Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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völlig zurückgezogen sein, es sei denn, der Gardinenstoff war durchsichtig. Auf keinen Fall durfte die Frau einen undurchlässigen Vorhang hinter sich haben. Diesen Brauch hatten die Bürger eingeführt«, berichtete Stroop, »nachdem eine Ehefrau ihre eheliche Treue zwar nach außen kund tat, wobei sie einsam aus dem Fenster lehnte, während sich zu gleicher Zeit ihr junger Liebhaber hinter dem schweren, geschlossenen Vorhang wacker mit ihr vergnügte.«

      Laut Stroop ging diese Sitte (der offenen Gardine, nicht der Lustbarkeiten der Ehefrauen) auf die Zeit der Hexenverbrennungen zurück. Nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte der Hexenwahn in Lippe einen Höhepunkt erreicht. In Detmold, das 1648 etwa 900 Einwohner zählte, wurden damals 19 Hexen und Zauberer hingerichtet. Die heißblütige Ehefrau eines angejahrten Bürgers, welcher enge Verbindungen zum Teufel nachgesagt wurden, soll diese scheinheilige Gardinenmethode erfunden haben. Es geht hier nicht um die Praktiken eines Fensterkissen-Ehebruchs oder um die Herkunft dieses Brauchs. Auch nicht um die Geschichte der Grausamkeiten unter den europäischen Völkern. Das Problem, das unsere Aufmerksamkeit verdient, liegt in der Hypothese, dass beständiges Unrecht, das im Namen des Dogmas vom widerspruchslosen Gehorsam gegenüber mächtigen Führern geduldet wird, bei gleichzeitigem Fehlen einer erzieherischen Gegenwirkung die Psyche der Menschen auf die Dauer deformiert. Als Beispiel eines in jener Zeit vielleicht ganz normalen Unrechts kann die Behandlung der Hexen in Lippe dienen. Ihre Zahl – sie betrifft zwei Prozent der Einwohner Detmolds – ist erstaunlich hoch. So als würde man heute 26000 bis 28000 Einwohner Warschaus auf dem Scheiterhaufen verbrennen.

      Eines Tages klaute der kleine Joseph seiner Mutter das Sofakissen und rutschte damit auf dem Hof ein Brett hinunter. Er wollte seine Hose schonen. Die Mutter versohlte ihn nach diesem Experiment so gründlich, dass er es zeit seines Lebens nicht vergaß.

      Von da an war Joseph auf eine mustergültige Weise gehorsam und folgte den Eltern aufs Wort. In der Gefängniszelle, während unserer Gespräche über die Vergangenheit und unsere Kindheitsabenteuer, unterstrich Stroop immer wieder, dass die soldatische Disziplin seines Vaters und die Strenge der Mutter seinen Charakter geformt und ihn vor übermäßigem Individualismus bewahrt hätten.

      »Befehl ist Befehl, Herr Moczarski! Die Mächtigen haben immer Recht« (er dachte wohl an seinen Vater, an den Fürsten zu Lippe und an Himmler), »und Gott ist auch dafür« (hier erinnerte er sich wahrscheinlich an seine frömmelnde Mutter und an Wotan).

      Die nächsten Prügel, diesmal nicht mehr auf den Hintern, bekam er um die Weihnachtszeit, lange vor dem Ersten Weltkrieg.

      Nach altem westfälisch-detmoldschem Brauch versteckten die Eltern Weihnachtsgeschenke in den Schuhen ihrer Kinder. Der aufgeregte Joseph stellte fest, dass seine Pantoffeln leer waren, weil sich sein Bruder das für ihn bestimmte Geschenk »ausgeliehen« hatte. Also verdrosch er ihn. Die Mutter erwischte die beiden Kinder mitten in der hitzigen Prügelei. Sein Bruder hatte eine blutige Wange, und Josephs Augen funkelten vor Wut. Die Mutter versetzte Joseph ein paar schallende Ohrfeigen. Als jedoch der Vater erschien, lobte er seinen blauäugigen Erben dafür, dass er den »Dieb« verprügelt hatte, obwohl sein Bruder der Schwächere war. Auf diese Weise weihte der Oberwachtmeister seine Kinder schon damals in die Methoden deutschen Handelns ein: »Mein Sohn, prügele deine Feinde ohne Mitleid und so fest du kannst, so wie ich die Feinde des Vaterlandes verprügelt habe und auch Knopf, diesen Habenichts aus dem Walddorf, als er versuchte, Frau Direktor Müller ein Huhn zu stehlen!«

      Die Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen, gab ihrem Mann aber später Recht. Der Sohn hatte mit Hilfe des Vaters und Polizisten gesiegt. Und doch war die Mutter bedrückt. Vielleicht hatte sie bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal das stahlharte Aufblitzen in den Augen ihres Sohnes bemerkt.

      Josephs Kindheit verlief vorwiegend fröhlich, obgleich nicht alle seine Wünsche in Erfüllung gingen. Der Vater hatte ein bescheidenes Einkommen, aber die Mutter wirtschaftete sparsam, so dass sie einigermaßen leben konnten. Dazu zeigten sich die Nachbarn in der Stadt und die Bittsteller vom Lande dem Polizeichef für Hilfe, Schutz und legale Begünstigung erkenntlich.

