Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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Ein ausgezeichneter Stratege und ein nüchtern denkender Politiker aus der Schule Bismarcks. Der Feldmarschall verhinderte, dass fremde Geheimdienste in die Armee einsickerten, das heißt kommunistische Agitatoren, Juden, Freimaurer und Liberale. Die Einheiten Mackensens blieben ungeschlagen. Ende 1918 besaßen wir unsere volle militärische und psychische Kampfkraft, wir verfügten über alles nötige Material und waren voll operationsfähig. Unbesiegt mussten wir uns dann in die Heimat zurückziehen, nur wegen der Wühlarbeit an anderen Fronten und im Inneren Deutschlands, wie sie seit langem von Juden, Marxisten und den nationalen Minderheiten betrieben worden ist.« »Kurz vor seiner Rückkehr in die Heimat suchte von Mackensen unsere Einheit auf«, fuhr er fort.

      »Wir empfingen ihn mit beinahe so vielen Ehren wie den Kaiser. Niemand störte diese erhebende Stunde durch Zwischenfälle, wie sie durch die Wühlarbeit der Frontsoldaten in unseren anderen Armeen üblich geworden waren oder auch unter den Mannschaften der zum Teil kommunistisch verseuchten Kriegsmarine vorkamen. Mackensen sprach kurz und verwies auf Ziele ...«

      »Artillerieziele?«, unterbrach ihn Schielke.

      »Nein. Auf militärpolitische Ziele. Er lehrte uns, wie wir die wahre Ordnung in unserem Vaterland beschützen müssten, das einst in voller Kraft Wiedererstehen wird. Wir verabschiedeten ihn wie einen Vater. Dann erfolgte die geordnete Verladung in die Eisenbahnwaggons, und wir setzten uns bewaffnet und in geschlossenen Einheiten nach Deutschland ab. Wir sind nicht wie andere in alle Richtungen auseinandergelaufen.

      Ja, Herr Moczarski, mein Krieg endete nicht schon am 11. November, sondern erst am 21. Dezember 1918. Ich kehrte kurz vor dem Weihnachtsfest nach Hause zurück.«

      »Ziemlich spät. Und wie begrüßte euch die Bevölkerung von Detmold?«

      »Mit offenen Armen und keineswegs niedergedrückt, obgleich die Zeiten nicht leicht waren.«

      »Sie erwähnten, dass Sie die Armee als Vizefeldwebel verlassen haben. Warum hatte man Sie nach so vielen Jahren nicht zum Offizier befördert?«

      »Ich war noch zu jung.«

      Meine Frage war Stroop sichtlich peinlich. Ich rührte da an etwas, was er für den Makel seines Lebens hielt. Denn er hatte doch nur die Volksschule besucht.

      Als Stroop in den Krieg zog, als ginge es zu einer Hochzeit oder zu einem Spaziergang durch Nachbarländer, ihre Speicher, Küchen und Betten, mag er gedacht haben, man würde ins Lippeland mit dem Lorbeer Hermann des Cheruskers sowie mit irgendeiner ansehnlichen Beute heimkehren. Und nun hatte er seine erste Kriegschance verspielt. Die Tatsache, dass diese Rückkehr aus dem Feldzug gewissermaßen ein Glücksfall war, kam ihm nicht zum Bewusstsein. Denn im Ersten Weltkrieg betrugen die Verluste Deutschlands annähernd zwei Millionen Gefallene und Vermisste. Und wie viele waren zu Krüppeln geworden?

      Aus diesen dürftigen Informationen und Erzählungen könnten die Leser den Schluss ziehen, dass die Erlebnisse Stroops in den Jahren 1914–1918 von sorgloser, ruhiger Art gewesen waren, dass die körperlichen Qualen der Schlachten, Lazarette, dass Hunger und Kälte, die Plage von Ungeziefer und der Anblick von Leichen ihm erspart geblieben waren.

