Die Prinzess von Alaska. Richard Henry Savage

Die Prinzess von Alaska - Richard Henry Savage


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bin ich aber so hungrig, wie ein Eisbär,“ schnitt Lefranc die Unterhaltung ab. „Wenn ich gegessen habe, dann sollst du mir berichten, was des grossen Orloffs Erben nach Nikolajewsk an den wilden Amur gebracht hat.“

      Und mit einem wahren Wolfshunger stürzte er sich auf das Abendbrot.

      „Und du sollst mir die Geschichte des Missgeschicks erzählen, das General Lefrancs Enkel — einen französischen aristokratischen Emigranten — in die Reihen der Verfehmten führte. Was für seltsamer Wirrwarr doch dieser Kampf der Menschen ist.“

      „Ah, Fedor, es ist immer die alte Geschichte. Du kennst ja das Sprüchwort: Où est la femme.“ Dabei stürzte er ein Glas Wodki hinunter und drehte sich eine Zigarette. Orloff hatte ihn, während er die Leckerbissen verzehrte, regungslos beobachtet.

      „Wie lautete dein Urteil?“ fragte er düster.

      „Zehn Jahre! Ich habe nur noch sechs davon zu geniessen — das heisst, wenn ich am Leben bleibe! Und das deine, mon cher ami?“

      „Seit drei Jahren schmachte ich in dieser Hölle, und siebzehn Jahre habe ich noch vor mir, wenn nicht der finstere Geist des Unheils von mir weicht!“ stöhnte Orloff.

      „Kopf oben! Du musst nicht so mutlos sein. Bedenke doch, was für Blut du in deinen Adern hast! Deine Freunde daheim sind sicherlich für dich thätig. Dein Onkel Stephan —.“

      Orloff sprang auf und rief: „Halt! Um Gottes willen!“ Dabei bebte seine ganze Gestalt in wahnsinnigem Schmerze und in angstvoller Qual. „Nenne ihn nicht! Er ist von meiner Hand gestorben! Mir ist kein einziger Freund in der Welt geblieben!“

      Lefranc starrte auf den unglücklichen jungen Mann, der wie ein Tiger im Zimmer auf und ab ging.

      „Dein Onkel Stephan? Dein Vormund?“ stammelte er. „Unmöglich. Erzähle mir’s. War es ein Zufall? Du bist doch kein elender Mörder?“

      Lefranc zog den Unglücklichen auf einen Sessel neben den Kamin und sagte: „Spute dich, die Mitternachtsablösung wird gleich kommen. Wir können bald unterbrochen werden; erzähle mir alles geschwind.“

      Orloff schlug die Augen auf, aus denen der ganze Jammer über sein verlorenes Leben sprach. Sie glühten gleich denen eines Wolfes, der sich dem Verfolger zur Wehre setzt.

      „Pierre!“ sagte er dann langsam, „weisst du, was ein Weib lieben zu bedeuten hat?“

      Der Franzose sann nach.

      „Ich kann dir keine Antwort geben! Die niedrigen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts haben mich nie in Versuchung geführt. Aber ich kenne die Hofkreise. Die lächelnden Teufelinnen mit leisen, girrenden Stimmen und kühnen Augen voll wahnwitziger Zauberkünste. Sie haben mich zu Grunde gerichtet, Fedor! Aber ich habe nie geliebt. Ich bin noch nie dem Weibe begegnet, das das Opfer eines Manneslebens, seiner Ehre, seiner Freiheit wert gewesen wäre. Ich bin noch nie einer begegnet, der ich für immer dienen möchte. Denke daran: wir französischen Emigranten, die wir durch die tollen Tage von dreiundneunzig nach Russland getrieben sind, bleiben dort nur Gäste. Als mein Vater, das Schwert in der Hand, im polnischen Feldzuge für den Zaren starb, da wurde ich von dem Kaiser nach der Seekadettenschule geschickt. Ich habe allein gelebt! Nein, ich habe nie geliebt. Aber du?“

      „Von dem Augenblicke an, wo ich sie sah, bedeutete sie für mich die ganze Welt. Und selbst jetzt, selbst hier,“ erwiderte Orloff traurig, „kann ich das Rauschen ihres Gewandes hören. Es durchzittert mein Herz. Ich erwache bei Nacht, denn ich fühle im Lande der Träume, dem Himmelreiche armer Gefangener, ihre Hand auf meiner Stirn! Ich vernehme sogar zu Zeiten ihre Stimme. Das geflüsterte Wort „Fedor“ schlägt an mein Ohr. Ich erwache nur zum Elende und zur Qual der Schande. Jung, lieblich, und voller Liebe, ein wahrer Traum von Schönheit, besass sie eine Seele voll leidenschaftlichen Feuers. Mein Leben wurde von einer wahnsinnigen Wildheit ergriffen, von dem Momente an, wo ich sie an meine Brust gedrückt hatte, von jener verhängnisvollen Stunde an, wo ich in ihren wunderbaren Augen zuerst die bis dahin verborgene Wahrheit entdeckte, dass sie mich wieder liebte. — Du hast sie nie gesehen, Pierre. Als du und ich von einander gingen, wurde ich dem Zarewitsch zum besonderen Begleiter beigegeben, denn er ging nach Cherson, um Ataman der Don-Kosaken zu werden. Ich war der beneidetste Mann im Regiment.“ Orloff seufzte tief.

