Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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ich. »Aber soweit ich mich in der Geschichte und den Methoden politischer Organisationen auskenne, musste Hauptmann Röhm Hitler zur Bekämpfung marxistischer Arbeitervereinigungen angeworben haben. Röhm, Invalide des Ersten Weltkriegs, aktiv und ehrgeizig, war damals zuständig für den politischen Geheimdienst der Reichswehr beim Armeestab in München.«2

      Darauf Stroop:

      »Entschuldigen Sie, Herr Moczarski, aber Sie sind von der Lügenpropaganda der jüdisch-kommunistisch-angelsächsischen Presse angesteckt. Ich wiederhole: Der Führer war niemals ein mieser Agent des Geheimdienstes. Röhm konnte viel erzählen. Er war ein homosexuelles Schwein.«

      »Und dafür wurde er im Jahre 1934 beseitigt?«3

      »Ja. Röhm war ein Verräter am Führer und an der Bewegung. Er pflegte abartige Veranlagungen, die eines Germanen nicht würdig waren, und es ist schade, dass dieser Päderast nicht schon früher liquidiert wurde!«

      Schielke, der das Milieu der deutschen Homosexuellen gut kannte, mischte sich in das Gespräch ein. Er hatte lange genug bei der Sittenpolizei gearbeitet, wo Karteien über aktive und passive Päderasten geführt wurden. Er meine, man hätte nur ganz wenige Homosexuelle in der NSDAP so unsanft behandelt wie Röhm.

      »Herr Schielke, mit ›unsanft‹ bezeichnen Sie Taten, die ein Berufspolizist schlicht Mord nennen sollte«, wandte ich mich an den Mann von der »Sitte«.

      »Sie haben ja Recht, Herr Moczarski, regen Sie sich bloß nicht auf! Ich stelle also fest, dass nur wenige Parteigenossen, die Päderasten gewesen sind, ermordet wurden. Die anderen, und es waren ziemlich viele, blieben am Leben, sie arbeiteten, machten Karriere, es ging ihnen nicht schlecht. Manche dieser Homosexuellen, wie zum Beispiel der bekannte Tennisspieler Baron von Cramm, besaßen die Protektion, ja sogar den besonderen Schutz der Superbonzen von der NSDAP.«

      Stroop unterbrach Schielke plötzlich mit folgendem Kommentar:

      »Der Tennisspieler von Cramm war ein Vetter eines Fürsten zu Lippe von der Reiter-SS, denn die Mutter des Fürsten entstammte der Familie von Cramm ...« Aber es gelang Stroop nicht, die Diskussion in andere Bahnen zu lenken, denn Schielke fuhr ungerührt fort:

      »Durch die Fürsprache Görings konnte von Cramm ins Ausland reisen, obwohl er, wie es die Vorschriften damals verlangten, eigentlich ins Kittchen gehört hätte. Ich führte damals die Untersuchungen in diesem Fall. Hätte man alle Homosexuellen unter den Nazis so behandelt wie Röhm, dann hätten Tausende von Parteigenossen wegen ›Besudelung der Partei‹ sterben müssen.«

      Der Ausgang des Hitler-Putsches vom 9. November 1923, der unter Mitwirkung von Ludendorff organisiert worden war und mit einem Fiasko und den Toten vor der Feldherrnhalle endete, musste in dem Kriegsteilnehmer Stroop den Glauben an den Erfolg des Nationalsozialismus erschüttert haben. In der Zelle fantasierte er zwar einige Male von dem Heldenmut und den Verdiensten der Blutordensträger4, nach meiner Meinung war es aber bloßes Deklamieren, sozusagen als Hinweis, dass er von Anfang an der Bewegung treu gewesen sei; oder es war einfach das Herunterleiern von Sprüchen, die man ihm im Parteiapparat jahrelang eingetrichtert hatte.

      Andererseits waren die aggressiven Verteidigungsreden Hitlers vor dem Münchner Gericht im Februar und März 1924 durchaus dazu angetan, Stroop rasch wieder zu den Fahnen Hitlers zurückzuholen. In jenen Jahren bediente sich Stroop in seinem Privatleben der gleichen Methode, die Hitler nach Verlassen des Gefängnisses anwandte: Er ging den Weg eines scheinbaren Legalismus. Abwarten, nicht allzu sehr auffallen, sich nach außen hin gegenüber den gerade an der Macht Befindlichen loyal verhalten und im Stillen das Seine tun. Hitler fiel zwar immer wieder auf, doch gewitzt durch die Erfahrungen des Jahres 1923, strebte er die legale Übernahme des Reichskanzleramtes an. Denn politische Lügen, Tricks und Kniffe sind immer legal.

      Aus den Erzählungen Stroops über jene Zeit schloss ich, dass er und seine Detmolder Freunde möglicherweise nur Angst hatten, allzu früh in die NSDAP einzutreten, obwohl die Mehrzahl von ihnen dank der Traditionen, in denen sie erzogen waren, gewiss zu den potenziellen Anhängern Hitlers gehörten. Hitler bedeutete für sie eine Offenbarung. Nur war die Lage vorläufig nicht so einfach.

