Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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diesen treuesten Paladin des Führers, und den Prinzen August Wilhelm von Preußen ...«

      »Auch der preußische Prinz August Wilhelm war Genosse und Mitglied eurer ›sozialistischen Arbeiterpartei‹?«

      »Ja. Warum auch nicht? Der Prinz war ein kluger Mann und hatte die neue Zeit begriffen. Wenn Sie wüssten, mit welcher Eleganz er vor den Wahlkundgebungen allabendlich gesprochen hat.«

      »Aber er war doch ein reicher Großgrundbesitzer?«

      »Na, Prinz August von Preußen war mehr als ein Großgrundbesitzer, aber selbst wenn man ihn als einen solchen bezeichnen wollte, so war er doch ein nationalsozialistischer Großgrundbesitzer

      Das Hauptquartier des Wahlkampfes wurde im Schloss Vinsebeck des Barons von Oeynhausen aufgeschlagen, wo auch Hitler wohnte. Stroop betätigte sich bereits bei der Begrüßung des Führers auf dem Bahnhof von Detmold. Unter anderem führte er die erste Kontrolle der Blumensträuße durch, die dem »Führer« durch eine Abordnung von Kindern überreicht wurden. Welch ein hektischer Eifer musste Stroop auf diesem Bahnhof erfasst haben, wie mussten seine Gedanken besonders flink und konzentriert nach jeder Kleinigkeit spähen und sie registrieren! So rasch und konzentriert wie zehn Jahre später während der Großaktion in Warschau.

      Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Wahlen in Lippe hatte Hitler alle anderen Verpflichtungen abgesagt und traf am 5. Januar 1933 in Detmold ein. Neun Tage hielt er sich in Lippe auf und hielt auf den Wahlversammlungen sechzehn lange Reden.

      Goebbels erschien etwas später, aber gleich am ersten Abend sprach er auf drei Versammlungen in kleineren Dörfern. Am freundlichsten wurde Göring von der Bevölkerung empfangen. Männlich, von stattlicher Figur, »unser Hermann«, der »Abgott« der Frauen des Ländchens Lippe, sozusagen von den Tragflächen seines Flugzeugs aus der Zeit des Ersten Weltkrieges nach Lippe heruntergesegelt.

      Auch der Helm Hermann des Cheruskers hatte Flügel. Eine gedankliche Verbindung, die die Herzen der Bürgersfrauen und Bäuerinnen in Lippe-Detmold höher schlagen ließ.

      Alle Säle waren überfüllt. Es war schon ein großes Ereignis für diese entlegene Provinz, so bekannte Akteure der deutschen politischen Szene sehen und hören zu können. Akteure, die gnädig, fast einschmeichelnd wirkten, Schutz und Protektion versprachen. Akteure, die einerseits die Schönheit des lippischen Landes und die Vorzüge seiner Bewohner unterstrichen, Hermann den Cherusker und das Urgermanische des Teutoburger Waldes priesen, andererseits eine Fotomontage von Wahrheit und Lüge vorführten, wilde Gerüchte und Unterstellungen sowohl über »Reaktion und Konservatismus«, als auch, und das vor allem, über Sozialdemokraten und Kommunisten verbreiteten, »diese Zerstörer des Volkes, die Juden und fremden Agenten«. Denn nicht Konservative, sondern Sozialdemokraten regierten in Lippe nach dem Ersten Weltkrieg. Und nicht die Konservativen, sondern die SPD-Mitglieder, darunter die zwei Spitzenfunktionäre Drake und Fechenbach, wurden von den Agitatoren, den Schlägertrupps und von der Nazi-Presse verbissen bekämpft.

      »Die unermüdliche Arbeit der Nationalsozialisten in Lippe wird der unbegrenzten Herrschaft der SPD ein Ende machen – und, wenn das Schicksal es will, Lippe in die Reihe von Ländern wie Anhalt, Thüringen, Braunschweig und Mecklenburg stellen, die bereits vom völkischen und nationalen Geist geleitet werden«, schrieb in einer Wahlreportage der »Illustrierte Beobachter« vom 14. 1. 1933.

      Die Wähler wurden mit Losungen überschwemmt, die man sich in den verschiedensten Küchen zusammenbraute – von den Industriearbeitern über die Bauern bis zu den Bankiers und Großgrundbesitzern. Sie hörten etwas von den »historischen Aufgaben des Nationalsozialismus, die unter anderem darin bestehen, kraft des Willens eines ganzen Volkes die neue Staatsdoktrin des XX. Jahrhunderts in Deutschland von der Theorie und historischen Wahrscheinlichkeit in die Wirklichkeit zu übertragen«.

