Eine Kultur des Friedens. Eleanor Kreider

Eine Kultur des Friedens - Eleanor Kreider


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      Züchten, kultivieren bedeutete für Justinus das Erschaffen einer Kultur. Justinus wusste, dass Gott durch die Sendung des gekreuzigten Erlösers Jesus etwas Neuartiges für die Menschheit getan hatte. Gott hatte es veranlasst, dass sich Menschen aus vielen Nationen zu Jesus hingezogen fühlten. Er war das neue Jerusalem und aus ihm entstand eine neue Lebensvision. Das Ergebnis war ein Volk des Friedens, das aus ehemaligen Feinden bestand. Menschen aus den verschiedensten Stämmen und Nationen, die einander einst gehasst hatten, teilten nun ihr Leben. Sie zerstörten, was sie getrennt hatte, und schufen eine Kultur der Gerechtigkeit, des Glaubens und der Hoffnung.

       Apostelgeschichte 10 und der Ursprung der Kirche als „Kultur des Friedens“

      Woher hatte Justinus diese Vorstellung? Aus den Anfängen der Kirche in der Apostelgeschichte. Der Apostelgeschichte zufolge war die Entstehung der Kirche das Ergebnis der friedensschaffenden Tätigkeit Gottes.

      Pfingsten brachte Juden aus vielen Teilen der antiken Welt mit zahlreichen Muttersprachen zusammen (Apostelgeschichte 2,9–11). Pfingsten verwandelte das sprachliche Chaos von Babel (1. Mose 11,1–9) in Frieden und Eintracht. In Babel hatte Gott die Menschen auf chaotische Art und Weise über den ganzen Erdboden verteilt; zu Pfingsten vereinte Gott Menschen von überall auf der Erde in Frieden und Harmonie. In Babel hatte Gott die Menschen in viele voneinander getrennte Gruppen aufgeteilt; zu Pfingsten vereinte Gott Menschen, die bisher getrennt waren, in einen Leib. In Babel konnten sich die Menschen nicht verständigen, weil sie plötzlich unterschiedliche Sprachen sprachen; zu Pfingsten konnten die Menschen aus den verschiedensten Sprachgruppen einander nicht verstehen.

      Das soll nicht heißen, dass es in der frühen Jerusalemer Gemeinde keine Spannungen gegeben hätte. Trotz des Pfingstereignisses blieben zwei deutlich erkennbare jüdische Kulturgruppen erhalten: die Hellenisten und die Hebräer (Apostelgeschichte 6,1–6). Sie erlebten sowohl Streit als auch Einheit in Jesus dem Messias.

      Doch die wirklich große Herausforderung für die Urgemeinde lag in der Beziehung zwischen Juden und Heiden. Die ersten Christen waren der Ansicht, in Jesus Christus habe Gott seine Verheißung an Abraham erfüllt, alle Völker zu segnen (1. Mose 12,3). Das hatte zur Folge, dass die Juden und ihre Feinde – die Heiden – in einem „Friedensbündnis“ (Epheser 4,3) versöhnt werden konnten. Ein göttlicher Eingriff war erforderlich gewesen, um diesen Prozess auf den Weg zu bringen. Die Geschichte dieses Eingreifens zeigt auf, wie zentral der Friede für die Urchristen war.

      In Apostelgeschichte 10 werden die Schlüsselereignisse aufgezählt. Sie sind uns heute dermaßen vertraut, dass sie uns nicht mehr überraschen. Doch Petrus muss damals sehr überrascht gewesen sein. Er befand sich gerade in Cäsarea (10,24ff). Und wer war Petrus eigentlich? Ein Jude aus Galiläa, dessen Freund Jesus nur kurz zuvor von der römischen Besatzungsmacht als Verbrecher gekreuzigt worden war. Wo befand sich Petrus? Er befand sich an einem für einen Juden gefährlichen Ort. Als Hauptquartier der römischen Besatzung in Palästina war Cäsarea voller Soldaten und Gewalt. Als heidnische Stadt quoll sie über vor Heiden, Götzenbildern und unkoscherem Essen. Petrus und seine Freunde waren Juden, die Freunde eines gekreuzigten Mannes, die sich inmitten ihrer Feinde befanden. Sie waren umgeben von Heiden, die ihr Land unterdrückten, ausbeuteten und sich in den Gottesdienst im Tempel einmischten. Petrus und seine Freunde hätten niemals erwartet, sich eines Tages im Haus eines römischen Offiziers wie Kornelius wiederzufinden.

