Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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      »Wissen Sie, das Ziel der Weimarer Republik, das inspiriert war durch die Engländer, die Franzosen, die USA, von der Sozialdemokratie, den Freimaurern, der jüdischen Internationale und sowjetischen Agenten, war, das Reich und damit Europa in die Anarchie zu treiben. Diesen Bestrebungen setzten wir entschiedenen Widerstand entgegen. Auch in Detmold musste man die Bevölkerung beruhigen und sie auf den Weg von Zucht und Ordnung führen. Am einfachsten ging es mit den ehemaligen Soldaten, den wohlhabenderen Bürgern und den Industriellen. Mit den Juden sind wir sehr schnell auf legale Weise fertig geworden.«

      Ich stellte ihm eine Fangfrage: »Legal? Und was war mit dem Demolieren einiger Geschäfte und mit dem Juden, dem man in einem Waldstück die Knochen gebrochen hatte?«

      Stroop wurde blass, sah mich verlegen und argwöhnisch an und flüsterte Schielke zu: »Vorsicht!« Mein Gehör war damals nicht besonders gut (ich hatte große Schmerzen im linken Ohr), aber das von Stroop geflüsterte Wort hatte ich mitbekommen und reagierte sofort:

      »Zum Teufel, denken Sie etwa, ich wäre ein Zinker?« Stroop begann sich eifrig zu entschuldigen und erläuterte, wie er das Wörtchen »Vorsicht« im gegenwärtigen Zusammenhang gemeint habe. Ich glaubte ihm, denn damals kannten wir uns schon eine Weile, und meinte: »Herr Stroop, bei Ihrem Prozess werde ich nicht als Zeuge auftreten. Das wissen Sie genau. Aber ich erinnere mich an Zeitungsberichte, aus denen hervorging, dass eure Sturmtruppen mit dem Gegner kurzen Prozess zu machen pflegten. Oder wollen Sie das leugnen?«

      Ich fand Unterstützung bei Schielke, der berichtete, zu welch drastischen Handlungen und Unterlassungen man sie, die Kriminalpolizei, in den Jahren ab 1933 »gezwungen« hatte. Er sprach vom Terror gegenüber Juden, auch solchen, die zu den größten deutschen Patrioten zählten. Er erzählte von Gewalthandlungen in den Straßen, die zum Teil vor der Bevölkerung verheimlicht wurden, von der Zerstörung und Plünderung von Geschäften, vom Prügeln und vom Anzünden jüdischer Wohnungen.

      »Und wir, die Hüter von Recht und Ordnung«, schloss Schielke, »waren gezwungen, diesem Unrecht tatenlos zuzusehen und blind über die Sicherheit dieser Rotzjungen von der SA zu wachen.«

      Angesichts dieser Offenheit gab Stroop nach. Er wollte sich nicht gegen die gemeinsame Haltung von Schielke und mir auflehnen und gab uns Recht; dabei erzählte er ein wenig von den Aktionen der SS in Detmold, die von den Nationalsozialisten »befohlen« worden waren. Und dann wiederholte er wohl zum hundertsten Mal: »Befehl ist Befehl!«

      Eines Tages, schon gegen Ende unseres gemeinsamen Aufenthaltes in der Zelle, schnitt ich noch einmal das Thema des Umbruchs von 1932/33 an und meinte beiläufig, wobei ich mich der Ausdrucksweise Stroops bediente:

      »Sie fühlten sich als Schwert Hermann des Cheruskers. Mit Hilfe dieses Schwertes haben Hitler, Goebbels, Göring und Himmler in eurem Fürstentum für Ordnung gesorgt.«

      »Das ist wohl ein allzu ehrenvoller Vergleich«, antwortete er ernst und fügte nach kurzem Nachdenken hinzu: »Herr Moczarski, Sie müssen begreifen, dass auf uns, den Berufs- und Reserve-Soldaten der deutschen Armee die Verantwortung für das Schicksal unseres Volkes ruhte. Wir repräsentierten die germanische Ehre und danach beurteilten uns die wertvollsten, patriotischen Bevölkerungsschichten.«

      Während er von der politischen Arbeit um die Wende des Jahres 1932/33 sprach, unterstrich Stroop einen wesentlichen Punkt des nationalsozialistischen Programms, und zwar die Notwendigkeit, das »furchtbare Unrecht des Versailler Diktats« zu tilgen; das hieß: Wiederaufbau einer starken Armee und Rückgewinnung der von den Franzosen, Belgiern, Dänen, Italienern, Tschechen und Polen widerrechtlich besetzten Gebiete. Und es bedeutete das fraglose Gebot »historischer Gerechtigkeit«, das Gebot, neuen »Lebensraum« für das große, kultivierteste, zivilisierteste und fleißigste Volk zu gewinnen, das in den damaligen Reichsgrenzen »zu ersticken« drohte.

      Im Jahre 1932 war Stroop zu einem in jeder Beziehung vollkommenen Nationalsozialisten geworden. Er trank das Elixier des nationalsozialistischen Evangeliums und verschluckte sich vor Begeisterung wie ein Foxterrier, der an einem Hühnerknochen würgt.

