Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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seinen ehemaligen Kriegskameraden, die sich schon damals in einflussreichen Vereinen zusammengeschlossen hatten. Man traf sich immer häufiger, leerte viele Bierkrüge und sang Märsche, dass es durch die engen Gassen Detmolds hallte. Man lauschte den Vorträgen ehemaliger Vorgesetzter und verehrte Hermann den Cherusker, Barbarossa, den »Alten Fritz«1 Bismarck, Hindenburg, Mackensen und Ludendorff2. Den letzten Namen erwähnte Stroop im Gefängnis besonders häufig. Er sprach von General Erich Ludendorff als dem »genialen« Organisator der Armee. Mit besonderer Verehrung aber äußerte er sich über Frau Doktor Mathilde Ludendorff3.

      »Die Ideen von Frau Doktor Ludendorff und ihrem Mann sagten uns sehr zu. Sie war es, die die Wahrheit über die unheilvolle Rolle der katholischen Kirche in Deutschland offenlegte. Sie hat uns zu den wahren germanischen Göttern zurückgeführt. Sie hat uns die reinen urgermanischen Sitten ins Gedächtnis zurückgerufen und die Fäulnis der christlich-jüdischen Moralfesseln aufgezeigt, die den Organismus des Reiches seit zwölfhundert Jahren gefangen hielten. Wäre sie ein Mann, unsere Frau Doktor Ludendorff, wir hätten sie zum Ehrenmitglied unserer soldatischen Vereine ernannt. Dank der Lehren, die ich das Glück hatte, den Büchern von Frau Doktor Ludendorff zu entnehmen, gelang es mir mit Leichtigkeit, alle religiösen Vorurteile zu überwinden, um schließlich unter ›Glaubensbekenntnis‹ hinschreiben zu können: ›Gottgläubig‹.«

      »Und was sagte Ihre Mutter dazu?«

      »Mit Mutti hatte ich Schwierigkeiten. Sie war mir böse. Ich musste Rücksicht auf sie nehmen, denn sie war unsere Mutter, hatte Einfluss in der Stadt, und der Fürst mochte sie. Aber schließlich war und bin ich ein moderner, fortschrittlicher Mensch. Und so ist es mir gelungen«, er reckte sich voller Stolz, »mich wie ein Soldat aus der Gefangenschaft des Katholizismus zu befreien.«

      »Aber Sie glauben an Gott?«

      »Natürlich. Aber ich glaube an die wahren Götter, die Götter unserer germanischen Vorfahren. Sie lenken jeden Schritt eines Deutschen und beschützen ihn.«

      »Sie auch?«

      Er gab keine Antwort.

      Joseph Stroop ließ keine Feierstunde aus, die in Detmold von ehemaligen Kriegsteilnehmern veranstaltet wurde. Sie mussten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht haben, denn dreißig Jahre später erzählte er von ihnen so, als hätten sie erst gestern stattgefunden.

      »Also an den Ehrenplätzen standen unsere Kriegshelden, die pensionierten Offiziere, in ihren schönen Uniformen; viele trugen auch Uniformen aus dem 19. Jahrhundert. Bärenfellmützen, Pickelhauben, Schirmmützen, Rundmützen mit Verbrämungen, Sporen, Gurte und Orden. Wie in Stein gemeißelte Gesichter. Ergraute Bärte. Stander, Fahnen, ein Orchester. Trommelwirbel. Der Feuerschein von hundert Fackeln erleuchtete unsere soldatische Gemeinschaft. Wir schlossen die Feier mit dem gemeinsamen Absingen des ›Niederländischen Dankgebetes‹. Tausende waren aus dem gesamten Fürstentum gekommen. Darunter fast alle Grundbesitzer aus der Umgebung.«

      »Kannten Sie alle diese Grundbesitzer persönlich?«

      »Ja. Viele von ihnen waren doch Reserveoffiziere. Manche kannte ich aus dem Krieg, deshalb luden sie mich manchmal zu sich ein. Feine Kerle. Sehr vaterländisch gesinnt und dazu große Draufgänger. Glänzende Reiter. Konnten ein Glas vertragen und mochten derbe Männerspäße.«

      »Haben Sie an ihren Eskapaden teilgenommen?«

      »Natürlich. Aber erst, nachdem ich aus dem Feld zurückgekehrt war. Der Sohn von Baron von O. lud mich ein und der einzige Sohn des Freiherrn von B. Der hatte eine hübsche und mutige Schwester. Wir galoppierten über die Felder und durch die Wälder der Umgebung. Unsere Grundbesitzer waren edelmütige Patrioten, sie ließen sich nichts gefallen. Eben echte Nachkommen der Cherusker.«

      Eines Tages erklärte Stroop, er sei einmal Journalist gewesen. Offen gesagt, war ich zuerst sprachlos. Er eignete sich zweifellos, je nach den jeweiligen Umständen, für eine Menge unvorhergesehener Berufe oder auch gut bezahlter Aufgaben, dass er aber als Redakteur gearbeitet haben soll, ging mir entschieden zu weit. Von einem Journalisten erwartet man doch ein gewisses Maß an Allgemeinbildung und Intelligenz, gepaart mit einer ausgeprägten Fantasie; außerdem die Fähigkeit zu selbstständigem Urteilen und objektiver Kritik.

