Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski
eine gesicherte Stellung innerhalb einer angesehenen Familie, eine gute Mitgift und die Aussicht auf ein einträgliches Erbe nach dem Ableben des angejahrten Herrn Pastors.
Es kam, wie er es geplant hatte. Nach tagelangem Familienstreit gab seine katholische Mutter nach. Der künftige Schwiegervater war inzwischen gestorben. Am 5. Juli 1923 heiratete Stroop die aus Stendal stammende Käthe B.
Der Eheschließung waren umfangreiche Vorbereitungen vorangegangen. Eine Wohnung wurde gemietet, Esszimmer, Schlafzimmer, Salon, Bettdecken und Vorhänge gekauft. Küche, Speisekammer und Keller wurden üppig ausgestattet. Stroop äußerte immer neue, allerdings nicht allzu anspruchsvolle Wünsche. Sie wurden sämtlich erfüllt. Ein Ehevertrag wurde aufgesetzt, und nach der kirchlichen Trauung fand sich das junge Paar im Ehebett wieder; in der anschließenden Hochzeitsnacht gab der katholische Ehemann seiner romantischen Protestantin jene Erfahrungen weiter, die er von einer orthodoxen rumänischen Goralin erworben hatte.
Stroop wurde rasch zu einem angesehenen Mann. Er gewöhnte sich einen gemessenen Gang an, schlenkerte aber trotzdem immer noch mit den Armen. Der Familie und den Nachbarn stattete er Besuche ab, begab sich mit seiner Gattin zum Sonntagsspaziergang in den Schlosspark und besuchte die fürstliche Oper. Er fügte sich vollendet in die Detmolder Gesellschaft ein, aber wäre er zu einer anderen Lebensweise überhaupt fähig gewesen?
Im Büro wurde er sofort befördert. Nachdem Käthe zu der Überzeugung gelangt war, dass er sich weiterbilden müsse, besuchte Stroop mehrwöchige Fortbildungskurse und bereitete sich mit Hilfe seiner Frau auf die Beamtenprüfung vor. Fast fünf Jahre nach der Hochzeit, im Februar 1928, legte er ein Examen als Vermessungsinspektor ab. Trotzdem hatte er kaum mit Vermessungen zu tun, da man ihn vorwiegend mit Steuerangelegenheiten beschäftigte.
Ebenfalls im Februar 1928 wurde seine Tochter Renate geboren. Der Nachkomme der Cherusker und Träger des Eisernen Kreuzes hatte sich natürlich einen Sohn gewünscht. Viel später bedauerte er tief, es zugelassen zu haben, dass seine Tochter den Namen Renate erhielt. »Meine Frau und ihre Familie hatten auf diesem Namen bestanden, der mir damals ebenfalls ganz hübsch vorkam«, erzählte er in der Zelle.
»Aber erst nach Jahren habe ich begriffen, dass Renate kein Name für eine richtige Deutsche ist. Renate klingt irgendwie französischmittelmeerländisch. Ich dagegen bin ein Anhänger nordischer Vornamen wie Christine, Ingeborg oder Sigrid. Als später mein Sohn zur Welt kam, besaß ich bereits das nötige Wissen und nannte ihn Olaf.«
»Aber Ihre Mutter und Ihre Frau hatten doch auch hübsche Vornamen; beide hießen Katharina. Und Ihre Schwiegermutter hieß Maria, wie die Mutter Christi«, meldete sich Schielke.
»Maria! Ein typisch jüdischer Name, Gott sei Dank hieß bei uns nur meine Schwiegermutter so.«
Sooft Stroop von seiner Ehe erzählte, betonte er den Ruf, die Bedeutung und den gesellschaftlichen Rang seines verblichenen Schwiegervaters. Er sprach von ihm wie von einer ihm besonders nahestehenden Person, die das Haupt seiner Familie von Intellektuellen gewesen sei. In der Zelle hielt Stroop sich selbst für den wahren Vertreter der Familie B.
Mit besonderer Begeisterung erzählte er von der Bibliothek seines verstorbenen Schwiegervaters. In diesem Punkt fand er mein besonderes Interesse. Als ich begann, ihn nach den Büchern auszufragen, die der alte Pastor besessen hatte, antwortete Stroop: »Ach, er hatte sehr viele Bände, sicherlich ein paar Tausend. Es waren alte Familienbestände, mehrere Generationen hindurch ergänzt. Ich kann sie Ihnen nicht näher beschreiben, aber ich habe sie alle gesehen. Viele hatten Ledereinbände, auch Goldrücken. Manche waren vergilbt und hätten eigentlich in einen Krämerladen gehört zum Einwickeln von Heringen. Alles in allem altes Zeug.«
»Was haben Sie mit dieser Bibliothek gemacht? Sicherlich doch in Ihrer vornehmen Wohnung untergebracht?«
Sichtlich geschmeichelt durch das Wort »vornehm« begann Stroop lebhaft von seinen Erfolgen zu berichten, die mit dem wertvollen bibliophilen Besitz der Familie B. verbunden waren.