      „Ja,“ sagte Lefranc, „Fedor Orloffs Name schwebte damals auf jeder Zunge! Die grosse Welt missgönnte dir deine Stellung, dein Blut, dein galantes Leben und deine goldene Zukunft. Bestimmte dich nicht die Kaiserin zum Gatten der Prinzessin — —“

      „Nenne sie nicht!“ unterbrach ihn Orloff rauh. „Lass mich vergessen, dass ein solcher Elender, wie ich, je ihre Hand geküsst hat.“ Er fuhr ruhig fort: „Im Gefolge des Zarewitsch kam ich nach dem Kaukasus. Ich war sein auserwählter Gefährte auf der Jagd, sein Genosse bei den geheimen Streifzügen in jene wilden Thäler, wo Liebe und Romantik noch an den schüchternen Schönen der wilden Gebirgsbewohner hängen. Ich rettete sogar bei einem tollen Abenteuer sein Leben. Nach meiner Rückkehr in die Hauptstadt wurde ich erst recht der Gegenstand des Neides unseres glänzenden Hofes. War ich doch der einzige Gefährte des Thronfolgers bei seinen Troika-Fahrten. Du warst nach Sebastopol entsandt. Ich glaube, wir haben uns nach jenem Osterball nie wieder gesehen, wo die Prinzessin Naryschkine alle Wunder des Elfenlandes nach unserer vereisten Hauptstadt zauberte, um den zarten Lieblingen des jungen, aristokratischen Kreises eine Freude zu bereiten!“

      Lefranc nickte wehmütig. Nach kurzem, sinnenden Schweigen fuhr Orloff fort: „Dann traf ich sie. Mein Leben änderte sich, wie mit einem Zauberschlage. Aus dem flotten Courmacher, dem erwählten Erben meines Millionen besitzenden Onkels Stephan Orloff, dem Leiter des exklusivesten Yachtklubs, dem wagehalsigen Duellanten und tollkühnen Reiter, wurde mit einem Male ein leidenschaftlicher, launenhafter Liebhaber. Mir war es, als ginge meine ganze Seele in der ihren auf. Mein Herz klopfte nicht nur mehr in meiner eigenen Brust, es war in ihrem Busen begraben, und ihr Blut machte meine innersten Fibern erbeben. Das ist russische Liebe.

      Diese Liebe versetzte mich bald in das tollste Fieber. Selbst jetzt kann ich’s noch nicht ertragen, ihren Namen aussprechen zu hören. Der Zarewitsch war es, der mich in ihren Kreis einführte. Zuerst war ich nur der Satellit des hohen Herrn. Meine Lippen waren durch Zwang versiegelt. Ich wagte es nicht, dem glühenden Kaiserlichen Bewerber entgegenzutreten. Meine fernere Laufbahn, ja sogar die Sicherheit meiner Familie hing von meinem klugen Schweigen ab. Onkel Stephan, das Haupt eines stolzen Geschlechts, öffnete seinen grossen Palast der Gesellschaft — nur allein meinetwegen — denn sein einziges Kind, meine Cousine Wera, weilte noch vor den Augen der Welt verborgen in dem Katherinen-Institute. Ich hatte keinen Ratgeber, niemand, der mir beistehen konnte. Ich wahrte mein Geheimnis, denn ich wagte nicht, öffentlich meinen Kaiserlichen Herrn zu verdrängen. Doch wir liebten uns. Unsere Augen verrieten gar zu bald das Geheimnis. Vor ihr gähnte der dunkle Abgrund des Verderbens, wenn sie des Prinzen Zorn erweckte Und doch — die köstliche Stunde des gegenseitigen Geständnisses musste kommen, und sie kam. Ich wähnte mich in ein irdisches Paradis verpflanzt. Ich wurde von einem Weibe geliebt, das die Leidenschaft des grossen Zarewitsch erregte.

      Ausser uns wusste nur ihre getreue Dienerin von unseren verstohlenen Zusammenkünften, von den glücklichen Stunden, wenn die grossen weissen Sterne über der Newa hingen. Selbst in der Wildnis habe ich jede Stunde dieser Freuden noch einmal durchlebt. Ich war gezwungen, zu heucheln. Meine persönlichen Pflichten fesselten mich tagsüber an die Seite des Grossfürsten. Seine Liebe wurde zur Tollheit. Ein unvorsichtiges geflüstertes Wort und ich wäre nach den unterirdischen Minen des Baikal entsandt worden, um in Ketten zu vermodern. Grattez le Russe! Du kennst das ja. Ich durfte mit ihr nicht öffentlich erscheinen, denn dann wäre mein Lieb das Opfer irgend eines geheimnisvollen Geschehnisses geworden!“

      Orloffs Lippen verzerrten sich zu einem höhnischen Lächeln.

      „Und doch, das Schicksal liess sich nicht aufhalten. Meines Herzblatts blitzende Augen und leuchtende Schönheit, die eine verhaltene Leidenschaft täglich beredter machten, erweckten die Eifersucht des Kaiserlichen Bewerbers. Ich war als Ehrenmann nicht gezwungen, eine doppelte Rolle zu spielen, denn ich forderte sein Vertrauen in keiner Weise heraus. Doch ich schauderte vor dem


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