Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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der Macht bringen sollte. Aber auch dieser Mann erwies sich mit der Zeit als Enttäuschung, als eine neuerliche Fälschung im Namen des Totalitarismus.

      Als im Dezember 1956 vor dem Wojewodschaftsgericht in Warschau der Rehabilitierungsprozess von Kazimierz Moczarski stattfand, war es die einzige öffentliche Gerichtsverhandlung, die in Polen gegen den Stalinismus geführt wurde. Wenn ich nicht irre, war es der einzige Prozess überhaupt, in dem der Stalinismus angeklagt worden ist.

      Moczarski trat vor seine Richter als freier Mann, als ein Bürger, der seine vollständige Rehabilitierung fordert. Denn er war unter der fiktiven Anklage des Landesverrats und der Zusammenarbeit mit den Nazis verurteilt worden. Jetzt verlangte er einfach Gerechtigkeit.

      Sie wurde ihm zumindest im moralischen Sinne zuteil: Seine langen Gefängnisjahre und die Torturen konnte niemand mehr wiedergutmachen ...

      In der Begründung des Urteils vom 11. Dezember 1956 erklärte das Wojewodschaftsgericht der Volksrepublik Polen unter anderem:

      »Das Wojewodschaftsgerichts erachtet es als seine Pflicht zu erklären, dass das nach neuerlicher Beweisaufnahme durchgefiihrte Berufungsverfahren im vorliegenden Fall nicht nur die Grundlosigkeit, Künstlichkeit und tendenziöse Ausrichtung der Anklage erwiesen hat, was bereits der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft der Volksrepublik Polen zum Ausdruck brachte, als er die Anklage fallen ließ; das Verfahren bewies außerdem, dass die Ehre und der Name der polnischen Untergrundarmee, die sich in ihrer überwältigenden Mehrheit auf keine Zusammenarbeit mit dem Feind eingelassen hatte und die Kazimierz Moczarski sowohl während seiner Tätigkeit in der Widerstandsbewegung als auch während der langjährigen Haftzeit mit achtunggebietender Hartnäckigkeit und Tapferkeit verteidigt hatte, während dieser Verhandlung voll wiederhergestellt worden sind.«

      XIV.

      Dieses Zitat aus dem im Namen der Volksrepublik Polen ergangenen Urteils wurde im Jahre 1972 von der staatlichen polnischen Zensur gestrichen. Ich hatte es in mein Vorwort zu Moczarskis Buch aufgenommen, das damals in der Zeitschrift »Odra« abgedruckt wurde.

      So war im Jahre 1972 der politische Zensor in Polen wieder mächtiger als der unabhängige Richter, der im Namen des Volkes sein Urteil gesprochen hatte.

      Jemand, der den Mechanismus des Systems nicht kennt, könnte fragen: Was bedeutet schon das Streichen einiger gedruckter Sätze im Vergleich zu den während der stalinistischen Zeit üblich gewesenen Todeszellen und Misshandlungen, dem Brechen von Knochen und Charakteren? Wir leben doch jetzt in einer ganz anderen Zeit, der Fortschritt ist so gewaltig, dass es kaum noch lohnt, sich mit Lappalien aufzuhalten ...

      Kein vernünftiger Mensch bestreitet, dass die Veränderungen wirklich tiefgreifend sind. Schließlich lebte Moczarski nach 1956 viele Jahre ruhig und ohne materielle Sorgen, er konnte seine »Gespräche mit dem Henker« niederschreiben und drucken lassen, bis das Werk – leider erst nach seinem Tod – in Buchform erschien und den Lesern zugänglich gemacht wurde.

      Wir leben also in Frieden und Sicherheit, in einer blühenden, heilen Welt, in der alle zufrieden sein sollen.

      Wehe dem, der auch nur einen Hauch von Unzufriedenheit zu äußern wagt! Es stimmt, politische Urteile zählen heute zu Ausnahmen, die breit diskutiert werden und lebhafte Proteste hervorrufen. Etwas anderes gilt für eine auch nur vorübergehende Verhaftung, für Hausdurchsuchungen, die Beschlagnahme von Büchern, Manuskripten und von privater Korrespondenz. Oder auch für eine Entlassung oder ein Berufsverbot und behördliche Schikanen. Auch verleumderische Presseangriffe, auf die man nicht antworten kann, weil außer der staatlich kontrollierten keine andere Presse existiert. Es stimmt, im Vergleich zu den alten Methoden gibt es einen gewaltigen Fortschritt. In der Zeit des Stalinismus – hätte er länger gedauert – wäre Moczarski hingerichtet und seine Asche, wie die irgendeines Stroop, in alle Winde verstreut worden. Auch ich wäre wohl kaum noch am Leben, bestenfalls würde ich irgendwo dahinvegetieren.

