was der Sträfling geschrieben!“ huschte es ihm leise über die Lippen. „Aber der Zar wird sich dennoch nicht des Mannes erbarmen, der die Schätze des Amur ihm zu Füssen legt. Der Zar ist unversöhnlich!“
„Vronsky!“ tönte da laut die Stimme des Generals durch den Raum.
Der Adjutant stand wie aus Erz gegossen vor ihm.
„Die Herren vom Empfange sollen abtreten. Nur die Herren Kommandeure lasse ich bitten.“
„Zu Befehl!“
Im nächsten Augenblick schob und drängte es durch den Saal, dann leerte er sich allmählich. Die befohlenen Offiziere traten an die Beratungstafel heran. Der Adjutant erstattete dem Kommandierenden seine Meldung, und lautlose Stille herrschte in dem glänzenden Gemach.
„Meine Herren!“ ergriff General Dachkoff das Wort: „Ich habe Sie zusammenberufen, damit Sie mir beistehen, Seine Exzellenz Graf Fersen zu empfangen. Er trifft in besonderer Kaiserlicher Mission hier ein. Voraussichtlich werden unsere Küstenbefestigungen, wird der Zustand unserer Garnisonen, unserer Sträflings- und Ansiedler-Kolonie den Gegenstand seiner Aufmerksamkeit bilden. Ich wünsche, dass Seine Exzellenz alles im besten Zustande hier vorfindet. Um Seiner Majestät, unserem allergnädigsten Herren eingehend berichten zu können, habe ich eine Denkschrift ausarbeiten lassen, welche die militärische und wirtschaftliche Lage des ganzen Amurdistrikts darlegt und die Aussichten erörtert welche dieses gewaltige Gebiet eröffnet. Der Verfasser dieser Schrift, Fedor Orloff, wird sie Ihnen vortragen. Falls Sie etwas zu erinnern finden, bitte ich Ihren schriftlichen Bericht meinem Adjutanten einzureichen. Ich füge hinzu, dass Seine Exzellenz Ihren Weg den Amur aufwärts nehmen und dann über Land nach Petersburg zurückkehren werden. Ich hoffe, dass Sie in jeder Weise Ihre Schuldigkeit thun, damit Seine Exzellenz nichts zu erinnern finden.“
Mit militärischem Grusse sich stumm verneigend nahmen die Kommandeure Platz. Ein Wink des Generals rief Orloff an seine Seite. Der Adjutant überreichte ihm seine Arbeit und er begann den Vortrag.
Anfänglich mit etwas beklommenem Gefühl, dann immer freier und freier gab Orloff seinen Bericht.
Neben der militärischen Situation hatte er die handelspolitische Lage einer gründlichen Erörterung unterzogen und erschöpfende Bemerkungen über die Goldfelder und Minen jener grossen, fast noch unberührten Schatzkammer des oberen Amur eingeflochten. Ein Gemurmel der Befriedigung belehrte ihn, dass man der Arbeit Beifall zollte.
Indem wurde dem General Dachkoff abermals eine Meldung überbracht. Er stand auf und rief dem Adjutanten zu: „Lassen Sie sämtliche Wagen vorfahren!“ Darauf wandte er sich an die übrigen Anwesenden: „Meine Herren, bitte, reichen Sie die betreffenden Papiere morgen bei Zeiten ein. Das Dampfboot der „Seevoutch“ nähert sich dem Landungsplatze. Ich fordere die Herren Kommandeure auf, mich zum Quai zu begleiten.“
Schon ertönten die Alarmsignale für die Truppen, und der Adjutant eilte davon, um auf sein Ross zu springen und den Strandbatterieen die Befehle zu überbringen. Als Dachkoff den Zobelkragen seines Seeottermantels um den Hals befestigte, sah er den vernachlässigten Orloff vergessen und allein am Tische stehen.
„Bleiben Sie hier, Orloff,“ sagte der General gütig, denn sein Mitleid war erregt.
Dann rief er seinen ersten Diener: „Mache es dem jungen Manne für die Nacht behaglich. Gieb ihm ein eigenes Zimmer.“
„Ich werde Ihrer noch bedürfen,“ fügte er, sich zu Orloff wendend, hinzu und verliess eilenden Schrittes das Zimmer.
Die Kanonen erdröhnten, als die vier sibirischen Rosse des Generals leichte Viktoria wie ein Blatt im Sturme hinter sich herwirbelten.
Dem fröhlichen Lachen heiterer Frauen lauschend, das vom oberen Stock herniedertönte, brach Fedor Orloff, von des alten Soldaten Güte bis ins innerste Herz gerührt, in Thränen aus.
„Er wagt es nicht, mich Fedor Fedorowitsch zu nennen! Er ist ein orthodoxer Russe, und ich — —“ stöhnte Orloff.
Eine Stunde später war das Gebäude von einem durcheinanderhastenden Menschengewühl erfüllt. Draussen liess die Regimentskapelle des Kaisers Hymne erschallen und ergötzte dann die Gäste mit alten Boyarenweisen, die mit den rührenden Liedern der moskowitischen Soldaten abwechselten. Drinnen aber, im Empfangssaal, bildeten ein Dutzend kürzlich erst angekommener junger Offiziere den Mittelpunkt eines Kreises lachender, sorgloser russischer Damen, und das