Eine Kultur des Friedens. Eleanor Kreider

Eine Kultur des Friedens - Eleanor Kreider


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wenn Menschen auf die Frage Gottes: „Wo bist du?“ (1. Mose 3,9) mit ihrer eigenen Frage antworten: „Wo ist das Kind?“ (Matthäus 2,2). Nicht zufällig umrahmen diese Fragen das Alte Testament: Die erste Frage eröffnet das Alte Testament, die zweite das Neue.

      In der Geschichte der Bibel sucht Gott nach Menschen, die in Sünde leben. Darauf reagieren die Menschen mit der Suche nach einem Gott, der das wahre Heil bietet. Es ist Gott, der auf erstaunliche und bewegende Art und Weise zuerst handelt, und sein Wirken löst Anbetung und Lob aus. Gott bittet – und befähigt – uns Menschen dann, mit einer Verwandlung unserer Sinne, unserer Prioritäten, ja unseres Lebens, darauf zu antworten. Das Wunder göttlicher Gnade besteht darin, dass wir unser Leben fortan nicht mehr an uns selbst orientieren, sondern an Gott. So können wir gemeinsam mit dem Apostel Paulus verkünden: Darum lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir (Galater 2,20). Jeder Aspekt unserer Gotteserfahrung hat Folgen. Gottes Gnade ist kostenlos, doch sie erfordert eine Reaktion.

      • Gott hat uns vergeben; darum sollen wir ein Volk werden, dessen Leben von Vergebung geprägt ist. Vergib uns unsere Schuld, wie wir denen vergeben, die uns Unrecht getan haben (Matthäus 6,12).

      • Gott hat uns mit sich versöhnt; darum sollen wir mit unseren Feinden versöhnt werden; uns wird ein Amt der Versöhnung aufgetragen (2. Korinther 5,18).

      • Gott hat uns mit seinem Frieden beschenkt; darum sollen wir Friedensstifter sein. Glücklich sind, die Frieden stiften, denn Gott wird sie seine Kinder nennen (Matthäus 5,9).

      Der kroatische Theologe Miroslav Volf hat es wie folgt ausgedrückt:

      „Eingeprägt in das Herz der göttlichen Gnade ist die Regel, dass wir deren Empfänger nur dann werden können, wenn wir uns nicht dagegen wehren, deren Träger zu werden. Was uns widerfährt, muss von uns selbst vollbracht werden.“4

      In der Apostelgeschichte 10 waren Petrus und Kornelius Empfänger der Gnade. Und der gütige Gott hat sie dazu berufen, selbst Träger seiner Gnade zu werden. Das bedeutete, Frieden zu stiften. Es bedeutete, Gottes Mitwirkende dabei zu werden, Gnade und Frieden im Leben vieler Menschen zu bewirken. Es bedeutete, ihre Weltanschauung, ihre Feindbilder und ihre Prioritäten zu verändern. Es bedeutete, Risiken einzugehen. Wenn Menschen die göttliche Gnade erfahren wollten, wurden sie zugleich dazu aufgerufen, Friedensstifter zu sein. So ist es auch bei uns: Wenn wir die göttliche Gnade erfahren wollen, müssen wir Boten seiner Gnade und seines Friedens werden.

       Friede ist umfassend: zum Begriff

      In Apostelgeschichte 10,36 sagte Petrus Kornelius, Jesus habe mit dem Frieden „evangelisiert“. Doch was ist mit Frieden gemeint?

      Der Friede, zu dem die Friedenskirche aufgerufen wird, ist gewaltigen Ausmaßes. Im Alltagsleben benutzen wir das Wort „Friede“ oft in einem oberflächlichen Sinn, der nicht gerade dabei hilft, hinter das biblische Verständnis von Frieden zu kommen. „Ich wünschte, unsere Nachbarn würden ihre Musik leiser stellen und mir ein bisschen Frieden bescheren.“ „Dank der Atombombe haben wir in Europa nun seit 40 Jahren Frieden.“ Gelegentlich benutzen wir auch ein Wort, das wir der Bedeutung des Wortes Frieden gleichstellen: „Gewaltlosigkeit“.

      Hier sind vier Ansätze, Frieden zu definieren:

      • Friede als Negation. „Es gibt keinen Krieg, also leben wir im Frieden.“ Das ist oberflächlich. Diese sehr begrenzte Sichtweise basiert auf persönlichen Gefühlen und individuellen Erfahrungen.

      • Friede als das, was den Frieden fördert. Zum Beispiel könnte man sagen: „Manche Menschen setzen sich für die Beendigung aller Formen von gesellschaftlicher Unterdrückung und individueller wie struktureller Gewalt ein.“5

      • Friede mit einer klaren Ausrichtung: Friede ist notwendig, damit alle Gewalt ein Ende hat. Dieser Ansatz sieht Gewalt als das Haupthindernis für den Frieden.