      »Was haben Sie redigiert? Die Kompaniezeitung in Bukarest?«

      »Nein. Ich leitete die Zeitschrift, die im Fürstentum Lippe von den ehemaligen Soldaten des 55. und 256. Infanterieregiments herausgegeben wurde. Der örtliche Frontkämpferverband hatte mich zum Redakteur bestimmt. Eine schwierige Aufgabe! Meine Frau arbeitete ebenfalls mit.«

      »Ehrenamtlich?«

      »Aber nein! Wir wurden dafür bezahlt. Meine Frau bekam sogar ein ganz schönes Sümmchen – 100 Mark monatlich.«

      »Wie groß war denn die Auflage?«

      »Etwa 800 Stück. Ich erinnere mich, wie wir in einer Nummer eine Reportage über das Leben eines ehemaligen Gefreiten brachten, der auf seinem Bauernhof nach dem Kriege Konserven herstellte und damit ein Vermögen gemacht hatte. Nach Erscheinen der Reportage schickte dieser Regimentskumpel meiner Frau große Pakete mit Fleischkonserven. Ja, Herr Moczarski, die Presse ist eine Macht!«

      V. Kapitel

      Die Münchener Offenbarung

      Erst im Frühjahr 1932 trat Joseph Stroop einem nazistischen Verband bei. Aber welche Einstellung dem Führer gegenüber hatte er in den Jahren davor? Hier muss es einen dunklen Punkt in der Biografie dieses »mustergültigen Nationalsozialisten« gegeben haben. Diesen Eindruck zumindest gewann ich während unserer Gespräche über die Anfänge der »Ära Adolf Hitler«. Die ersten Zeichen der »großen Bewegung« drangen nach Detmold schon früh.

      »Die erste Kunde brachten ehemalige Kriegsteilnehmer«, berichtete Stroop.

      »Wir waren stolz, dass ein Frontsoldat und Träger des Eisernen Kreuzes ...«

      »Herr General haben auch das EK aus dem Ersten Weltkrieg«, warf Schielke ein.

      »Ich erhielt das Eiserne Kreuz für den Frankreichfeldzug, allerdings II. Klasse. Adolf Hitler trug das EK I.«

      »Aber bei Kriegsende war er Gefreiter, Sie dagegen Unterfeldwebel. Also hätte Hitler 1918 vor Ihnen strammstehen müssen«, meinte ich.

      »Vor mir? Der Führer? Niemals!«, stotterte Stroop; er sah mich an, als hätte ich gerade eine Gotteslästerung begangen. Schielke pfiff leise durch die Zähne und grinste.

      Eine Zeit lang herrschte Schweigen. Stroop machte eine wegwerfende Handbewegung. Er verzichtete stets auf wörtliche Auseinandersetzungen, wenn er sich zwei Gegnern gegenübersah.

      »Die ehemaligen Frontsoldaten brachten Hitler Sympathie, Verständnis und Hoffnung entgegen. Schließlich war er Kriegsteilnehmer, Germane und hasste die Judenkommune«, philosophierte Stroop. »Er sagte deutlich, was er wollte, machte keine großen Umstände. Das deutsche Volk brauchte konkrete politische Ziele und eine Bewegung, keinen fauligen Sumpf von Weimar. Der größte Teil des Volkes hatte genug von den kosmopolitischen, jüdischen Märchen und vom Liberalismus, der immer in die Anarchie führt. Das Volk verlangte nach soldatischer Tatkraft in Politik, Verwaltung und im Alltag. Eine Massenbewegung musste kommen, die zugleich in ihren Anlagen durch und durch gesund war.

      Nach Stroops Vorstellung bedeutete »gesund«: nationalsozialistisch und straff geführt. Diese Eigenschaften besaß die Arbeit von Hitler, Göring und Himmler, als sie in München die Partei aufbauten. »Soviel mir bekannt ist, war Hitler gar nicht der Gründer eurer Partei. Er war Nummer 7 in der Reihenfolge der Beitritte zur Deutschen Arbeiterpartei, der späteren NSDAP, die von Drexler1 gegründet worden war«, erinnerte ich ihn.

      »Das alles ist Propagandageschwätz, Herr Moczarski. Adolf Hitler war, ist und bleibt das erste Mitglied und der Begründer der NSDAP.«

      »Aber Röhm ist doch noch vor Hitler in die Partei eingetreten und hat ihn, soweit mir bekannt, nicht nur zu Drexlers Partei, sondern auch zum militärischen Geheimdienst angeworben.«

      »Adolf


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