Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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Erfolge an der Ostfront.

      Damals, im Jahre 1945, wurden die Russen in Polen mit gemischten Gefühlen empfangen. Sie waren Verbündete, denn ihnen war es zu verdanken, dass Hitler besiegt worden war; aber sie waren auch mitschuldig an der Tragödie Polens, denn gemeinsam mit dem Dritten Reich waren sie im Jahre 1939 an der Teilung des Landes beteiligt gewesen. In den Gebieten Polens, die der Sowjetunion angegliedert wurden, herrschte vom ersten Tag an stalinistischer Terror, Hunderttausende wurden verschleppt, Zehntausende ermordet, wie die polnischen Kriegsgefangenen in Katyn. Tatenlos hatte die Rote Armee dem schrecklichen Sterben Warschaus während des Aufstandes von 1944 zugesehen; und schließlich wurde eine kommunistische polnische Regierung von Stalins Gnaden eingesetzt, die damals von niemandem in Polen als rechtmäßig angesehen wurde; die Bevölkerung hielt der legalen Regierung in London die Treue.

      Die Geschichte der polnisch-russischen und der polnisch-sowjetischen Beziehungen ist seit über dreißig Jahren von unbeschreiblichem Betrug, von Verlogenheit und Täuschung geprägt. Nach jahrhundertelanger Feindseligkeit und Ablehnung ist die Wahrheit über diese Zeit die Grundvoraussetzung für eine Versöhnung zwischen Polen und Russen. Hier ist nicht der Ort, um eingehender darüber zu sprechen. Wenn ich dieses Thema in Bezug auf das Jahr 1945 überhaupt angeschnitten habe, so nur, um festzustellen, dass das Schicksal von Kazimierz Moczarski mit der Geschichte der polnischsowjetischen Beziehungen eng verknüpft ist und keineswegs eine Angelegenheit darstellt, die nur die Polen etwas angeht.

      IX.

      Moczarskis Verhaftung nahm die polnische Geheimpolizei vor, die damals in weit stärkerem Maße als später im Dienst des sowjetischen Geheimdienstes NKWD stand. Diese Feststellung rechtfertigt uns Polen in keiner Weise. Denn es waren Polen, die den polnischen Nationalhelden Kazimierz Moczarski elf Jahre lang physisch und moralisch misshandelten.

      Ich hasse jede Art von Nationalismus. Diese Überzeugung bildete die Grundlage meiner Freundschaft mit Moczarski. Im Augenblick, da ich niederschreibe, dass es meine Landsleute waren, die ihn folterten, verdamme ich mein Volk nicht – ich will es aber auch nicht rechtfertigen. Meiner Meinung nach gibt es keine guten oder schlechten, edlen oder gemeinen Völker. Ich stelle lediglich fest, dass es überall auf dieser besten aller Welten Kanaillen gibt. Und ich denke, dass man auch anständige Menschen unter bestimmten Bedingungen dahin bringen kann, dass sie zum Werkzeug des Teufels werden. Denn niemand kommt als Heiliger oder Märtyrer auf die Welt und keinem wurde bereits in der Wiege das Kains-Zeichen des Mörders aufgedrückt. Alles ist eine Frage des Charakters und der historischen Umstände. Das erste Mal wurde ich im Konzentrationslager Sachsenhausen von einem französischen Kapo geschlagen. Der erste Leidensgenosse, der mit mir ein Stück Brot teilte, war ein deutscher Sozialdemokrat aus Köln. Er hieß Osske. Auf ihn komme ich später zurück.

      Ich habe einmal geschrieben, dass »die Menschen von Natur aus schwach sind und sie deshalb die Gewalttätigkeit lieben«. Moczarski fand diese Ansicht richtig, und seine Meinung ist für mich maßgebend, denn kaum jemand hat so viel durchgemacht und dabei genügend innere Kraft besessen, um sich nicht der Gewalt zu beugen. Fast elf Jahre im Gefängnis, zweieinhalb davon in der Todeszelle, jeden Augenblick mit dem Erscheinen des Henkers rechnend: unbeugsam um seine persönliche Würde und die Ehre eines polnischen Soldaten kämpfend, überstand Moczarski alle Anfechtungen. Angeklagt und verurteilt wurde er unter dem Vorwurf der Kollaboration mit den Nazis, für Mord an polnischen Widerstandskämpfern, wegen Verrat an seinem Volk und Agententätigkeit für die Gestapo.

