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Die Prinzess von Alaska. Richard Henry Savage
Gemaches auf die belebte Szene. Durch die Menge der Ordonnanzen, Sergeanten und Kaiserlichen Kuriere stiess und schob ein gedrungener Sergeant, den Astrachan-Turban auf dem Kopfe, die hölzerne Scheide fast quer umgehängt und einen schweren Revolver am Gürtel befestigt, einen Gefangenen vor sich her, den ein glatter, dunkler Seemannsrock bekleidete.
„Peter und Paul! Wo ist der Adjutant?“ rief der rauhe Soldat. „Ich soll darauf dringen, dass dieser Mann hier festgehalten wird, um Graf Fersens Befehle zu erwarten. Kümmert euch um ihn, ihr da!“
„Wieder irgend ein trauriges Wrack am Ufer des Irrtums, ein armes vom Schicksal vertriebenes Lamm, wie ich,“ dachte Orloff. Aber unwillkürlich sprang er einen Schritt vorwärts, als ihm der Fremde sein Gesicht zuwandte.
„Unmöglich! Pierre Lefranc?“ Fedors Augen sprühten vor Erregung. Eine fast unmerkliche bittende Bewegung erwiderte den unbedachten Ruf und erinnerte Orloff daran, dass er sich Schweigen auferlegen müsse. Dennoch war es ihm, als träume er. Pierre Lefranc in Sträflingskleidung? Wie er selbst trug er die verhängnisvolle leinene Marke. „Das letzte Mal, als wir uns begegneten, war es bei dem grossen Ostersouper der Prinzessin Narnschkine, damals, als die goldenen Glocken die St. Isaaks-Kirche Millionen Herzen vor Freude toll machten, als Wera Milutin sich bei der tollen Marzurka an ihn schmiegte, die wir um drei Uhr des Morgens unter den Blumen des feenhaften Ballsaales tanzten. Und nun? Wieder ein armer Unglücklicher mehr in der Verbannung. Der Teufel regiert die Welt.“
So sass Orloff bei seinem verlöschenden Feuer, alte Erinnerungen in seinem Hirne wälzend, und in der Brust das brennende Verlangen, die Ursache von Lefrancs Unglück zu erfahren.
Indessen hatte der Empfang stattgefunden, und der ausserordentliche Gesandte des Zaren hatte sich mit dem General in dessen Arbeitskabinett begeben.
„Ich werde, sobald ich meine Arbeit hier vollendet habe, sofort nach Petersburg aufbrechen,“ unterrichtete er den General. „In Irkutsk denke ich einen Kurier mit Befehlen aus Petersburg zu treffen, den ich dann gleich mit der „Seevoutsch“ nach Kamtschatka weiterzusenden beabsichtige. Ich wünsche, dass Sie das Schiff sofort wieder reisetüchtig machen lassen.“
General Dachkoff verbeuate sich in demütiger Unterwürfigkeit. Seine Exzellenz aber fuhr, sich eine Havanna anzündend, fort: „Wie ist Ihr Adjutant? Kennt er den Amur? Ich möchte mir einen tüchtigen Offizier mitnehmen, denn ich habe den Auftrag, ganz besonders über die Golderträge zu berichten. Weiss er irgend etwas über die neuen Minen am oberen Flusse?“
General Dachkoff dachte daran, dass der zehnte Teil sämtlicher Goldfelder dem Kaiser reserviert sei, und da er es sehr wünschenswert fand, seines gefährlichen Gastes Abreise zu beschleunigen, so berührte er seine Glocke. „Ich werde Ihnen den Adjutanten mitgeben, Exzellenz,“ sagte er respektvoll. „In rein militärischen Angelegenheiten ist Vronsky unschätzbar. Ich will Ihnen aber noch jemand mitgeben, den ich gerade hier habe. Sie können ihn sofort sehen. — Senden Sie Orloff herauf,“ befahl er dem eintretenden Adjutanten.
Als Fedor Orloff das prachtvolle Privatzimmer betrat, begegnete er dem forschenden Blicke eines Mannes, der so manchen Widerspenstigen in toller Leidenschaft vor ein Pelotonfeuer gestellt hatte: Graf Fersen, ein Löwe in seiner Thatkraft, glich einem erbarmungslosen Teufel, sobald er gereizt war. Orloff ertrug die scharfe Musterung des mitleidlosen Soldaten, ohne zu zucken.
„Sieht intelligent aus,“ sagte Graf Fersen kalt, als ob er von irgend einem schönen Tiere spräche. General Dachkoff verbeuget sich schweigend, und Fedor Orloff schwollen die Stirnadern, als Fersen fortfuhr: „Diese feinen Hallunken sollten hier draussen ordentlich herangenommen werden. Kennt Er die Goldregionen des Amur?“
„Ich war während eines Jahres mit speziellen Studien und Erforschungen der Goldminen im Baikal beschäftigt, Exzellenz,“ sagte Orloff in unbewegtem Tone. Das klang so kalt, dass selbst Dachkoff zusammenzuckte. Orloff wünschte im Herzen, den geheimnisvollen Fluss mit Graf Fersen hinauf zu fahren.