      Er beherrschte bereits fließend die Sprache der Partei, trug nur noch Stiefel, besaß eine Peitsche und zwei Schäferhunde. Auf das Monokel verzichtete er. Nicht etwa deshalb, weil seine Augen sich gebessert hätten (damit hatte er niemals Probleme), sondern weil ein Monokel in der Partei nicht gern gesehen war. Erst in den 40er Jahren, nachdem er zum SS-General ernannt worden war, kehrte er zum Monokel zurück. Auch in der Zelle trug er es manchmal.

      Zu den Versammlungen, Übungen, Parteikontrollen und bei Spaziergängen in Detmold pflegte er zu reiten.

      »Woher hatten Sie Pferde?« fragte ich ihn einmal.

      »Von den Bauern, Grundbesitzern und anderen Pferdezüchtern. Sie selbst boten uns ihre Hilfe an.«

      Er spürte die wachsenden Möglichkeiten, mehr Macht zu gewinnen und hatte, wie er in der Zelle bekannte, einen heimlichen Wunsch: an der Spitze einer Reiter-SS-Einheit über die Hügel und Täler des Lippelandes zu galoppieren. Er, der Sohn eines Oberwachtmeisters, sollte unbedingt der Anführer sein; und hinter ihm die Grafen- und Grundbesitzersöhne und die künftigen Erben von ein paar reichen Kaufleuten.

      An einem Sonntagmorgen herrschte in den Gefängnisfluren feiertägliche Ruhe. Stroop führte uns in der Zelle vor, wie man reitet. Auf angewinkelten Beinen schaukelte er gleichmäßig, zuerst im Schritt, dann im Trab und schließlich in scharfem Galopp. Er stieß kurze Rufe aus, schnalzte mit der Zunge, trieb sein Fantasieross mit der Reitgerte an, schnaubte und wieherte wie ein Pferd.

      Stroop hatte nie, und das bedauerte er außerordentlich, den berittenen Einheiten der SS angehört. Aber er zählte im Fürstentum Lippe zu ihren Mitbegründern.

      Die Rolle der SS-Reiterstaffeln im Dritten Reich ist bisher kaum untersucht worden. Nach meiner Meinung war die Zugehörigkeit zur Reiter-SS vorwiegend ein Ausdruck des Opportunismus von Leuten, die im politischen Spiel und im Wirtschaftssystem jener Zeit etwas zu verlieren hatten. Zur berittenen SS gehörten in der Mehrzahl Aristokraten und Großgrundbesitzer, die sowohl große Sportsmänner als auch Mitglieder der Parteielite waren. Die Reiter-SS stellte ein bequemes Sprungbrett für eine künftige politische Karriere in der Nazi-Hierarchie dar, sie bot aber auch die Möglichkeit, eine Verantwortung für den Nationalsozialismus zu umgehen. Stroop hatte dafür Verständnis, denn er wusste vieles, was mit Pferden zusammenhing. Eines Tages erzählte er mir, warum einer der Fürsten zu Lippe nach dem Krieg vom üblichen Schicksal der SS-Leute verschont geblieben war. Er erläuterte dabei den Hintergrund jenes Absatzes im Nürnberger Urteil, der im Kapitel über die SS bestimmt: »Nicht mit einbegriffen sind die Mitglieder der sogenannten Reiter-SS.«

      Stroop behauptete, dass die Mitglieder der Reiter-SS deswegen aus der Zugehörigkeit zur SS herausgelöst worden sind, die in Nürnberg als verbrecherische Organisation eingestuft wurde, weil die »Internationale« der Aristokraten und Großgrundbesitzer auf diese Weise ihre zum Teil nur formell durch eine Zusammenarbeit mit Himmler kompromittierten Freunde schützen wollte. Ob Stroop Recht hatte, vermag ich nicht zu beurteilen.

      In der zweiten Hälfte des Jahres 1932 schwamm der 37-jährige Joseph Stroop auf einer Welle wachsender Anerkennung, er kommandierte und verteilte nach allen Seiten Instruktionen. Man quälte und prügelte brutal »all diejenigen Weichlinge ohne Rückgrat«, die man prügeln durfte.

      »Bei uns in Detmold und im Fürstentum gab es nur wenige Juden«, erzählte Stroop. »Sie wurden bald hinausgeworfen. Sie fragen nach den Freimaurern? Ehrlich gesagt, habe ich die Freimaurer nicht angefasst, obwohl ich das Innere des Gebäudes kannte, in dem ihre Loge untergebracht war. Sie hatten zu enge Verbindungen zu den Fürsten, Grundbesitzern und unseren Plutokraten. Katholiken gab es in Detmold auch nur wenige. Wir versuchten, ihre ideologische Agitation auszuhöhlen. Die wissenschaftliche Tätigkeit von Frau Doktor Ludendorff hat uns da sehr geholfen.«

      »Aber seien Sie mal ehrlich«, fragte ich ihn einmal, »als Sie in Detmold gegen die Katholischen vorgingen, fürchteten Sie nicht ein wenig Ihre Mutter, die doch eine aktive Katholikin war?«

      »Ich wollte ihr keine Unannehmlichkeiten bereiten. Außerdem kannte sie viele Leute in der Stadt. Und schließlich


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