Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski
als auch im Rahmen des Polizei- und Parteiunterrichts bei der SS.
Da er ziemlich schmal war, bewunderte er athletische Schultern und Ringergestalten. Der Sport spielte eine große Rolle in seinem Leben. Er übte oft mit Hanteln. Schulappelle mochte er besonders. Seine Sportlehrer lobten ihn wegen seiner vorbildlichen Haltung beim Strammstehen. Während vieler Wanderungen lernte er die Umgebung von Detmold und das übrige Fürstentum kennen. Er war empfänglich für die Schönheit der Natur, vor allem aber für die soldatischen und nationalistischen Traditionen seines Volkes. Oft erzählte er voller Stolz vom sogenannten »Weg Hermann des Cheruskers« im Teutoburger Wald und von der Kampfstätte, auf der die »schwarzgelockten Römer entweder vernichtend geschlagen wurden oder feige geflohen waren«. Er erwähnte die lippischen Schlachtfelder (zum Beispiel die Stelle, wo Karl der Große gegen die »abtrünnigen« Sachsen gekämpft hatte) und die ihm, wie ich meine, wie eine sanft verklärte Landschaft erschienen.
In seinem Heimatstädtchen, wo Schwäne über den Schlosskanal glitten, spürte er niemals Langeweile. Hatte er einmal nichts zu tun, dann spazierte er mit seinen Kameraden über die städtische Promenade. In Detmold gab es zwei oder drei größere Straßen bzw. Alleen. An Nachmittagen flanierte dort die örtliche Jugend, und zwar Jungen und Mädchen getrennt. Hier war ihr »Salon«, der Schauplatz ihrer Flirts und ihrer ersten aufkeimenden Wünsche, der Ort, an dem man seine neuen Kleider und sein Erwachsensein zur Schau stellte. Wenn das Wetter es zuließ, waren alle Fenster von Sofakissen-Damen besetzt.
Stroop war ein schlanker, dunkelblonder Mann; er hatte blaue Augen mit einem grünbraunen Schimmer und bewegte sich – er ging nicht, sondern schritt – mit typisch provinzieller Eleganz, die er bis an sein Lebensende beibehielt: Er schlenkerte leicht mit den Armen. »Wie sieht er doch männlich aus« (er hatte eine fleischige Adlernase), »und dabei so vornehm!«, seufzten wahrscheinlich die Detmolder Mädchen, in Küchen und Kirchen erzogen, unter dem wachsamen Auge ihrer mit Sofakissen bewehrten Mütter. Sogar die Töchter der örtlichen Honoratioren und der Gutsbesitzer aus der Umgebung blickten ihm schmachtend nach, obwohl ihr Stolz und die elterlichen Verbote ihnen niemals eine Unterhaltung oder gar einen Spaziergang mit Joseph Stroop, dem Sohn des Oberwachtmeisters, gestattet hätten.
Stroop besaß von klein auf eine Vorliebe für Pferde und träumte lange von einem Paar Reitstiefel. Der Vater war mit dieser Anschaffung einverstanden, da sie die soldatischen Neigungen des Sohnes verriet. Die Mutter jedoch konnte das Geld nicht entbehren. So musste der kleine Joseph lange sparen. Er nahm leichte Aushilfsarbeiten an und auch Trinkgelder und kaufte sich schließlich die Stiefel. Täglich putzte er sie mit Schuhwichse und spuckte dazu auf die Schuhbürste. Wenn er über die Bismarckstraße, den Markt und die Lange Straße spazierte, stellte er immer wieder zufrieden fest, dass sich die »wunderschöne Stadt« in den blanken Schäften spiegelte.
Nur wenn er vor dem Denkmal Hermann des Cheruskers stand oder in den Auen des Teutoburger Waldes die »blonde Marta mit den Rosenlippen« küsste, vergaß er seine Stiefel. Stroop war in Marta verliebt und verehrte die Rose, die das Wappen des Fürstentums Lippe schmückte. Diese Rose befand sich auch im Stadtwappen von Detmold (eine stilisierte Blüte vor dem Hintergrund des Stadttores).
Der Teutoburger Wald, Hermann der Cherusker und die Rose sind die Symbole des Landes Lippe. Aber eine Rose ist viel zu poetisch und zart, um für immer im Herzen eines Nachkommen der tapferen Cheruskerkrieger zu verweilen. Wem steht schon der Sinn nach Rosenblüten, wenn Hermanns Schwert so entschieden den Weg weist. Soll sie doch im Wappen Lippes blühen, mögen Dichter, Schöngeister und Individualisten sie besingen! »Für die Menschen von Lippe war das Schwert immer wichtiger«, meinte Stroop einmal. »Das Schwert und die Sklavenkette«, fiel ich ihm ins Wort.
III. Kapitel
Unter der Fahne des Kaisers
Das Fürstentum Lippe-Detmold verfügte in der kaiserlichen Armee über keine eigenen taktischen Einheiten und hatte jahrelang nur das 3. Bataillon im 55. preußischen Infanterieregiment gestellt. Wie Stroop berichtete, beschloss die Oberste Heeresleitung kurz nach der Jahrhundertwende, das ganze 55. Regiment aus den Bewohnern von Lippe zu rekrutieren, im Kriegsfall zusätzlich das 256. Reserve-Infanterieregiment. Beide nahmen am Ersten Weltkrieg teil.
