Die Prinzess von Alaska. Richard Henry Savage

Die Prinzess von Alaska - Richard Henry Savage


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      Ich hörte einen schweren Fall auf den Boden, der aber durch den dicken Teppich gedämpft wurde.

      Ein einziger hohler Seufzer verkündete mir die entsetzliche Wahrheit. Ich kannte jene Stimme. Ich stürmte wie ein Verrückter nach der Hinterthür. Ich erreichte die Strasse und floh wie ein Schatten mit fast erstarrtem Herzen nach dem Quai. In fünf Minuten waren wir auf dem vereisten Flussbette. Der geängstete Iwan antwortete nur einsilbig. Doch meine Sinne kehrten mir bei der kalten Luft der Newa wieder. Ich erfuhr, dass Olgas Mädchen ihn zu ihr geleitet, der zu Liebe ich meine Hand mit Blut befleckt hatte. „Ich werde dort sein!“ hatte sie ihm gesagt. Weiter konnte ich nichts aus dem erschreckten Diener herausbringen, der wie toll auf die Pferde einhieb. Im bleichen Mondlicht erblickte ich einen Fleck auf meiner Hand. Es war Blut. — „Schneller, schneller!“ schrie ich, von Entsetzen geschüttelt, und wir jagten hinein in den finsteren Wald. Ich trank das feurige Nass aus Iwans Flasche, die er mir aufzwang. Mein Kopf sank kraftlos in die Kissen zurück! — Als ich erwachte wurde ich rauh geschüttelt. Eine Kosaken-Polizeiwache, etwa ein Dutzend Leute, stand um mich herum! Mein Pferd lag tot im Schnee, und Iwan wurde, fest gebunden, von einem Soldaten mit dem blanken Säbel in der Hand bewacht.

      Als ich mich mühte, auf die Füsse zu kommen, näherte sich aus einem benachbarten Stalle ein grobgearbeiteter Schlitten, dem ein Offizier entstieg.

      Die entsetzliche Wahrheit dämmerte mir auf. Ich war ein Gefangener! War ich — war ich ein Mörder? Ein finsterer Polizeibeamter befahl mir kurz, ich solle den Schlitten besteigen. Als ich es that, trafen meine Augen auf meinen getreuen Iwan. Er rief hastig: „Sie sind verraten, gnädiger Herr! Die Dienerin hat sie auf die Spur gebracht! Die Dame ist gleichfalls eine Gefangene.“ Ich hörte ein Geräusch, und als ich den Kopf wandte, sah ich, dass mein getreuer Diener auf dem blutbefleckten Schnee lag, den Kopf von einem Säbelhieb gespalten!

      Dann weiss ich nichts mehr, bis ich aus meiner Zelle vor einen Gerichtshof in der Festung geschleppt wurde. Auf dem Tische lag ein Paket Banknoten. Der verfluchte Schatz, der das Mittel sein sollte, um Olga nach dem erträumten Paradiese im griechischen Meere zu bringen! Ich stand stumm, denn ich wusste nichts. Ich hörte, wie ich zum Verluste aller bürgerlichen Ehrenrechte und zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt wurde! Die Ermordung meines Onkels war das Verbrechen.

      Ich entnahm aus den Zeugenaussagen, dass mein Onkel plötzlich vom Balle heimgekehrt war, und als der tapfere alte Herr ein Geräusch gehört hatte, war er aus seinem Schlafzimmer gekommen, um von meiner Hand unwissentlich erschlagen zu werden. Die klare Thatsache, dass ich geglaubt hatte, es sei ein Diener, rettete mich vor der gesetzmässigen Strafe des Todes wegen Totschlages eines Verwandten. Als ich gefragt wurde, ob ich noch irgend etwas zu sagen hätte, sah ich die Augen des neuen grossfürstlichen Adjutanten auf mich gerichtet! Durch mein verstörtes Hirn zuckte der Gedanke an Olga, mein hülfloses Lieb, den Abgott meiner Mannesleidenschaft, die Göttin meines Daseins! Sie war nun gleichfalls eine Gefangene, in der Gewalt des hochmütigen Prinzen. Während ihr Name auf meinen Lippen schwebte, senkte ich das Haupt und murmelte „Nichts“. Meine Richter wechselten bedeutsame Blicke. Ich fing ein bleiches, winterliches Lächeln der Zustimmung auf, das dem frohen Genossen des Zarewitsch um die Lippen huschte. Ich war meinem Gelöbnis treu gewesen! Er wandte sich auf dem Absatze herum und verliess das Zimmer! Wenigstens eine Schmach war mir bei meiner Erniedrigung erspart geblieben, die Schande, das Privatleben des Kaiserlichen Herrn, dem ich diente, zu verraten!“

      Orloffs Augen strömten von bitteren Thränen über.

      „Du hast mir noch nicht gesagt, wer sie war, mein armer Fedor,“ sagte Lefranc mit vor Erregung blitzenden Augen.

