Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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sich, dass der in den lippischen Wahlen hochverdiente Stroop nur SS-Truppführer ist. Er befiehlt, das Unrecht wiedergutzumachen und Stroop um drei Ränge – einen Unteroffiziers- und zwei Offiziersgrade – zu befördern; im März 1934 wird Stroop zum SS-Hauptsturmführer ernannt, was beim Heer dem Hauptmannsrang entspricht.

      »Das war eine große Sache für mich.« Stroop gerät ins Schwärmen. »Ich habe mir sofort eine neue Uniform angeschafft. Schwarze Stoffpatten am Kragen, mit Aluminium eingefasst. Links zwei glänzende Spiegellitzen und drei viereckige Sternchen. Rechts ein silbernes Achselstück.«

      Seine Frau ist hingerissen. Die Mutter ebenfalls, wenn auch etwas gedämpfter. Mutti hätte es lieber gesehen, wenn Joseph Hauptmann der Wehrmacht geworden wäre.

      Stroop hat beste Verbindungen zur Führung des heimatlichen XVII. SS-Abschnitts, dessen Hauptquartier sich in Münster befindet. Zu diesem Abschnitt gehören drei SS-Standarten: 19, 72 und 82.

      Im Jahre 1934 zieht das Ehepaar Stroop mit der sechsjährigen Tochter Renate nach Münster.

      Als Stabschef des XVII. SS-Abschnittes steckt Stroop im Zentrum der politischen und organisatorischen Parteiarbeit im Bereich Münster. Er hat Zutritt zu allen SS-Karteien, den geheimen und öffentlichen. Er nimmt Meldungen und Berichte entgegen, feuert an, bildet aus, kommandiert, beurteilt und »lernt« Politik. Er regiert mit harter Faust, ist streng und peinlich genau, gestattet sich und anderen kein Mitleid und kein Nachgeben. »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!« Zugleich ist er bemüht, einen eleganten, gebildeten und würdevollen Eindruck zu machen. Seine Umgebung spürt, dass er mächtige Gönner hat. Man weiß, dass er Hitler, Himmler, Göring persönlich kennt. Von Göring sagt er »unser Hermann«. Die SS-Kameraden nehmen den zurückhaltenden Detmolder ernst, der auf Schritt und Tritt zu verstehen gibt, dass er etwas darstellt.

      »Erst in Münster hat man mir eine anständige Uniform angefertigt. Die hatten bessere Schneider. Und meine Reitstiefel waren damals ein Gedicht!«

      »Wechselten Sie oft die Unterwäsche?« frage ich ihn.

      »Jeden Tag. Und gebadet habe ich auch täglich, wie ein Gentleman.«

      »Haben Sie auch täglich Parfüm benutzt?«

      Er nickte. »Nach dem Bad muss man sich immer mit Kölnisch Wasser einreiben.«

      Stroop muss damals eine Kreuzung zwischen einem »Revolutionär« und einem hochnäsigen Gutsbesitzerssohn gewesen sein, denke ich. So etwas ist keine Seltenheit bei einem Streber, auf dessen Schultern »die Last der Idee, des Volkes und Staates« ruht. Und der manchmal von Verhören in den Hinterzimmern der SS-Quartiere direkt in die Arme der gepflegten Gattin zurückkehrt und liebevoll sein Kind streichelt.

      In Münster kommt 1934 Stroops erster Sohn Jürgen zur Welt, der jedoch nach wenigen Tagen stirbt. Stroop ist verzweifelt, er wirft seiner Frau vor, am Tod des Kindes schuld zu sein. Noch 1949, im Gefängnis, wirft er seiner Frau vor, sie »hätte es nicht fertig gebracht, seinen Erstgeborenen ordentlich zur Welt zu bringen«. Viele Jahre später spielt er den Tod des Kindes, der für ihn eine »heilige Erinnerung« ist, im politischen Sinne aus. Als Stroop im Jahre 1941 den Antrag auf Namensänderung von Joseph auf Jürgen stellt, begründet er diesen Schritt schriftlich unter anderem mit dem Tod Jürgens im Jahre 1934. Das tote Kind muss die These von der weltanschaulichen Sauberkeit des Vaters stützen. Denn Jürgen ist ein »rein germanischer« Name.

      Aus den Erzählungen Stroops über die Zeit, in der er eine immer gewichtigere Rolle zu spielen beginnt, ist mir sein Bericht über einen Besuch beim Erzbischof von Münster, Clemens August Graf von Galen1, besonders in Erinnerung geblieben.

      Es war im Jahre 1934. Erzbischof Graf von Galen hatte soeben die NS-Rassenlehre verurteilt und die Sterilisation für verwerflich erklärt. Seine Beziehungen zur NSDAP waren denkbar schlecht.

