Eine Kultur des Friedens. Eleanor Kreider
her, er bringt Feinde zusammen in eine neue soziale Wirklichkeit.
In Indonesien wird noch heute zwischen Menschen chinesischer Abstammung und den sogenannten Ur-Einwohnern unterschieden. Doch indonesische Christen stoßen in eine andere Identität vor. Ich (Paulus) wuchs in einer chinesischen Familie auf. Als Indonesier chinesischer Herkunft wurde ich mein Leben lang diskriminiert. Ich wurde als wertloser Mensch behandelt. Ich erinnere mich noch, wie ich als Kind von meinen Nachbarn angehalten wurde, wenn ich mit dem Fahrrad zur Schule fuhr. Sie forderten Geld. Wenn ich zahlte, ließen sie mich ziehen. Doch wenn ich mich weigerte, ihnen Geld zu geben, schlugen sie mich auf der Straße zusammen. Mit Vergnügen riefen sie: „Chinese! Chinese!“, wenn ich an ihnen vorbeiradelte. In Indonesien ist das eine ziemliche Demütigung. Oftmals, während sie brüllten, bewarfen sie mich mit Steinen. Manchmal warfen sie sogar mit Knallkörpern. Später fand ich heraus, dass eine bestimmte Nummer in meinem Ausweis den Beamten auf einen Blick meine chinesische Abstammung verriet. Aufgrund dieser Nummer blieb mir der Weg in öffentliche Hochschulen oder ein Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst verwehrt. So war das eben in meiner Gesellschaft.
Ich wuchs also mit der Frage auf, wieso mich meine Nachbarn nicht einfach als Mitmenschen akzeptieren konnten. Warum verabscheuten sie mich? Doch als ich mich einer christlichen Gemeinde anschloss, entdeckte ich, dass meine chinesische Identität nicht so wichtig ist wie meine christliche. Nun gab es weder Juden noch Griechen, weder Chinesen noch Ur-Einwohner (Galater 3,28). Christen genießen eine neue, gemeinsame Identität, und das macht uns alle gleichwertig. Oder, um es genauer auszudrücken: Nun gibt es zwar chinesische und einheimische Christen, doch der Name „Christ“ ist das einzige, was wirklich zählt.
In seinem Buch The Social Sources of Denominationalism behauptet der Theologe H. Richard Niebuhr, dass die wahre Kirche „die Aufspaltungen der Welt überwunden hat“.12 Das hatten bereits Petrus und Kornelius entdeckt. Eine solche Kirche ist der Welt ein Zeichen dafür, dass ihre Zerbrochenheit geheilt werden könne.13
Der Friede ist ein Kontinuum
An einem Ende des Kontinuums, etwas lückenlos Zusammenhängendes, steht der Friede mit Gott (Römer 5,11). Er ergibt sich daraus, dass Gott uns rechtfertigt und unsere Beziehung zu ihm wiederherstellt und öffnet. Am anderen Ende steht der Friede zwischen Menschen und Nationen. Er wird möglich, indem Gott versöhnte Beziehungen zwischen ehemaligen Feinden schafft. Es gibt zwei Wege, um sich dieses Kontinuum vorzustellen:
Der Wellen-Effekt
Ein Pastor in Wichita, Kansas/USA, beginnt das Seminar für neue Gemeindeglieder mit den Worten: „Die wichtigste Frage lautet: Haben Sie Frieden mit Gott geschlossen?“ Falls ja, fährt der Pastor fort: „Dann wird dieser Friede – wie ein Stein, der ins Wasser fällt – Kreise ziehen und alle anderen Beziehungskreise Ihres Lebens beeinflussen.“ Das schließt die familiären Beziehungen, Beziehungen am Arbeitsplatz und die zu Gegnern oder Feinden mit ein. Der Pastor verstärkt diese Wellenbewegung, indem er die mit Gott versöhnten Menschen ausdrücklich darin bestärkt, sich an Gottes Friedenstiften auch an anderen Orten zu beteiligen. Das schließt auch feindliche Nationen ein – damit der göttliche Friede wirklich umfassend sein kann.14
In diesem Bild steht unser Friede mit Gott im Zentrum, am Beginn des Kontinuums. Friedenstiften beginnt immer mit dem Frieden mit Gott. Ohne den Frieden mit Gott können wir nicht vom Friedenstiften reden und schon gar nichts unternehmen. Der Friede beginnt immer im Inneren und fließt dann nach außen. Er hat seinen Ursprung in einer wiederhergestellten Beziehung zwischen Gott, der Quelle des Friedens, und uns. Aber als Quelle des Friedens ersehnt Gott Frieden für seine gesamte Schöpfung. Er will nicht, dass wir nach der ersten Etappe stehen bleiben. Er will, dass wir uns weiterbewegen zu den nächsten Stufen des Kontinuums: Frieden mit uns selbst, mit unseren Nachbarn, Frieden mit unseren Mitbürgern, und schließlich auch Frieden mit unseren Feinden. Wir erkennen diesen Willen Gottes sehr deutlich in der Person Jesu Christi, der mit seinem Leben und Dienst den Weg des Friedens aufzeigte. In Jesus sehen wir das Risiko und die Hoffnung, ebenso wie die Freude solch einer Lebensart.
