Die Prinzess von Alaska. Richard Henry Savage

Die Prinzess von Alaska - Richard Henry Savage


Скачать книгу
der vornehmen Gesellschaft Russlands. Sie wusste nichts von der entsetzlichen Geschichte der unterirdischen Zellen auf der Newa-Insel, nichts von den an die Steinmauer geschmiedeten Opfern, die in wahnsinniger Angst vergeblich um Barmherzigkeit geschrieen, bis die eisige Flut sie Zoll um Zoll verschlang. Jeder Lufthauch, der an dem einsamen Festungsstrand vorüberzieht, ist mit den letzten Seufzern der unschuldig Hingemordeten erfüllt. Ich habe aus dem dunklen Fensterspalt einer dieser Zellen das Taschentuch eines Weibes flattern sehen, als letztes Lebewohl für ihren Liebsten, um dessen Schaffot ich meine Grenadiere aufgestellt hatte.“

      Orloffs Stirn glühte, so heiss stürmte ihn das Blut durch die Adern. „So geschah mein Verbrechen“ endete er in heiserem Geflüster, „um meine Olga zu retten —“

      Lefranc zuckte zusammen, als er den Namen hörte.

      „Tag und Nacht habe ich Pläne geschmiedet“, fuhr Orloff fort. „Ich konnte nicht das Haupt meines Hauses ins Vertrauen ziehen, ich wagte es nicht. Für den getreuen alten Stephan Orloff war der Wille des Kaisers Gesetz. Ich hatte keinen Bruder, keinen Freund. Um meine allmächtige Leidenschaft zu verhüllen, stürzte ich mich in scheinbare Ausschweifungen. Und damals verdiente ich mir den Namen des tollen Orloff. Doch ich lebte nur allein in Olgas Liebe. Ich bewegte mich wie unter einem Zauberbanne. Tag für Tag sah ich unser Verhängnis näher heranrücken: Verbannung, Trennung, Kummer, Gefängnis, ja selbst den Tod durch Selbstmord, denn im allertiefsten Herzen fürchtete ich die Spione des Grossfürsten. Ich zitterte auch Olgas wegen, deren stete Abwehr den Prinzen nur noch mehr entflammte.

      Ich war ein blinder Thor, nicht zu bedenken, dass die Subjekte des künftigen Herrschers über neunzig Millionen gerade das eine Weib beobachten würden, das sein Königlicher Wille nicht zu beugen vermochte. Ich hatte mein Geheimnis der zufälligen Entdeckung ausgesetzt, hatte heimlich meiner Liebsten fürstliche Geschenke zugeschmuggelt. Es gewährte mir eine tolle Freude, wenn ich ihre Stirn, ihren schönen Nacken mit meinen eigenen Juwelen geschmückt sah, während des Grossfürsten kostbare Gaben unberührt im uneröffneten Kasten lagen. Es war mir unmöglich, Russland zu verlassen. Wenn ich dem persönlichen Dienste beim Thronfolger absagte, vernichtete ich mein ganzes Geschlecht! Die Zukunft wäre leer gewesen und voll unbekannter Schrecknisse. Ich wagte nicht, Olga zu verlassen. Sie war an die Vergnügungen der grossen Stadt gebunden. Tausende von Augen hafteten auf uns. Das zunehmende Fieber verwirrte mein Hirn. Ich konnte keinen Pass bekommen, um Russland zu verlassen, und, ach, mein Orloffsches Gesicht war zu wohlbekannt, um eine Flucht zu wagen. Jeder Grenzoffizier kannte des Zarewitsch getreuen Schatten, Fedor Orloff!

      Das Ende kam plötzlich! Wir hatten jeden Weg zur Flucht studiert. In dem Hause eines alten Haushofmeisters meines Vaters war ein geheimer Unterschlupf für Olga vorbereitet. Er schwor bei seiner fünfzigjährigen Treue, dass er mein Herzblatt verbergen und sie mit Kaufleuten aus Archangel, die keiner Pässe bedürfen, hinausschmuggeln wollte nach dem Weissen Meere. Von dort konnte Olga leicht Schweden erreichen und würde in Sicherheit sein. Aber ich blieb gefesselt. Es war nur natürlich, dass Stephan Orloff in Zorn geriet, als ich mich den Plänen der Kaiserin für meine glänzende Heirat widersetzte. Ich konnte als Mann von Ehre das schöne Mädchen, das sie mir zur Braut bestimmt hatte, nicht opfern. Ich wagte nicht zu reden. Die Freundschaft der Prinzen aus Königlichem Geblüt ist für die Erwählten verhängnisvoll. Mein Onkel versuchte vergeblich, mich von den tollen Streichen zurückzuhalten, die mein eigentliches Leben maslieren sollten. Er, der grossmütigste Mensch, verweigerte schliesslich die Geldzuschüsse für mein wildes Leben. Ich besass Ländereien, Wälder, Bergwerke, Leibeigene; ich war meines Onkels Erbe, doch nur die Juden fanden sich bereit, mir Geld zu schaffen. Auf der Stirne meiner Herzenskönigin thronte der Schatten kommenden Unheils. Der zurückgewiesene Prinz beschuldigte sie schliesslich ganz öffentlich, dass sie einen Nebenbuhler begünstige. Jede glückliche verstohlene Zusammenkunft schloss, wenn unsere innige Umarmung zu Ende kam, in dem gegenseitigen Schwure, dass sie zum alten Podolski entfliehen und ich ihr, auf jede Gefahr hin, nach dem Schlosse des Grafen Oxenstierna zu Torefors folgen sollte. Podolski, ein alter Finne, würde den Schatz meines treuen Herzens hüten, bis wir uns treffen konnten.