      Die 49 Folterarten, denen Moczarski während der Untersuchungshaft unterworfen wurde, will ich hier nicht aufzählen. Vielleicht nur so viel, dass Ansengen der Fingernägel, Knüppelschläge bis zur Bewusstlosigkeit und Zerquetschen von Fingern und Zehen zu den Misshandlungen leichteren Grades zählten. Und wenn dieser Mann dreißig Monate auf die Vollstreckung seines Todesurteils wartete, um schließlich zu erfahren, dass die Strafe bereits zwei Jahre zuvor auf dem Gnadenweg in lebenslange Haft umgewandelt worden war, ist nicht dies das wirklich Entsetzliche. Am gespenstischsten war, dass alle, die am Schicksal Moczarskis beteiligt waren, vom Gefängniswärter bis zu den Richtern, genau wussten, dass dieser Mann unschuldig war. Sie wussten, dass Moczarski niemals ein Faschist, Verräter oder Gestapo-Agent, sondern ein mutiger Soldat des Untergrunds gewesen war, der während der Kriegs- und Besatzungszeit gegen die Nazis gekämpft hatte. Aber sie verlangten, dass er sich zu den erfundenen Verbrechen bekennen, die Strafe demütig annehmen und für die nicht begangenen Fehler büßen sollte. Sie verlangten, dass er sich von seiner aufrechten, tapferen Vergangenheit lossagen und sie nach einem Wahnsinnsdiktat mit Schmutz bewerfen sollte. Sie forderten, dass er seine Helfer nenne, jene »Faschisten, Verräter und Gestapo-Agenten«, die in Wirklichkeit Soldaten des polnischen Untergrunds gewesen waren und unter Einsatz ihres Lebens gegen den Feind gekämpft hatten. Sie wollten Moczarski dazu zwingen, sich selbst zu verleugnen, das Gute als etwas Böses zu bezeichnen, die Tugend als Verbrechen, die Heimatliebe als Verrat und den Mut als Niedertracht; sie verlangten, dass er den Teufel anbete. Aber sie wussten nicht, dass ihnen ein Mensch gegenüberstand, der bereit war, den schrecklichsten Tod zu sterben, aber unfähig war, gegen sein Gewissen zu handeln.

      So besiegte er sie Tag für Tag, durch elf Jahre des Leidens und der Qual. Sie schrieben auf seine Stirn das Wort »Gestapo« und ließen ihn mit zwei Naziverbrechern in einer Zelle leben, erpressten ihn mit der Androhung schrecklichster Strafen, die seine Angehörigen treffen würden. Er brach nicht zusammen.

      Moczarski sagte oft, dass Hitler im Grunde geradliniger gewesen sei als Stalin. Hitler war eine Kreatur von primitivem Hass. Während er Juden ermorden ließ, verkündete er, es handele sich um Läuse. Er erklärte, dass Slawen lediglich ein Sklavenstamm seien und behandelte sie entsprechend. Er tötete und erwartete nicht, dass man ihn liebte, ihm Recht gab, ihn menschlich und gerecht fand. Stalin dagegen ließ töten und verlangte von seinen Opfern Liebe und blinde Ergebenheit sowie die Bestätigung, dass er der größte Freund der Menschheit sei ...

      X.

      Ein Kritiker schrieb nach der Lektüre des Buches »Gespräche mit dem Henker«, ein »Treppenwitz der Geschichte« hätte bewirkt, dass Moczarski neun Monate gemeinsam mit Stroop, dem Henker von Warschau, in einer Zelle verbringen musste.

      Hier geht es um keinen Witz, sondern um ein Verbrechen. Und nicht die Geschichte war schuld, denn weder Kanaillen noch Schergen schreiben die Geschichte eines Volkes. Die wirkliche Geschichte Polens schrieben mit ihrem Leben Kazimierz Moczarski und andere, die ihm ähnlich waren. Von Moczarski wird man eines Tages in den Schulbüchern lesen, er wird zu jenen gehören, denen Polen sein Selbstbewusstsein und seine geistige Unabhängigkeit verdankt, die generationenlang brutal vergewaltigt wurden und trotzdem im Gedächtnis der Menschen lebendig geblieben sind.

      An die Namen derer, die Moczarski misshandelt haben, erinnert sich heute niemand mehr – sie verstauben in den Polizeiakten. Aber nicht nur sie tragen die Verantwortung für alles, was Moczarski angetan wurde.

      Das Schicksal dieses Mannes beweist, dass es zwischen totalen Regimen keinen Unterschied gibt. Die Bedeutung des Buches »Gespräche mit dem Henker« beruht auf der Vielschichtigkeit der Themen und der Eindeutigkeit der moralischen Urteile, die es enthält.

      In einer gemeinsamen Zelle, die sie mit einem Namenlosen namens Schielke teilen, fristen zwei Verurteilte ihr armseliges Dasein. Der eine ist ein Naziverbrecher, ein Mörder von Hunderttausenden unschuldiger Opfer, das Gestalt gewordene Beispiel für eine faschistische Einstellung zum Leben. Der andere ist das Opfer jener Henker und Mörder, die unbeeindruckt durch die Gefängnisgänge von Mokotów schlendern, von einer nur geringfügig andersgearteten Ideologie geprägt. Der SS-General Stroop steht beispielhaft für eine Mentalität, die im Dienst des Nazi-Terrors gezüchtet wurde, Moczarski wird von Handlangern des stalinistischen Terrors misshandelt. Doch Merkmale einer bestimmten Ideologie spielen hier keine Rolle – es zeigt sich nämlich, dass sowohl Methoden als auch Denkungsweisen einander stark ähneln.

      Moczarski wiederholte mir gegenüber häufig, seine Gespräche mit Stroop seien nicht nur ein Versuch gewesen, dem furchtbaren Gefängnisdasein zu entfliehen. Sie dienten auch dem Erkennen der Realität, in der er sich befand. Während er die tiefsten Seelenregungen Stroops kennenlernte, versuchte


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