„Er passt mir,“ lachte Fersen. „Uebrigens, General, in Sitka ist jetzt eine unbenutzte Goldmine. Sie entsinnen sich doch Olga Darines, der unvergleichlichen Sängerin?“
Dachkoff zuckte zusammen, denn ein plötzlicher Krampfanfall erschütterte Orloff und verzerrte sein Gesicht.
„Sie ist jetzt Erzieherin bei dem Töchterchen der Fürstin Maxutoff, der Prinzessin von Alaska. Welche Verschwendung goldener Töne! Lassen Sie diesen Burschen mitgehen. Ich habe unten noch einen anderen, einen früheren Marineoffizier, Namens Lefranc. Bringen Sie die zwei Schurken zusammen.“
Schweigend folgte Orloff dem Adjutanten. Er führte ihn zu Lefranc und schloss hinter beiden die Thür.
Kaum, dass seine Schritte verhallt waren, stürzte Lefranc Orloff in die Arme.
„Was hat dich hergebracht, Pierre?“ rief jener voll Eifer.
„Oh! leuchtende Augen und das Roulette,“ lachte der Franzose. „Und dich?“
„Ein Mord!“ stöhnte Fedor Orloff, während er mit einem Seufzer auf den Stuhl sank.
II.
Pierre Lefranc sah den leidenden Genossen von der Seite an.
„Wusstest du’s nicht?“ fragte ihn Orloff, während er müde in die Augen seines alten Freundes blickte.
„Ich habe seit vier Jahren an der Küste von Alaska Schiffe gebaut, Fedor,“ entgegnete der Gallier mit dem zarten Gesicht. „Wer hätte mir davon berichten sollen? Mein Ungemach,“ fuhr er fort, „erreichte mich in Sebastopol, und ich wurde nach dem Stillen Ozean verschickt, um mich dort als Sträfling zu verbergen. Ich habe in der Lotterie des Lebens eine Niete gezogen.“
„Auch ich habe niemals von deiner — —“ Orloff zögerte.
„Schmach willst du sagen!“ ergänzte Lefranc. „Lieber Freund,“ fuhr er leichthin fort, „wir sitzen beide in derselben Patsche.“ Dabei lachte er rauh auf.
Indem trat ein Diener des Generals in das Zimmer. Er brachte ein gutes Abendbrot, bei dem selbst die Wodkiflasche nicht fehlte.
„Ah, da wollen wir uns einen vergnügten Abend machen,“ schnalzte Lefranc.
Orloff mochte das gleichgültig lassen: „Erzähle mir vor allem, wie du hergekommen bist,“ drang er in seinen Leidensgenossen, voller Begierde, sein Geschick kennen zu lernen.
„Nun also,“ begann Lefranc, nachdem er einen herzhaften Zug gethan, „ich war in Kodiak und baute Schiffe, als die „Seevoutsch“ hereindampfte. Seine Exzellenz, diese Bestie, bedurften eines menschlichen Konversations-Lexikons, und so nahmen sie mich. Wir befuhren die ganze Küste von Alaska. Irgend eine grosse Veränderung scheint in der Luft zu schweben, denn als wir nach Sitka zurückkamen, wo mich das Untier nicht an Land liess, da hörte ich, dass die Yankees mit ihrem grossen Bürgerkriege zu Ende seien. Beratungen folgten drüben in Sitka auf Beratungen. — Die Korvette ist voller Dokumente und Berichte! — Manche behaupten, der Zar und die Amerikaner wollten England gemeinsam angreifen, Britisch-Kolumbia besetzen und die Beute teilen; andere, dass der Zar Alaska an die Vereinigten Staaten zu verkaufen gedächte.“
„Ich kann es nicht glauben, die Romanoffs sind doch keine Landverschacherer!“ sagte Orloff.
„Wohl wahr, doch in fünfzig Jahren wird man in Sibirien grosse Ueberraschungen kennen lernen! Die Krone kann beide Seiten des Oceans nicht sicher bewahren. — Wenn wir dauernde Freundschaft mit den Amerikanern schliessen, so können wir stets Sibirien und unsere Flotte von den befreundeten Yankeehäfen des Stillen Oceans aus versorgen. Wir haben doch jetzt sieben Kriegsschiffe in San Francisco!“
„Da magst du vielleicht recht haben, Pierre,“ antwortete Orloff langsam. „Aber was wird Graf Fersen denn jetzt mit dir anfangen?“
Der Franzose lachte. „Wer weiss es? Ich denke, man wird mich auf der Korvette nach Kodiak oder Sitka zurückschicken. Fürwahr, Orloff, wenn wir nur beisammen wären, so vermöchten wir wohl zu entfliehen. Ich habe es einmal versucht! Ich will dir von meiner Kayak-Fahrt auf der Suche nach einem