Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski
wurde das Fürstentum in einen Freistaat umgewandelt und erhielt am 21. Dezember 1918, zufällig dem gleichen Tag, an dem Stroop die Armee verließ, eine »republikanisch-parlamentarisch-demokratische Verfassung«.
»Nach meiner Rückkehr nach Detmold sind mir dort kaum irgendwelche negativen Veränderungen aufgefallen, abgesehen von einem generellen Minus, das heißt dem ständig wachsenden Einfluss der Sozialisten, der jüdisch verseuchten Bolschewiken und der Freimaurer«, berichtete Stroop einmal; »die Stadt war moderner geworden und auf 17 000 Einwohner angewachsen.«
In Detmold hatten sich einige kleine Industrieunternehmen und eine starke Gruppe von Neureichen niedergelassen. Das Straßennetz war teilweise ausgebaut worden. Noch vor Kriegsausbruch hatte man in Detmold das im Jahre 1912 niedergebrannte Theater wiederaufgebaut.
Am Beispiel Detmolds lässt sich die allgemein bekannte Tatsache belegen, dass Deutschland während des Ersten Weltkrieges im Landesinnern kaum Zerstörungen davongetragen hatte. Die militärische Niederlage Detmolds jedoch bestand darin, dass das Schwert des Cheruskers eine fest eingeplante Kriegsbeute schuldig geblieben war: das Gold des Feindes.
Das Hermannsdenkmal stand, wohlkonserviert, an seinem alten Platz. Und allen jüngsten Erfahrungen zum Trotz lehrte es, dass der einzig mögliche Weg zur Erlangung teutonischer Ziele über das Militär führt.
»Während meines ersten Spaziergangs nach Rückkehr in die Heimat pilgerte ich zum Standbild dieses großen Soldaten«, erinnerte sich Stroop.
Dort, auf dem Denkmalshügel des Cheruskerführers, dachte er sicherlich über die Worte nach, die Mackensen in Ungarn gesprochen hatte. Der geflügelte Helm Hermanns und die Bärenfellmütze Mackensens bildeten eine unauflösliche Einheit.
Als kleiner Angestellter des Katasteramtes verdiente Stroop nicht viel. Seine Vorgesetzten teilten ihm minderwertige Aufgaben zu, ohne ihn dabei im Geringsten diskriminieren zu wollen. Stroop war pedantisch und gewissenhaft, er hatte eine bestechend schöne Handschrift und konnte gut zeichnen. Er lehnte sich niemals auf und wurde sogar hin und wieder gelobt. Seine Schuhe waren immer blankgeputzt, der Anzug sorgfältig gebürstet, wie früher in der Kaserne. Stets war er glatt rasiert, sorgfältig gekämmt und roch förmlich nach Sauberkeit. Was ihm wehtat (wie ich seinen Bekenntnissen im Gefängnis entnehmen konnte), war die Unmöglichkeit, Menschen zu befehligen. Wo waren die Zeiten, da er vor einer Zweierreihe von Rekruten seine kurzen Befehle bellte, die automatisch ausgeführt wurden! Auf der Stadtpromenade begegneten ihm seine alten Waffenkameraden und deren Mädchen. Diese jungen Dinger schufen einen unsichtbaren Glorienschein um die kurz geschorenen Köpfe der ehemaligen Krieger. Kleine, schon etwas mutigere, Liebesromanzen begannen, denn man hatte ja die rumänisch-goralische Schule hinter sich.
Stroop hasste die »Mitschuldigen« am verlorenen Krieg. Eines Tages begegnete er in der Paulinenstraße einem Jugendfreund, dem Juden Max R. Er tat, als würde er ihn nicht kennen und grüßte nicht, obwohl Max Kriegsinvalide war und mehrere Tapferkeitsauszeichnungen trug. »Max neigte zu marxistischen Überzeugungen«, erläuterte Stroop, der außerdem weder Wissenschaftler noch Professoren, Schriftsteller, Musiker, Ärzte oder Journalisten mochte. Diese Gruppen waren damals in Detmold tonangebend. Stroop verachtete auch die »Ziegler« und die »Ziegenhüter«.
Beide Bezeichnungen galten der ärmeren Bevölkerungsschicht in den Vororten Detmolds, in den Kleinstädten und Dörfern des Freistaates. Es handelte sich um Landwirte, Besitzer oder Pächter kleiner Grundstücke, die es sich nicht leisten konnten, eine Kuh zu halten. Sie besaßen in der Regel nur eine Ziege. Daher der wegwerfende Name »Ziegenhüter«. Und »Ziegler« nannte man diejenigen, die saisonweise in die nahen Industriereviere zogen, wo der Bedarf an ungelernten Arbeitskräften ständig wuchs, und zwar insbesondere in den Ziegeleien.
Die »Ziegler« und die »Ziegenhüter« hatten die Last des Krieges am ärgsten zu spüren bekommen. Scharenweise waren sie fürs Vaterland gefallen.