»Diese Bibliothek war wirklich fabelhaft«, meinte er.
»Niemals hätte ich vermutet, dass Bücher so teuer sein können. Sie waren allerdings ziemlich schwer. Und eben wegen ihres großen Gewichts und mit Rücksicht auf die schwachen Zimmerdecken in dem Haus, das wir bewohnten ...«
»Und aus Geldmangel ...«, warf ich ein.
»Stimmt, damals besaß ich nur wenig Geld. Deshalb wollte ich die Bibliothek verkaufen, und das habe ich auch getan.«
»Und Ihre Frau hatte nichts dagegen?«
»Ich war doch Herr im Haus und nicht meine Frau. Ich hatte ja auch die Verfügungsgewalt über das Erbe meiner Frau.«
»Wie sind Sie denn diese Bibliothek losgeworden?«
»In Detmold wollte sie niemand kaufen. Also schrieb ich an ein Antiquariat in Bielefeld. Es war eine anständige Firma, sie schickten einen Sachverständigen. Er saß eine ganze Woche bei uns, machte ein genaues Verzeichnis mit einem Durchschlag für mich. Nach einem Telefongespräch mit seinem Chef bot er mir einige Tausend Mark für die Bücher. Vor lauter Glück fiel ich meiner Frau um den Hals und ließ mir sofort eine Anzahlung geben. Am nächsten Tag kam ein Lastwagen und verlud den ganzen Kram. Aber vorher wurde jedes Buch einzeln verpackt. Ich hätte nie geglaubt, dass so ein Scheiß so viel wert sein kann.«
»Waren auch besonders seltene Bücher darunter?«
»Keine Ahnung. Ich verstehe nichts davon. Aber es waren irgendwelche religiöse oder philosophische Schwarten aus dem 17. Jahrhundert dabei. Und noch ältere.«
Stroop führte damals, wie er in der Zelle meinte, ein herrliches Leben, obwohl nicht alle seine materiellen Wünsche befriedigt waren. Ein »herrliches« Leben! Alles bestens geregelt, unter Kontrolle und in gleichförmigen Bahnen verlaufend. Denn alles, was in diesem Städtchen die Normen des Gewohnten und Schicklichen auch nur um eine Winzigkeit überschritt, trug den Stempel des Skandalösen oder einer Verrücktheit. Ein solch »herrliches« Leben mag das Ideal vieler Menschen sein.
»Jeder lebt so gut er kann, der eine liebt Gedichte, der andere hat Schweißfüße«, pflegte Gustav Schielke in unserer Zelle zu sagen.
Zu Hause führte Stroop ein eisernes Regiment. Seine Frau behandelte er wie sein Eigentum. »Kirche, Küche, Kinder«, diese abgedroschene Formel über das Leben deutscher Frauen fand in der Ehe Stroops ihre getreuliche Bestätigung.
Seine Gedankenwelt wurde von der Tagespresse bestimmt. Dazu besaß er ein ausgeprägtes Gefühl für Konjunktur. Er hatte Vertrauen zum Fürsten und dessen Hofbeamten, den Industriellen, Großkaufleuten, Direktoren, Hofräten, pensionierten Offizieren und dem ländlichen Adel. Vor allem aber vertraute er seinen ehemaligen Kriegskameraden. Auf diese Weise setzte sich seine ideologische Schulung fort, an der die Tradition, die Eltern, seine Truppenführer und Vorgesetzten beteiligt waren. Denn »Ordnung muss sein!«
In jener Zeit erwarb und vertiefte er eine für ihn wichtige Tugend: die der Reserve allen Menschen gegenüber. Er hielt persönliche Zurückhaltung für eine ausgezeichnete Sache, denn sie hindere den Menschen daran, sich bloßzustellen. Gleichzeitig bildete sich bei Stroop eine andere Eigenschaft heraus: Er bemühte sich, nicht zu lügen.
Damals legte Stroop endgültig seine Handlungsweise fest: grundsätzlich die Wahrheit zu sagen, aber möglichst viel zu schweigen. Und sich in unbequemen Situationen niemals zum Reden provozieren zu lassen.
Ob es ihm immer gelungen ist, dieser Methode treu zu bleiben? Ich glaube nicht, denn das Leben bringt Freuden und Kümmernisse mit sich, die den Einzelnen aus seiner selbst auferlegten Reserve locken. Und es gab Stunden, in denen Stroop reden, sich erinnern und sich hervortun musste.
In den Jahren 1922–1931 bemühte er sich mit Erfolg, mit seiner Umgebung in Frieden zu leben. Von Zeit zu Zeit gab er klein bei, manchmal wand er sich wie eine Schlange, und selten drängte er zu höheren Sprossen der sozialen und gesellschaftlichen Leiter.
Seine berufliche Karriere, gefördert durch »Beziehungen« von Mutter und Ehefrau, brachte ihm nur geringe materielle Vorteile. Doch für den sparsamen