      Wir müssen Gott demütig danken, dass er seine Geschöpfe in die Ewigkeit abruft, auch wenn Er es manchmal sehr spät tut! Ich nehme an, Gott verspürte im Fall Stalins und Hitlers einen solchen Abscheu, dass er die Entscheidung so lange hinausschob, um beide nicht aus der Nähe betrachten zu müssen. Wir haben dafür einen gesalzenen Preis bezahlt ...

      Doch zurück zum Thema. Zweifellos hat sich vieles verändert. Das verdanken wir vor allem der Zivilcourage von Hunderttausenden, denen ihre eigene Würde und ihre Freiheitsliebe mehr bedeuteten als Opportunismus oder unterwürfige Nachgiebigkeit. Wir verdanken es auch den Veränderungen in unserer Zivilisation, die in einem bestimmten Entwicklungsstadium der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens, der Selbstherrlichkeit staatlicher Behörden Einhalt gebieten.

      Und doch ist bei weitem nicht alles ideal in dieser besten aller Welten! Schon hundert Jahre vor Hitler schrieb Heinrich Heine ahnungsvoll, dass »dort, wo Bücher verbrannt werden, man bald auch Menschen verbrennen wird«. Man kann nur eines hinzufügen: Dort, wo die Mächtigen das Recht mit Füßen treten, wo sie sich für das Maß aller Dinge halten und Urteile der eigenen Gerichte missachten, wo Scheinheiligkeit gleich Verlogenheit ist und Falschheit für Ehrlichkeit steht, wo der Staat den Bürger demütigen darf und dieser Bürger keinen Schutz vor der Selbstherrlichkeit des Apparats findet, wo selbstständiges Denken oft als Ausdruck der Feindseligkeit gegenüber dem System gilt und der Einzelne je nach dem Grad seiner Unterwürfigkeit gegenüber der gerade regierenden Gruppe eingestuft wird – dort kann es jederzeit zu Rechtlosigkeit und zu anderen Ausschreitungen eines totalitären Machtapparats kommen.

      Bitte lesen sie aufmerksam die Worte Jürgen Stroops, dieses typischen Falls eines vom totalitären Denken beherrschten Geistes. Lesen Sie die »Gespräche mit dem Henker« und vergegenwärtigen Sie sich das Schicksal Kazimierz Moczarskis, eines Mannes, der sich nie aufgab, der bereit war zu sterben, um andere vor einem schmachvollen Dasein unter einem totalitären Regime zu bewahren.

      I. Kapitel

      Auge in Auge mit Stroop

      2. März 1949. Abteilung XI des Warschauer Gefängnisses Mokotów. Eben brachte man mich in eine Zelle, in der schon zwei Männer sitzen. Kaum ist die Tür verriegelt, beginnen wir uns, wie bei Häftlingen üblich, vorsichtig zu »beriechen«. Innerhalb der Zellenordnung sind mir die beiden im Augenblick überlegen, denn ich wurde zu ihnen in ihre Zelle verlegt. Ich habe zwar gewisse Möglichkeiten: Um eine schützende Distanz zu schaffen, könnte ich »Salzsäule« oder »Mann vom Mond« spielen. Die beiden Männer wären nicht in der Lage, sich ähnlich zu verhalten, denn sie bilden eine wechselseitige Gemeinschaft.

      »Sind Sie Pole?«, fragt der Ältere, mittelgroß, schlank, mit blau geäderten Händen, einem Kartoffelbauch und großen Zahnlücken. Er trägt eine feldgraue Jacke, Drillichhosen und Holzpantinen, das Hemd ist auf der Brust weit geöffnet.

      »Ja. Und Sie? «

      »Deutsche. Sogenannte Kriegsverbrecher.«

      Ich richte mich notdürftig ein, stopfe meine wenigen Habseligkeiten in einen Winkel. Der Ältere hilft mir, ohne dass ich ihn dazu auffordere. Es herrscht angespanntes Schweigen. Also Deutsche, denke ich. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich auf engstem Raum mit ihnen zusammen sein. An solche Nazis erinnere ich mich noch aus der Besatzungszeit so deutlich, als wäre es gestern gewesen. Eine schwierige Situation, aber in Mokotów wurden Gefangene häufig ohne Rücksicht auf ihre Nationalität in eine Zelle gesperrt. Von ihnen trennen mich Welten – die Last der Vergangenheit ebenso wie die Weltanschauung. Uns verbindet nur das Dasein als Zellengenossen. Kann das allein einen Abgrund überbrücken?

      Meine chaotischen Gedankensprünge werden jäh unterbrochen, denn die Gewohnheit, stets auf der Hut zu sein, signalisiert mir: Warum drückt sich der andere Nazi so schweigsam in die Fensterecke? Ist er gefährlich, oder hat er Angst?

      Beim Unterbringen meiner Sachen hilft mir Gustav Schielke1 aus Hannover, viele Jahre kleiner Beamter bei der Sittenpolizei. Während des Krieges SS-Untersturmfuhrer, Archivar beim Befehlshaber der Sipo und SD in Krakau, das heißt beim Führer der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes im Generalgouvernement.


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