      »Der Bischof von Galen war ein richtiger Herr, ein wahrer Aristokrat, der Typ eines Kirchenfürsten der Renaissance«, erzählte Stroop. »Er empfing uns höflich, aber stolz.«

      Aus dem Bericht Stroops ging hervor, dass er gemeinsam mit einem Verwandten des Erzbischofs, einem Mitglied der SS-Führung in Münster, von Galen aufgesucht hatte, um Näheres über dessen Ansichten zu erfahren und, wie ich glaube, in der Absicht, dem Erzbischof inoffiziell zu drohen, man würde Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben, die scheinbar kompromittierend für Priester und Klostergeistliche waren – falls von Galen sich nicht »beruhigen« sollte. Es ging, wie Stroop meinte, um irgendwelche sittlichen Verfehlungen von Geistlichen, Mönchen und Nonnen, um Devisenvergehen und die Auslegung des Eigentums- und Besitzrechts der Kirche.

      Der Erzbischof war liebenswürdig in seinem Auftreten, zugleich aber angriffslustig und herrisch. Der Anfang der Audienz verlief angenehm, denn von Galen sprach von den Verdiensten von Stroops Mutter, einer aktiven Katholikin aus Detmold. Im Verlauf des Gesprächs, das immer mehr einer theoretisch-weltanschaulichen Diskussion glich, ließ sich von Galen nicht von der Richtigkeit der ideologischen Höhenflüge Rosenbergs überzeugen. Er verurteilte entschieden das Gesetz zur Verhütung von erbkrankem Nachwuchs und geißelte alle Versuche, die altgermanische Religion einzuführen. Die Hochzeitsfeiern vor Wotan-Altären und Holzfeuern fand er lächerlich. Die Riten bei Beerdigungen von Bauern, die der SS angehörten, wobei deren Asche auf den Feldern ausgestreut wurde, kritisierte er besonders scharf.

      »Von Galen muss gewusst haben, dass ich einige Tage zuvor an einem SS-Begräbnis teilgenommen hatte«, erläuterte Stroop diesen Teil des Gesprächs. »Es war eine erhebende Feier. Ein westfälischer Bauernhof. Der Vater des Hofbesitzers, eines SS-Mannes, war gestorben. Der Sohn holte die Asche aus dem Krematorium, versammelte seine Familie und seine Freunde, legte die Jacke und die SS-Mütze ab, band eine große Säer-Schürze um, schüttete die Asche des Vaters hinein und ging aufs Feld hinaus, wobei er alle paar Schritte eine Handvoll Asche ausstreute. Aus Erde war er gekommen, zur Erde kehrte er wieder. Ein wunderbarer Brauch. Anschließend wurde eine Feier veranstaltet, nach altgermanischer Sitte. Galen wusste, dass ich dabei gewesen war. Aber woher? Da sehen Sie, was für einen gut funktionierenden Geheimdienst diese Jesuiten haben. Einmal wurde Galen wütend«, fügte Stroop hinzu, »und zwar als er von Gelüsten sprach, den Kirchenbesitz anzutasten.«

      Als sich die Offiziere anschickten, den Audienzsaal des Erzbischofs zu verlassen, erklärte von Galen (ich gebe die Worte Stroops wieder):

      »›Eines kann euch die Kirche, unser aller Mutter, nicht vorwerfen – Mangel an Patriotismus. In vieler Hinsicht seid ihr leichtfertig und irregeleitet. Aber das Vaterland eint alle, ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit. Eure Partei und Reichskanzler Hitler regieren Deutschland. Wir deutschen Katholiken‹, fuhr Galen fort, ›beten stets für unser Volk, die Regierung, das Vaterland und den Führer. Als erster deutscher Bischof habe ich im Oktober 1933 vor Göring meinen Treueeid abgelegt. Vergessen Sie das nicht, meine Herren. Auf Wiedersehen!‹«

      »Wie also war Erzbischof von Galen Ihrer Meinung nach?« frage ich Stroop. »War er für oder gegen euch?«

      »Galen bekämpfte einige unserer Reformen, besonders auf dem Gebiet der nationalsozialistischen Moral. Er war ein Anhänger des Papsttums, gleichzeitig aber auch Nationalist!«

      »Und Chauvinist«, warf Schielke ein.

      »Chauvinismus ist die geballte Liebe zum eigenen Volk. Ein guter Deutscher muss Chauvinist sein.«

      »Wie also war Galen?«

      »Ein guter, weil mustergültiger Nationalist. Aber mit dem deutschen Nationalismus verband er gleichzeitig die Idee und Politik des Papsttums, die Deutschland jahrhundertelang viel gekostet hat. Das Führungszentrum, dem von Galen sich untergeordnet hatte, lag außerhalb der Grenzen Deutschlands und deshalb hat uns Galen letzten Endes doch geschadet. Aber nicht allzu sehr.«

      Stroop begann sich in Einzelheiten zu verlieren. Er umkreiste mit gleichmäßigen Schritten die Zelle, deren farbliche Tönung an jenem Nachmittag an Bilder von Renoir erinnerte. Die untergehende Sonne warf flache, blassrosa Strahlenbündel durch das vergitterte Fenster. Sobald Stroop aus dem Schatten in die schmalen Lichtstreifen trat, nahm seine rötliche amerikanische Jacke an einigen Stellen die Farbe frischen Blutes an. Die


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