      In dem schwach industrialisierten und dünn besiedelten Lippe bildeten die Bauern den größten Bevölkerungsanteil. Die Hauptstoßrichtung der Nazipropaganda galt demzufolge dem Bauernstand. Der Stolz und Ehrgeiz der Bauern wurde zielstrebig angestachelt, man argumentierte etwa so: Das Reich war immer auf den Bauern, seine Vaterlandsliebe und seine soldatische Leistung angewiesen. Er, der Bauer, ernährt und beschützt uns. Die Bauern von Lippe sind die reinrassigsten Nachkommen der berühmten Cherusker, jener germanischen Helden, welche die Römer im Teutoburger Wald vernichtend geschlagen haben. Sie sind am opferbereitesten und widerstandsfähigsten gegen jede feindliche Einflüsterung. Ihnen war es gelungen, unter Führung des Ortsgruppenleiters der NSDAP Vollmer aus dem Dorf Müssen, ganz allein während der letzten Gemeindewahlen die Sozialisten zu schlagen und damit den Boden für den Kampf um die Macht im Landtag zu bereiten.

      »Dieser Vollmer aus Müssen war ein Musterbeispiel eines germanischen Bauern«, erzählte Stroop. »Tief im Heimatboden verwurzelt. Ein Nationalist, ein glänzender Landwirt. Alter Soldat. Er hatte das Wesen unserer Bewegung erfasst.«

      »Sie kannten ihn?« fragte ich.

      »Jawohl. Ich bemühte mich, sein gesellschaftlich-politisches Wissen zu vertiefen. Er begriff sofort, worum es ging. Und wie dieser Mann wirklich dachte, davon zeugt nur ein Beispiel: Anfang Januar 1933 sollte das Ehepaar Vollmer seine silberne Hochzeit feiern. Aber die Partei war mitten im Wahlkampf und der alte Vollmer war rund um die Uhr im Einsatz. Also beschloss er, die silberne Hochzeit nicht zu feiern. Solche Bauern haben wir in Lippe! Und deshalb musste über dem Land Hermanns endlich die Hakenkreuzstandarte Adolf Hitlers wehen!«

      »Dieser Vollmer hat doch einige Sozialisten in Müssen verprügelt?«, meinte ich.

      »Na ja, irgendwelche Zusammenstöße sind schon vorgekommen, und dabei wurde auch geprügelt. Aber wir, die SS-Führung, wurden erst hinterher benachrichtigt, als alles vorbei war.«

      »Herr Stroop«, brauste ich auf, »nehmen Sie mich nicht auf den Arm! Ich bin davon überzeugt, dass Sie den Plan genau gekannt haben, auf welche Weise die Leute in Müssen vor den Wahlen terrorisiert werden sollten. Was für ein SS-Chef wären Sie denn sonst gewesen?«

      Stroop schwieg, Schielke grinste schadenfroh, dass ich es dem SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS »mal so richtig gegeben habe«, wie er mir später zuflüsterte.

      Der massierte Einsatz der NSDAP bei den Wahlen in Lippe hatte zu einem gewissen Erfolg geführt, von einem überwältigenden Sieg konnte jedoch nicht die Rede sein. Die Nazis erhielten 39,5 % der Stimmen. Der Stimmanteil zugunsten der NSDAP war am 15. Januar 1933 im Vergleich zum November 1932 um 4,8 % gestiegen; aber trotz einer fantastischen Propagandaanstrengung konnten die Gefolgsleute Hitlers ihren Erfolg vom Juli 1932 nicht wiederholen.

      Die historische Chronik der Nationalsozialisten »Das Dritte Reich« (Autor: Gerd Rühle) enthält in Band I, Seite 25, einen Absatz unter der im Fettdruck abgesetzten Überschrift: »Gewaltiger Wahlsieg der NSDAP über die Reaktion bei den Landtagswahlen in Lippe«. In diesem Absatz wird angeführt, dass von insgesamt 21 Mandaten die NSDAP 9 errungen habe. Die Reaktion (d.h. die Deutschnationalen) konnte nur ein einziges Mandat retten. In den Wahlen zum lippischen Landtag sei es der Nationalsozialistischen Bewegung nicht nur gelungen, die Verluste vom 6. November 1932 wieder aufzuholen; sie habe gezeigt, dass sie auf dem Vormarsch ist.

      »Das Dritte Reich« preist den »Sieg über die Reaktion«, erwähnt aber mit keinem Wort den Kampf gegen die Sozialisten, die ebenfalls 9 Mandate errungen hatten, die Kommunisten (2 Mandate = 11,2 % Stimmen) und die fortschrittlichen Demokraten. Die offizielle Chronik der Nazis konnte die Misserfolge bei ihren gegen die Linke gerichteten Angriffen nicht zugeben. Im Schlusssatz des erwähnten Abschnittes druckt »Das Dritte Reich« folgenden Kommentar:

      »Die moralische Wirkung des Wahlsieges in Lippe war von ausschlaggebender Bedeutung.« Hier muss man.Gerd Rühle Recht geben. Tatsächlich besaßen für Hitler die Ergebnisse der Landtagswahlen in Lippe eine große psychologisch-propagandistische Bedeutung, im nationalen und sogar internationalen Maßstab. Die Nazi-Partei hatte nämlich Ergebnisse erzielt, die es Goebbels erlaubte zu behaupten, dass die während der November-Wahlen zum Reichstag 1932 aufgetretene Krise überwunden sei, die Abwanderung der Anhänger gestoppt wurde und die Reichsbevölkerung sich »für uns« ausgesprochen habe.

      Die


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