      Doch Gott war im Haus des Feindes in Cäsarea am Werk. Plötzlich machte es bei Petrus klick. Er hörte Kornelius zu und erinnerte sich an die Vision vom reinen und unreinen Essen, die Gott ihm gegeben hatte.

      Aus dieser Vision zog Petrus die Lehre, dass traditionelle religiöse Gesetze Gott nicht davon abhalten können, sein versöhnendes Werk zu vollbringen. Petrus war sehr wohl bekannt, dass es Juden nach dem jüdischen Gesetz untersagt war, mit Heiden zu verkehren oder sich auch nur auf ein Gespräch mit ihnen einzulassen. Doch Gott hatte ihm gezeigt, dass solche Gesetze nicht länger ihren Sinn hatten und das Hindernis irrelevant geworden war (10,28). Seit dem Kommen Jesu Christi, des Friedefürsten, war das herkömmliche Versöhnungsmuster auf den Kopf gestellt worden. Nach der alten Tradition erfolgte zuerst die Versöhnung und anschließend die Akzeptanz. Deshalb mussten die Menschen Gott zuerst ein Opfer bringen, noch vor der Versöhnung. Erst danach konnte Gott sie in seine Arme schließen. Aber Jesus machte immer wieder klar, dass die Annahme der Versöhnung vorausgeht. Dass Gott Kornelius bereits angenommen hatte, öffnete Petrus die Augen und machte ihn versöhnungsbereit. Wie Gott selbst Kornelius angenommen hatte, sollte nun auch Petrus ihn annehmen.

      Dann hatte Petrus ein Aha-Erlebnis. Er sagte: Jetzt erst habe ich richtig verstanden, dass Gott niemanden wegen seiner Herkunft bevorzugt oder benachteiligt (10,34). Das sagt ein Jude! Fortan wird es nicht Mitglieder und Außenstehende geben, nicht reine Juden und unreine Heiden, getrennt durch eine unüberwindbare Mauer. Gott hat einen großen Plan. Aufgrund des Werkes von Jesus, das der Heilige Geist bestätigt hat, wird sich Gottes Volk nicht länger auf Juden beschränken. Es wird aus Menschen aller Nationen bestehen – Juden und Heiden.

      Stellen Sie sich vor, wie schnell Petrus’ Gedanken wohl ratterten, wie inständig er gebetet haben muss, während er versuchte, sich das Ganze zusammenzureimen. Instinktiv wollte er Kornelius von Jesus erzählen (10,36ff). Er sagte ihm, Gott habe eine Botschaft geschickt, die Jesus der Messias überbracht habe, die Friedensbotschaft Gottes, die er dem Volk Israel durch Jesus Christus mitgeteilt hat. (Im Griechischen steht, dass Jesus „mit dem Frieden evangelisierte“.) Hier sprach Petrus zu einem Besatzungssoldaten über den Frieden. Das römische Reich verkündete: „Cäsar ist Gott.“ Doch Petrus behauptete, mitten auf einem römischen Stützpunkt, dass Jesus und nicht Cäsar „Herr über allem“ sei. Er fuhr fort und erzählte Kornelius vom Leben Jesu, von seinem Tod und der Auferstehung. Dass die Folge davon sei, dass es nun Vergebung und Zugehörigkeit für alle – ob Mitglieder oder Außenstehende – gibt, wenn sie nur Ehrfurcht vor ihm [Gott] haben und so leben, wie es ihm gefällt (10,35).

      Doch Jesus hatte den Menschen stets einen anderen Weg angeboten. Es war ein radikalerer Weg, der politischen Krise Palästinas beizukommen, als sich irgend jemand vorstellen konnte: indem er nun auch Römer neben Juden der Familie Gottes von Vergebung und Versöhnung hinzufügte. Matthäus und Lukas halten fest, dass Jesus der Lehre über die Feinde einen herausragenden Platz einräumte. In Matthäus 5,43ff stellt diese Lehre den Gipfel der Antithesen der Bergpredigt dar; in Lukas 6,27ff tritt sie als die erste ethische Lehre Jesu auf. In beiden Fällen ist die Botschaft die gleiche. „Liebt eure Feinde, betet für sie“, sagte er.

      Jesus


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