      „Sie war das lieblichste Weib im weiten Reiche des weissen Zaren und die Königin des Gesanges,“ entgegnete Orloff langsam, während er sein müdes Haupt auf die Hände sinken liess. „Und ein stürmischer, winterlicher Ocean scheidet uns, denn sie ist gleichfalls eine Gefangene in einem fernen Lande!“

      „Die herrschende Primadonna?“ wiederholte Lefranc. „Ich habe von einem derartigen Verschwinden gehört, aber ich habe mir eingebildet, dass sie ihre Nachtigallenstimme nur im Bauer ihres begünstigten Liebhabers verborgen hätte!“ Lefranc trat zu Orloff heran und rief energisch: „Wir müssen entfliehen! Wenn wir nur bei einander bleiben können! Und, Fedor,“ sagte er ernst, „der Grossfürst wird nie im Leben vergessen, nie vergeben!“

      „Du hast recht! Dazu ist keine Hoffnung,“ entgegnete Orloff. „Und die tiefverletzten, strenggläubigen, russischen Edlen werden für allezeit den Russen knechten, der ein Glied seiner Familie getötet hat. Ich schwöre dir, Pierre,“ rief Orloff, „dass ich nie im Traume daran gedacht habe, das Geld zu nehmen, bis mein Oheim mich damit gereizt hat! Ich begehrte es nur, um meine Olga aus den Klauen der doppelten Tyrannei zu retten. Sieh, auf was für ein schwankes Rohr wir uns stützten! Die Dienerin wurde durch meine Grossmut reich — sie machte mein schutzloses Lieb unglücklich und sandte uns dann beide kalten Blutes in Schande und Verderben. Es ist verlorene Zeit, wenn ich daran denke, mein Los zu bessern. Ich habe weder Geld, noch Macht, noch einen einzigen Freund! Ich habe das Grab meines vergangenen Lebens versiegelt. Nur ein einziger Gedanke hat mich aufrecht erhalten, — ein einziger Hoffnungsstern in die Dunkelheit der Sträflingsbaracken geleuchtet: sie wieder zu sehen, ihre Stimme sagen zu hören: „Fedor ich liebe dich! Ich vergebe dir!“

      „War sie eine Russin?“ fragte Lefranc, der gern Orloffs Kummer erleichtern wollte.

      „Ihre Mutter war ein wunderbares Kind Ungarns, voller Schönheit und Genie, und als sie in Italien starb, da liess ihr Gatte, ein reicher Südrusse, das Mädchen im Auslande. Sein Tot beim Aufstande seiner Leibeigenen liess sie völlig mittellos, denn die Mutter war nicht orthodox. Es war ein verhängnisvoller Tag, an dem mein Lieb durch den wilden Enthusiasmus der unter dem nördlichen Lichte Weilenden nach Petersburg gelockt wurde. Es giebt nichts Süsseres als Liebe! Nichts Seltsameres als das Spiel des Zufalls! Nichts Traurigeres als den eisernen Griff des Schicksals! ... Hast du in Sitka nichts von ihrer Geschichte gehört, Pierre?“

      „Ach nein, mein armer Freund!“ entgegnete der Franzose. „Dieser erbarmungslose Hund, der Fersen, liess mich eifersüchtig bewachen. In Kodiak hörten wir von der Aussenwelt nur alljährlich einmal durch den Besuch des Handelsschiffes aus San Francisco! Ich versuchte mich zu Tode zu trinken. Es klingt wohl seltsam, aber der schwarze Rum war meine Nahrung. Der beständige Regen machte Streifereien im Freien unmöglich, und die zornigen braunen Bären, die nach den Strandfischen lüstern waren, bildeten eine wirksame Wache in den langen einsamen Tagen meiner Gefangenschaft in Kodiak. Ich suchte in der Arbeit Betäubung meines Kummers. Meine einzige Freude bestand im Erlernen der aleutischen Sprache, des Dialekts der Alasker. Ich habe mich durch strenge, unermüdliche Arbeit, das einzige Heilmittel für ein gebrochenes Herz, vor dem Wahnsinn bewahrt!“

      „Bist du gut behandelt worden?“ fragte Orloff.

      „Meine Kerkermeister waren meist gut gelaunt. Sie konnten nichts dadurch gewinnen, dass sie mich quälten. Ich war unter die menschliche Beachtung herabgesunken. Ausserdem verloren sie, wenn sie mich töteten, ihren einzigen Schiffsbauer. Wenn ich an Entkräftung starb, oder sie mich in eine Zelle sperrten, dann wurde die nötige Arbeit unterbrochen. Die Beamten verbrachten ihre Zeit damit, dass sie im geheimen kostbare Pelze erwarben, spielten oder tranken.“

      „Und du sagtest, dass du schon einmal einen Fluchtversuch gewagt hättest. Wenn er dir allein misslang, wie kann er uns da gemeinsam gelingen?“

      „Bei den bevorstehenden Veränderungen werden sich uns mancherlei Gelegenheiten bieten,“ sagte Lefranc. „Wenn die Amerikaner Alaska kaufen, dann wird das allgemeine Verlassen des Landes die Wachsamkeit unserer Wächter beeinträchtigen. Aber wie schaffen wir dich dorthin? Du sollst mit Fersen den Amur hinaufgehen. Er ist ein grausamer Tyrann. Hüte dich, ihn zu reizen! Das bedeutet den Tod.“

      „Das scheint so,“ stimmte Orloff bei. „Aber er hasst mich schon. Vielleicht kennt er die alte Geschichte. Ich kann nicht hoffen, seine Gunst zu erringen!“

      „Dann sei jeden Augenblick auf der Hut. Und was nun unsere geheimen Pläne anbetrifft, Fedor. Vor zwei Jahren musste ein amerikanischer Walfischfänger Kodiak anlaufen, um einen kranken


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