»Den Krieg 1914–18 haben die Feinde Deutschlands, die alle unter einer Decke steckten, provoziert«, betonte Stroop häufig.
»Das Reich hatte niemals Kriege gewollt oder angefangen, es hat sich immer nur verteidigt. Als Frankreich und England ihn zu erpressen suchten, fand sich Wilhelm II. in einer ausweglosen Situation. Er musste sein eigenes Volk beschützen, deshalb begann er einen vorbeugenden Angriffskrieg.«
Nach Ausbruch des »aufgezwungenen Krieges« meldete sich Joseph Stroop, angehender Katasteramtsangestellter aus Detmold, freiwillig beim 55. Infanterieregiment. Es war am 18. August 1914. Er war damals knapp 19 Jahre alt. Sein Vater war etwas bekümmert, aber letzten Endes stolz wie ein Pfau über den Kampfesmut seines Sohnes. Das Fürstentum lebte in einem nationalistischen Taumel und irrationalen Hass gegenüber dem »Todfeind«.
Mitte September 1914 war Stroop bereits an der Westfront. Auf dem Wege dorthin sah er zum ersten Mal den Rhein. »Es war ein sonniger Tag, als wir diesen großgermanischen Fluss überquerten«, erzählte Stroop. »Der Himmel und die Augen der dortigen Mädchen waren kornblumenblau, genau wie es in dem Lied heißt.«
Ich meine, dass nicht nur der Wein, wie es die Worte eines rheinisehen Walzers ausdrücken, sondern auch die Kriegsbegeisterung die Augen der deutschen Mädchen so tiefblau aufleuchten ließen.
Nun lernte Stroop Frankreich kennen. Aber »kennenlernen« ist nicht der richtige Ausdruck. Er hat Frankreich nur ein wenig gestreift. Seine Kenntnisse über dieses Land beschränkten sich, wie ich unseren Zellengesprächen entnehmen konnte, auf Informationen, die noch aus der Volksschule stammten und die mit einer Propaganda angereichert waren, welche ihm jahrelang zu Füßen des Cherusker-Denkmals eingeimpft worden war.
»Die Franzosen, das sind Faulpelze und Mischlinge. Das ist überhaupt keine Rasse. Alles Mischlinge, Anarchisten und Dreckskerle. Auch die Frauen sind dreckig, obwohl sie ein Bidet benutzen. Überhaupt sind nach meinen Erfahrungen alle Französinnen Dirnen.«
Und dann folgte eine vulgäre Geschichte über die angeblichen Erlebnisse eines Soldaten in dem von Deutschen besetzten Teil Frankreichs, die er offensichtlich in irgendeinem Propagandaheft gelesen hatte.
Und doch hatte ihm Frankreich imponiert. Vielleicht deshalb, weil er im Oktober 1914 durch ein französisches Geschoss in der Nähe von La Bassee an der Schulter verwundet wurde.
Wie musste er sich an der französischen Front gefürchtet haben! 35 Jahre waren vergangen, aber noch immer war Stroop nicht in der Lage, in der Zelle bestimmte Worte und Gesten zu unterdrücken, die bewiesen, dass er in Frankreich vor Angst geschwitzt hatte.
Es gelang ihm, sich in ein Lazarett weit hinter der Frontlinie verlegen zu lassen. Ein Heimaturlaub folgte, der wegen der geringfügigen Verwundung nur von kurzer Dauer sein konnte. Aber Mutti begann zu handeln. Der Fürst verfolgte aufmerksam die Verhältnisse in den Stäben jener Einheiten, in denen sein lippisches Regiment kämpfte, so dass der Gemeine Joseph Stroop dank der fürstlichen Protektion bis zum Sommer 1915 auf Genesungsurlaub bleiben konnte. In jener Zeit kam er häufig nach Detmold. Die Stadt war zwar klein, ihr Ruhm dafür umso größer. Und nicht nur die Mädchen aus der Mühlenstraße bewunderten Josephs Uniform und die ihm im Januar 1915 verliehene lippische Militärverdienstmedaille mit Schwertern sowie die nagelneuen Rangabzeichen eines Gefreiten. Die Mutter, und mit ihr alle Nachbarinnen, die Polizisten und ihre Spitzel, die pensionierten Militärs, die Beamten am Hof des Fürsten und das gesamte vaterländische Detmold bewunderten den Heldenmut des Oberwachtmeister-Sohnes. Die fürstliche Kanzlei, der allgemeinen Stimmung nachgebend, tat das ihre. Und so wurde Stroop nach acht Monaten der Pflege und Rekonvaleszenz vom Westen in den damals als bedeutend sicherer geltenden Osten verlegt. Vom 1. Juli 1915 an dient er im 256. Detmolder Reserve-Infanterieregiment.
Mit seiner Einheit kommt er nach Polen und Litauen, nach Weißrussland, Polesien und Galizien, er ist aber kaum an der vordersten Front zu finden, denn der Fürst zu Lippe sorgte schon dafür, dass das Regiment keine zu hohen Verluste