Trotz seines niedrigen Einkommens löste sich Stroop rasch aus seinen Nachkriegsdepressionen. Schließlich war ihm der Ruhm eines Kriegsteilnehmers geblieben. Er war ein nur vorübergehend pensionierter Held. Das fürstliche Schloss hatte Vertrauen zu Joseph Stroop, auf den der Herrscher sich verlassen konnte und der immerhin Träger des Eisernen Kreuzes war. Die Gemeinschaft der ehemaligen Soldaten war nicht auseinandergebrochen. Die Hoffnung auf Vergeltung einigte sie sogar immer stärker. Stroop hielt die Verbindung zu den Unteroffizieren und Offizieren beider Detmoldschen Regimenter sorgfältig aufrecht. Die meisten lebten im Fürstentum Lippe. Viele waren wohlhabende Bauern oder einflussreiche Beamte, einige besaßen Läden und Geschäfte.
Eines Tages trafen in Detmold Abgesandte von geheimen und halb geheimen Militärbünden ein. Vervielfältigte Befehle, Schriften und Aufrufe machten die Runde. Man traf sich unter dem Hermannsdenkmal. Manchmal wurde Stroop zu ehemaligen Frontoffizieren gerufen. In kämpferischer Bereitschaft stand der Zivilist in Habt-acht-Stellung vor ihnen.
»Aber der Krieg hatte mich müde gemacht, ich kränkelte ein wenig und ließ mich deshalb nicht beim Freikorps anwerben.«
Meiner Meinung nach war er zu sehr Kleinbürger und auch Detmolder, um sich damals schon hervorzuwagen.
Die Bewohner von Detmold, besonders die Frauen, hielten Stroop für eine Art Offizier. Dieser scheinbare soziale Aufstieg schmeichelte ihm. Er begann, ein Monokel zu tragen, außerdem schaffte er sich einen Schäferhund an. Und eine Peitsche.
Die Gerüchteküche der Kleinstadt erfand eine leidenschaftliche Kriegsliebe zwischen ihm und einer feurigen ungarischen Gräfin. So veränderte Lona C. aus Brzezany, ohne es zu wissen, ihre Nationalität und gesellschaftliche Stellung, denn die Familie Stroop wünschte nicht, dass die ihrer Meinung nach kompromittierende Neigung ihres Sohnes zu einer Slawin an die Öffentlichkeit dringe. Die Detmolder Mädchen waren dem Liebeswerben der demobilisierten Krieger durchaus nicht abgeneigt, besonders wenn sie Ordensbändchen trugen. Sie wussten aus den Erzählungen ihrer Mütter und älteren Schwestern, »wie schwer es ist, wenn in Kriegszeiten der Mann fehlt«.
So ließen sie sich von Joseph zu Spaziergängen begleiten, flüsterten in den Hausfluren, und die Mutigsten unter ihnen lauschten dem Gesang der Nachtigallen im Detmolder Wäldchen. Stroop imponierte ihnen mit seinem soldatisch-männlichen Mut und seinen forschen Komplimenten. Er hingegen stellte fest, dass man zu Hause, im heimatlichen Lippe, viel bequemer zum Ziel kam.
Eines Tages lernte Stroop ein etwa drei Jahre jüngeres Mädchen kennen, das ihm sofort gefiel. Es war eine Tochter »aus der guten Gesellschaft«, wie er sich ausdrückte, »aus Kreisen der protestantischen Intelligenz. Die Familie ihres Vaters, Georg B., gehörte seit Generationen zur Elite deutscher Seelsorger, er selbst war Wissenschaftler und Pädagoge.«
Die Tochter des Pastors oder gar Superintendenten verliebte sich auf der Stelle in den Krieger-Adonis. Die bescheidene Herkunft des Auserwählten kümmerte sie nicht, was für sie sprach. Aber die Tatsache, dass ihr das intellektuelle Niveau von Joseph Stroop nicht bewusst wurde, beweist, dass es dem gelehrten Pastor nicht gelungen war, seiner Tochter etwas von seiner eigenen Lebenserfahrung mitzugeben.
Die Familie des Mädchens war in der Stadt angesehen: ein untadeliger Ruf, »beste Traditionen«, ein gutes Einkommen und ein gewisses Vermögen, das in einer reichhaltigen Bibliothek, in Gemälden und in einer gediegenen Hauseinrichtung bestand, garantierten bürgerlichen Wohlstand.
Die Freundschaft dauerte ziemlich lange. In der Stadt erzählte man sich, dass Stroop recht feurig mit seinem Mädchen umgehe. Er war selbstsicher und unbekümmert. Bei Tanzabenden sah ihm Käthe hingebungsvoll in die Augen.
Stroops Mutter war eine Schwiegertochter aus diesen Gesellschaftskreisen durchaus willkommen, doch widersetzte sie sich aus Glaubensgründen dieser Ehe: Joseph war katholisch, Käthe Protestantin. Eine Verbindung zwischen den beiden war in den Augen von Frau Stroop eine Todsünde, und so verbot sie dem Sohn jegliche Kontakte zu Käthe. Ohne es zu ahnen, wurde sie darin vom Vater des jungen Mädchens unterstützt, der, obgleich Geistlicher, nicht so dogmatisch eingestellt war. Er widersetzte sich jedoch dieser Ehe nach dem ersten Gespräch mit Joseph Stroop.
Nachdem er sich die Angelegenheit hatte durch den Kopf gehen lassen (er dachte über alles immer sehr gründlich