      Schon frühzeitig erwachte in Joseph das Verlangen nach irdischen Gütern. Er sah die eleganten Damen und vornehmen Herren im Park des Fürsten. Frau S., die Gattin des Zigarren-Hoflieferanten, trug ständig Seidenkleider, Spitzen und Brillanten und besaß eine Kutsche. Sein Schulfreund Kurt W. hatte ein Pony, und Luise, die Tochter des Möbelfabrikanten, konnte so viel Schokolade essen, wie sie wollte.

      Den größten Reichtum aber verkörperte für den kleinen Stroop ein stattlicher Landauer mit zwei weißen Pferden. Er vergaß nie den Anblick Seiner Hoheit, des Fürsten zu Lippe-Detmold, während einer Ausfahrt durch die Alleen des Schlossparks, wobei der Potentat huldvoll die Ergebenheitsbezeugungen seiner Untertanen entgegennahm. Ergriffen erzählte Stroop immer wieder, wie sich entlang des Weges die festlich gekleideten Beamten, Gutsbesitzer, Offiziere, Kaufleute und Pensionäre samt ihren Familien aufstellten. Die Herren verbeugten sich feierlich oder legten die Hand an die Mütze, wobei sie die Hacken zusammenschlugen. Die Damen, feierlichen Zeremonien ohnehin zugetan, knicksten tief, während sie ihre Röcke ausbreiteten. Und der Vater, Oberwachtmeister Stroop, hielt den Kleinen an der Hand und flüsterte:

      »Sieh hin und vergiss nichts! Das ist unser Fürst, unser Herrscher. Bleibe ihm immer ergeben und gehorsam wie ich, mein Sohn!«

      Und sie verbeugten sich tief und untertänig, die beiden Stroops.

      Joseph schwor sich im tiefsten Herzen, »unserem« Herrn bis ans Lebensende treu zu dienen, und beschloss gleichzeitig, eines Tages näher in das Zentrum der Macht vorzudringen. Er hatte das bescheidene Haus an der Mühlenstraße satt und auch den mühsamen Fußdienst des Vaters. Er wollte ein Pferd besitzen, viel gutes Essen und in seinem künftigen Haus einen Salon. (Von einem Landgut träumte er damals noch nicht.)

      Der Mutter tat es weh, dass sie, die Stroops, dem Schloss und dem Fürsten so nahe waren, und dennoch so weit von den »Spitzen der Gesellschaft« in der Stadt und im Umland entfernt. Denn dieses Umland machte sich oft in den Straßen Detmolds bemerkbar, mit einer Kette von Pferdekutschen, Einspännern, Fuhrwerken und Reitern. Die Stadt war dann voll von Gutsherren und schönen, eleganten Frauen. Die Kaufleute machten ihre tiefen Bücklinge, die Gehilfen und Lehrlinge trugen Pakete zu den Wagen und schnupperten die teuren Parfüms der adeligen Damen. In den Fenstern waren alle Sofakissen belegt. Und durch Detmold schwirrten Klatschgeschichten aus der feinen Welt.

      Die allergrößte Verehrung aber genoss in Lippe die Uniform. In das gastliche Fürstentum kamen in Ruhestand lebende Bürger aus ganz Deutschland, darunter viele Militärs. Denn in Lippe-Detmold lebte man billig, das Klima war gut, und der nötige Respekt für einen Offiziersrang und Orden war auch vorhanden. Ich vermute, dass kein pensionierter General auf die Idee gekommen wäre, sich in Detmold niederzulassen. Für solche Persönlichkeiten war das Städtchen zu klein und zu langweilig. Auch Oberste waren sicher an den Fingern beider Hände abzuzählen. Aber angejahrte Majore, Hauptleute und Oberleutnants aus der Zeit von Sedan und etwas jüngere von der Kolonialarmee, den Husaren-, Ulanen-, Artillerie-, Jäger- und Infanterieregimentern gab es in Überzahl. Die ganze Stadt strömte zusammen, wenn sich diese Veteranen in ihren historischen Uniformen zu den Jubiläen, Jahrestagen und Zapfenstreichen bei Fackelschein und Musik versammelten. Väter, Frauen und Kinder erbauten sich an den militärischen Festreden und Auftritten, sie sangen das »Niederländische Dankgebet«, »Die Wacht am Rhein« und »Deutschland, Deutschland über alles«. So nahmen sie teil an der militärischen Vergangenheit des Landes und ihres Fürsten.

      Die Wurzeln der Tradition reichten tief. Bei Detmold war es, wo Arminius-Hermann, Herzog des germanischen Stammes der Cherusker, im Jahre 9 n.Chr. die vieltausendköpfigen römischen Legionen unter Führung des Varus besiegt hatte.

      »Die Cherusker, die tapfersten unter den Germanen, sind unsere Vorfahren«, verkündeten die Einwohner von Lippe, darunter auch Stroop. »Wir stammen von ihnen ab. Wir, das Kernland des Reiches im Teutoburger Wald!« Lippe war stolz auf diese teutonische Abstammung. Auch der Vater von Stroop (wobei er vergaß, dass er eigentlich aus Westfalen stammte), auch die Mutter, und stolz bis in die kurz geschorenen Haarspitzen war auch Joseph (Jürgen) Stroop. Schon in frühester Kindheit hatte er Hermann dem Cherusker und der germanischen Rasse die Treue geschworen, obwohl die rassistisch-germanischen


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