      An einem verhängnisvollen Abende verliess ich, von Iwan, meinem Sklaven und Milchbruder begleitet, nach einer stürmischen Szene den Orloffschen Palast, um nach dem Yachtklub zu gehn und dort die Mitternachtsstunde zu erwarten. So wollte ich des Grossfürsten Spione täuschen. Olgas Mädchen war auf dem Ausguck nach einem besonderen Signal. — Ein später Besuch war in einer halb arktischen Stadt, wo die langen Nächte zu Tagen verwandelt werden, nichts Ungewöhnliches. „Geh,“ rief Stephan, als ich ihn vergebens um Geld anflehte, „ich will deine Thorheiten nicht länger mehr unterstützen. Sieh,“ rief er in seinem Zorne, „ich habe dort in jenem Kabinett hunderttausend Rubel! Heirate! Ich bezahle deine Schulden! Dieses Geld soll deines sein! Doch für deine Freunde an den Spieltischen — für deine wahnwitzigen Streiche — gebe ich keine Kopeke!“

      Ich verliess den alten Edelmann, dessen weisses Haupt vor Wut zitterte. — Der glühende Wunsch, Russland für immer zu verlassen, zehrte an mir. Ich brannte darauf, die Luft der Freiheit zu atmen, meinen Liebling Olga nach irgend einem friedlichen Ort an den schönen Ufern Siziliens oder nach den träumerischen Inseln des griechischen Meeres zu bringen, wo wir unserer heimlichen Liebe gestatten durften, ihr Antlitz im Tageslicht zu zeigen, wo sie mein sein konnte, mein Weib für immer!“

      Orloff fuhr sich mit der Hand über die Augen, als ob er ein ihn verfolgtes Bild verwischen wolle. „Ich erreichte den Yachtklub, nachdem ich meinen Onkel erst nach einem Balle der Aristokratie hatte fahren sehen. Ich wagte nicht, mir den schrecklichen Plan zu gestehen, der noch ungestaltet in meinem Hirn ruhte. Ich kannte jeden Winkel im Heim meiner vaterlosen Knabenzeit! Ich wollte dorthin zurückkehren, sobald sich die träge Dienerschaft der Schmauserei hingab, und das Kabinett würde der Gewalt eines Hirschfängers nachgeben. Warum konnte ich nicht, von Iwan unterstützt, vor dem Morgengrauen schon meilenweit fort sein? Olga konnte folgen. Podolski war getreu, wie der Tod. Ich wollte ihr durch Iwan, als Zeichen höchster Gefahr, einen Ring senden, den sie mir einst gegeben hatte. Ein gewöhnlicher Schlitten konnte mich über die gefrorne Newa nach der Vorstadt bringen, wo Podolski für die Stunde von Olgas Gefahr Pferde bereit hielt. Ach! als ich den Yachtklub betrat, flüsterte Iwan: „Wir werden verfolgt.“ — Es war in der That der Fall. — Dunkle Gestalten kamen in einem schnellen Schlitten dicht an uns heran. Indem ich Iwan zu warten befahl, näherte ich mich der Klubthür, entschlossen, nach kurzem Erscheinen in dem Bekanntenkreise Iwan mit einer Botschaft zu Olga zu entsenden und im Orloffschen Palaste zu schlafen. Dort würde ich sicher sein. Als ich mich der Thür näherte, traten zwei vermummte Gestalten auf mich zu. Die eine flüsterte: „Graf, es ist alles bekannt! Der Zarewitsch erkannte das Perlenhalsband, das ich ihm nicht verkaufen wollte. Ich habe ihm alles gesagt.“ Der andere Mann war ein Glaubensgenosse des Hundes von Juwelier, ein Mann, dem ich seit lange grosse Summen schuldete. Er forderte auf unverschämte Weise sein Geld. Pierre! dann schlich sich der Teufel in mein gequältes Herz. Ich ging, ohne ein Wort zu sagen, hinein, trank ein Glas feurigen Branntwein und fuhr langsam nach Hause. Am italienischen Bazar setzte ich Iwan ab, der das schicksalsschwere Zeichen in der Hand hielt. Dann fuhr ich schnell nach dem Orloffschen Palaste zurück.

      Alles war dunkel! Ich entliess den Kutscher und trat in das verhängnisvolle Thor, zum letztenmal ein schuldloser Mann. Mein Blut tobte wie siedendes Quecksilber. Ich stahl mich nach meinem Zimmer, ergriff einen Revolver und ein schweres Messer! Iwan sollte am Admiralitätsquai mit einem Schlitten und einem zuverlässigen Kutscher warten!

      Ich wusste, dass in einer Stunde Olga sicher in Podolskis bescheidenem Hause sein würde. Vor Tagesanbruch würde sie auf dem Wege zu den düstern nördlichen Waldstrassen sein, deren Dunkelheit Sicherheit gewährte. Ich lachte leise vor mich hin, als ich mich in die finstere Bibliothek schlich, in der Onkel Stephan seine Tage verbrachte! Er hatte eine Besitzung verkauft, und ich kannte das Bündel Tausendrubelnoten, mit denen er mich quälte, gar wohl. Ich war wie vom Teufel besessen. Mit einem kräftigen Griff brach ich das morsche, alte Mahagoni-Kabinett auf und nach einer Sekunde war der Erbe der Orloffs ein nächtlicher Dieb. Wollte Gott dass ich in dem Augenblicke, als ich mit dem Päckchen krauser Noten in der Hand dort stand, gestorben wäre! Nachdem ich sie hastig verborgen hatte, schritt ich auf die Thür zu und wollte den Palast durch eine kleine Hinterthür verlassen, die nur von dem Dvornik benutzt


Скачать книгу