An einem Ende des Kontinuums steht also der Friede mit Gott; am anderen Ende die Feindesliebe; die Stufe, die am schwersten zu erklimmen ist. Wir mögen den Frieden mit Gott kennen, doch vielleicht sind wir noch nicht mit unseren Feinden versöhnt – am wenigsten mit denen, die uns körperlich oder seelisch verletzt haben. Dies erklärt, warum es Christen, die in blutige Auseinandesetzungen wie in Indonesien, Nordirland oder Kongo verwickelt waren, besonders schwer fällt, sich mit denen zu versöhnen, die sie als ihre Feinde betrachten. Es sollte uns jedoch weder entmutigen noch ein Hindernis sein, das uns von einem Engagement für das Friedenstiften abhält.
Zwischen diesen beiden Punkten des Kontinuums – Friede mit Gott und Feindesliebe – gibt es viele Stufen des Friedens. Vielleicht sind wir im Moment noch nicht bereit, Frieden mit unseren Feinden zu schließen. Aber das bedeutet keineswegs, dass wir uns nicht am Friedenstiften beteiligen könnten. Wir können uns vielfältig beteiligen, den Frieden zu fördern – inneren Frieden, Friede in unserer Familie (unserer eigenen wie der erweiterten), Frieden mit unseren Schwestern und Brüdern in Christus in unserer Ortsgemeinde, Frieden mit unseren Schwestern und Brüdern in anderen Kirchen, Frieden mit Menschen anderen Glaubens, Frieden mit unseren Nachbarn, Frieden mit unseren Arbeitskollegen, Frieden mit den Bürgern unseres Landes, Frieden mit den Bürgern anderer Länder.
Gott ist am Werk
Dieser Ansatz unterscheidet sich ein wenig von dem Bild des Wellen-Effekts. Er anerkennt, dass derselbe Gott, der sich in Christus offenbarte, auf vielfache Art und Weise Schalom stiftet. Manchmal wirkt er im Herzen eines Kornelius, des feindlichen Hauptmanns, noch eher er selbst Gott kennt. Manchmal gebraucht Gott den Ökologen, der Schalom für die Schöpfung sucht. Manchmal schenkt Gott Menschen Vergebung und Frieden, die ihm fern stehen. Nach diesem Verständnis beginnt das friedenschaffende Wirken Gottes nicht immer damit, einem Einzelnen zu vergeben. Doch Gott wünscht sich, dass sein Handeln dies immer mit einschließt. Gottes Absicht ist es, die Geschichte auf einen umfassenden Friedens zuzubewegen (Jesaja 11,1–9). Paulus drückte es so aus (2. Thessalonicher 3,16): Unser Herr, von dem aller Friede kommt, schenke euch seinen Frieden immer und überall.
Gottes Friede ist groß. Er ist allumfassend. Er ist sowohl persönlich wie zwischenmenschlich. Er stellt Beziehungen zwischen uns und Gott wieder her, zwischen uns und unseren Feinden, zwischen uns und Gottes Schöpfung. Der Friede ist schon jetzt erfahrbar in Vorahnung dessen, was Gott allen Menschen wünscht. In Christus lernten bereits Petrus und Kornelius, so zu leben, wie alle irgendwann leben werden. Auch wir erfahren bereits heute die Realität des persönlichen und zwischenmenschlichen Friedensstiftens Gottes in der länderübergreifenden Gemeinschaft des Friedens, die sich Kirche nennt. Gott ruft die Kirche dazu auf, sich einer großen Friedensvision anzuschließen, in der jedes Mitglied als Friedensstifter wirkt.
Friede muss geschaffen werden
Friede entsteht unter Schmerzen. Was Gott mit Petrus und Kornelius ins Rollen brachte, musste noch in die Tat umgesetzt werden. In Cäsarea konnte der Friede mit Gott verkündet, der Friede zwischen Juden und Heiden gefeiert werden. Doch danach entstanden Probleme und ein Konflikt brach vom Zaun. Seine Beziehungen zu den römischen Heiden brachten Petrus in Schwierigkeiten mit den Kirchenleitern in Jerusalem: Du hast das Haus von Nichtjuden betreten und sogar mit ihnen gegessen! (Apostelgeschichte 11,3).
Der Friede muss geschaffen werden, weil die Welt voll ist von zerbrochenen Beziehungen und Ungerechtigkeit. Gott lädt uns ein, uns an seinem friedenschaffenden Werk und Weg zu beteiligen. Glücklich sind, die Frieden stiften, denn Gott wird sie seine Kinder nennen (Matthäus 5,9). Bis Gottes Reich in voller Macht anbricht, wird der Friede niemals vollkommen sein. Er muss immer noch geschaffen werden. In Lukas 1,78–79 beendet Zacharias, der Onkel von Jesus, sein Lied damit, dass er die Barmherzigkeit Gottes feiert. Dieser Gott verpflichtet sich, denen Licht zu geben, die in Nacht und Todesfurcht leben; es wird uns auf den Weg des Friedens führen. In einer konfliktreichen Welt gibt es keinen Weg zum Frieden – der Friede selbst ist der Weg. Ein Volk des Friedens zu werden, setzt ein Ringen mit unserer