      »Seit 1918 regierte im Land Lippe die Sozialdemokratie«, berichtete Stroop. »Der Einfluss der Kommunisten wurde immer größer. Der Fürst zeigte liberale Neigungen. Die bei uns ansässige Freimaurerloge musste ernst genommen werden. Die Mehrzahl der Grundbesitzer fürchtete das Adjektiv ›sozialistisch‹ im Namen der Partei des Führers.«

      Die NSDAP hatte trotzdem immer mehr Zulauf. In den Wahlen zum Reichstag 1930 errang sie überraschend 107 Sitze (1924 waren es 14, und 1928 12). Folgerichtig nahmen 1930 die politischen Aktivitäten im Freistaat Lippe zu. »Die bisherigen Parteien verstärkten ihre Tätigkeit und arbeiteten in einer Richtung, die für unsere Partei unerwünscht war«, meinte Stroop.

      Er war gerade zum Vermessungsobersekretär ernannt worden. Nach außen hin befürwortete er Parteilosigkeit und »nationalen Objektivismus«. Er war für Uniformen und Soldatentum, was einem Durchschnitts-Deutschen immer gefiel. Politisch legte er sich nicht fest. Vielleicht fürchtete er seine bisherigen Vorgesetzten, deren Macht ebenfalls von germanischen Göttern stammte. Oder Stroop besaß ebenso wie der Fürst einen sechsten Sinn für Diplomatie und genügend Schlauheit, wie jener Konservenhersteller, dem Stroop in der Zeitung der ehemaligen Frontsoldaten zum Ruhm verholfen hatte.

      Die Ereignisse zu Beginn des Jahres 1932 deuten darauf hin, dass Hitler zielstrebig und rücksichtslos auf dem Weg zur Macht ist. Stroop wird Mitglied nicht etwa der Partei, sondern des Beamtenbundes bei der NSDAP und erhält in dieser »Berufsorganisation« die Mitgliedsnummer 2418.

      In Detmold arbeiten bereits starke nationalsozialistische Zellen, die leider mit »Ziegenhütern« und »Zieglern« durchsetzt sind, aber diese Personalstruktur in den Reihen der lippischen NSDAP sollte sich schon bald grundlegend ändern, wie Stroop meinte.

      Endlich trifft er eine Entscheidung, gegen den Willen der Mutter und ohne Unterstützung seitens seiner Frau. Er entscheidet sich jetzt, weil er für die nahe Zukunft eine allgemein günstige Entwicklung voraussieht. Eine geniale Weitsicht hinsichtlich seiner eigenen Laufbahn sollte man ihm noch nicht abverlangen ...

      Alle Zweifel sind überwunden, der »richtige Weg« entdeckt. Stroop betritt den modernen Weg der Cherusker und wird am 1. Juli 1932 Mitglied der SS, später – erst am 1. September 1932 – der NSDAP. Sein SS-Ausweis trägt die Nummer 44611, der Parteiausweis dagegen eine wesentlich höhere: 1292297.

      Jahre später, in Warschau, wird er vor Gericht nach Entlastungs- und Rechtfertigungsgründen suchen und erklären, er wäre niemals Politiker, sondern immer nur Soldat, sogar »Berufssoldat« gewesen, und dass er dem Einfluss der vaterländisch-patriotischen Elemente unter seinen ehemaligen Kriegskameraden erlegen sei, die ihn, den »Militärfachmann«, gebeten hätten, in die SS, eine paramilitärische Organisation, einzutreten.

      Ich kann mir denken, wie froh und hoffnungsvoll er im Juli 1932 gewesen ist, als die Partei Hitlers 230 von 608 Sitzen im Reichstag errungen hatte. Die Deutschnationalen erhielten nur 37 Sitze, die großkapitalistischen Liberalen (Deutsche Volkspartei) 7, das katholische Zentrum 97 (leichter Anstieg), die von Stroop verachteten Sozialdemokraten 133 und die Kommunisten 89 Mandate.

      »Damals, in den Jahren 1932 und 1933, habe ich wahnsinnig viel gearbeitet«, erzählte Stroop. »Ich hatte mich völlig in den Dienst der Partei und des Führers gestellt. Ständig Appelle, Versammlungen, Agitationsfahrten, Exerzieren, Übungen, Kurse, Schulungen.«

      Der NSDAP war ein so systematischer, pedantischer Mann nützlich; ergeben, treu und dabei jeder von oben weitergegebenen Wahrheit blind glaubend – zum Beispiel der, dass nach dem Kampf die fette Ernte in die Scheuer eingefahren wird. Stroop war einer der ersten SS-Männer im Land Lippe: Er wurde SS-Anwärter und führte, trotz seines Aspiranten-Status, eine SS-Einheit in Detmold.

      »Gehorchten euch die Mitglieder der SA? Hattet ihr Unterstützung in der Bevölkerung?«

      »Einige SA-Leute mussten wir ruhigstellen. Die, welche für Hitler waren, aber wie Sozialisten redeten. Mit der Bevölkerung war es verschieden.«


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