      • Friede als Konfliktverwandlung. Betont wird hierbei nicht die Gewalt, sondern der Konflikt. Diesem Ansatz zufolge ist es wichtig, die Zusammensetzung und den Mechanismus eines Konflikts zu begreifen und zu wissen, wie er kreativ und gewaltlos umgewandelt werden kann.6

      Der biblische Friede umfasst das alles – und noch mehr. Bibelforscher weisen uns darauf hin, dass das hebräische Wort Schalom, das oftmals mit „Frieden“ übersetzt wird, 235 Mal im Alten Testament vorkommt und sich auf vieles in den verschiedensten Zusammenhängen bezieht.7 Schalom schafft das Friedenskonzept hinter dem neutestamentlichen Wort Eirene.

      Der biblische Friede, Schalom, bezieht sich erstens auf das generelle Wohlergehen und materielle Gedeihen, gekennzeichnet durch körperliches Wohlergehen sowie das Ausbleiben von Krieg, Krankheit und Hunger (Jeremia 33,6.9). Zweitens bezieht sich der Friede auf gerechte Beziehungen. Sie zeichnen sich durch einwandfreie Beziehungen zwischen Individuen und zwischen Nationen aus. Dieser Friede bezieht sich ebenfalls auf eine harmonische und gerechte Sozialordnung, die in keiner Weise Unterdrückung oder Ausgrenzung aufweist (Jesaja 54,13–14). Drittens bezieht sich der Friede auf die moralische Integrität eines Menschen, der ehrlich und betruglos lebt und weder Schuld noch Verdachtsmomente aufweist (Psalm 34,13–14). Im Neuen Testament erhält der Friede, Eirene, eine weitere Nuance: Er steht in Verbindung mit Gott und der guten Nachricht von Gott. Beachten Sie den Ausdruck „Gott des Friedens“ (Römer 15,3; 16,20; 2. Korinther 13,11; 1. Thessalonicher 5,23; 2. Thessalonicher 3,16; Hebräer 13,20).8

      Der biblische Friede bezieht sich auf die Ganzheitlichkeit, eine allumfassende Ganzheitlichkeit von Menschen und der gesamten Schöpfung.9 Er beinhaltet die physischen, beziehungsmäßigen, moralischen und geistlichen Dimensionen des Menschseins. Davon wusste Petrus. Als er Kornelius die „Gute Nachricht des Friedens“ erklärte, sagte er, dass Menschen in allen Ländern Gott angenehm sein werden, wenn sie Ehrfurcht vor ihm haben und so leben, wie es ihm gefällt (Apostelgeschichte 10,35). Petrus verstand, dass Gerechtigkeit eine Voraussetzung für den Schalom ist; wo es gerecht zugeht, da herrschen auch Friede, Ruhe und Sicherheit (Jesaja 32,17). Entsprechend der jüdischen Denkweise von Petrus kann es keinen Frieden geben, wenn Beziehungen zerbrochen sind, wenn keine Harmonie zwischen Menschen und Gott sowie untereinander besteht, wenn Ungerechtigkeit, Hass und Angst das Feld beherrschen. Also bewegten sich Petrus und Kornelius in Richtung einer großen Friedensvision, bei der Gott „eine gebrochene Welt wieder zusammensetzt“.10

      Das Gleiche galt in der Urkirche. Der Märtyrer Justinus sagte, Christen hätten die Waffen des Krieges durch das Wirken des gekreuzigten Heilands in friedliches Bauerngerät umgeschmiedet. Und was konnten sie damit bestellen? „Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Menschenfreundlichkeit, Glaube und Hoffnung.“11 Der Friede, mit dem Jesus, Petrus und die ersten Christen evangelisiert hatten, war groß und erhaben. Er verkörperte Gerechtigkeit und die Umwandlung gebrochener und unterdrückender Beziehungen in eine Kultur des Friedens.

       Der Friede ist individuell sowie gemeinschaftlich

      Petrus sprach vom Frieden. Er, Kornelius und die vielen, die in der Garnison zu Cäsarea versammelt waren, erfuhren Frieden. Dieser Friede/Schalom/Eirene war zutiefst persönlich – das versöhnende, verzeihende und liebende Werk Gottes. Durch das Wirken Christi und des Heiligen Geistes war Gott dabei, Menschen ihre Sünden zu vergeben und sie mit sich zu versöhnen (Apostelgeschichte 10,43). Also fragte Petrus: Wer könnte ihnen jetzt noch die Taufe verweigern, wo sie [die Heiden] genau wie wir den Heiligen Geist empfangen haben? (Apostelgeschichte 10,47). Diese Frage war eine Herausforderung. Die Taufe brachte damals wie heute zum Ausdruck, dass Menschen, die Brüder und Schwestern in Christus geworden sind, in die neue Familie des Glaubens aufgenommen werden. Die Taufe sprach für sich. Sie besagte, dass Menschen, die mit Gott versöhnt worden sind, fortan mit anderen, einschließlich ihrer ehemaligen Feinde, in Frieden leben können.

      Der Friede – der biblische Friede von Schalom und Eirene – war ein Ausdruck Gottes heilenden Werkes, das sowohl persönlicher wie gemeinschaftlicher Art war. Die neutestamentlichen Verfasser wussten, dass Petrus und


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