      Das stimmt nicht ... Ich verzichte zwar auf viele Einzelheiten über den Dienst Stroops unter den Fahnen Wilhelms II., denn ich will nicht zu allgemein bekannten Ereignissen zurückkehren. Ich glaube, dass Stroop, obwohl es ihm manchmal gelang, einen gegenteiligen Anschein zu erwecken, die Grausamkeiten und Leiden des Krieges zur Genüge erfahren hat.

      Und doch hatte Stroop den Kult des Krieges als eines Instruments der Abrechnung und einer Methode für das Zusammenraffen von Gütern für sein eigenes Land und für sich selbst im Blut. Die Ansichten Stroops zu diesem Thema waren durch ein hohes Niveau der Formulierungen gekennzeichnet, die sich wesentlich von seiner Alltagssprache unterschieden. Es war deutlich zu sehen, wie dieser gehorsame Verstand sich mechanisch den Wortschatz der Propaganda und der Parteischulungen der NSDAP angeeignet hatte.

      »Der Krieg stellt ein biologisches und psychologisches Ausleseverfahren dar, das jedes Volk benötigt«, meinte er. Nur Menschen mit einer Rittergesinnung können jenes Privileg erfahren, diese höhere Kategorie des Erlebens begreifen, das der Krieg darstellt.

      Außerdem wiederholte er in der Zelle häufig, dass der Krieg die beste Tür zur Freiheit sei.

      Diese Haltung beeinflusste in gewisser Weise seine sportliche Einstellung zu den eigenen Kriegserlebnissen zwischen 1914 und 1918. Daher auch die unbekümmerten Erinnerungen an das »große soldatische Abenteuer«, um mit den Worten Stroops zu sprechen.

      Und noch etwas: Stroop beendete »seinen« Weltkrieg mit dem Gedanken an eine möglichst baldige Rache und Vergeltung. Rache an den Nachbarvölkern, an England und Russland und an den »Verrätern«, die im Jahre 1918 den Deutschen den »Dolchstoß« versetzten, das furchtbare Versailler Unrechtsdiktat unterschrieben und im Reich die Regierung der »November-Demagogen« und »ausländischen Agenten« geschaffen hatten.

      IV. Kapitel

      Der Redakteur

      Nach der Rückkehr nach Detmold wich die Hochstimmung allmählich. Die Hoffnungen welkten wie die Lippen der schönen Marta während des vierjährigen Wartens auf das Kriegsende. Stroops Uniform, die er anfänglich während seiner Arbeit im Katasteramt trug, wurde rasch unansehnlich und wirkte wie der halb zivile Aufzug eines ehemaligen Kriegsteilnehmers.

      »Die Stimmung im Reich war nicht gut«, erinnerte sich Stroop, »nach einem verlorenen Krieg, der die ›Schmach von Versailles‹ und innenpolitische Erschütterungen mit sich gebracht hatte.«

      Und doch waren die heftigen Gewitterstürme, die Deutschland aufwühlten, nicht bis in das abgelegene Ländchen Lippe-Detmold vorgedrungen. Das soll nicht heißen, dass die »neue Zeit« völlig an dem kleinen Fürstentum vorübergegangen wäre. Auch dort lebten Anhänger fortschrittlicher Traditionen, die von Menschlichkeit, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit sprachen, einige Liberale, und eine größere Anzahl von Sozialdemokraten, die nach dem Krieg in Lippe regierten. Ein Teil des Bürgertums büßte seinen Wohlstand ein. Das zahlenmäßig geringe Proletariat übernahm seine Vorbilder vom Ruhrgebiet, vor allem aber aus den Nachbarstädten Bielefeld, Essen, Dortmund, Elberfeld und Barmen.

      Der weltanschauliche, situationsbedingte Gärungsprozess machte sich nun auch in Lippe bemerkbar, wenn auch auf etwas verwirrende Weise. Die Katastrophe des verlorenen Krieges hatte längst eingerostete Verklammerungen aufgesprengt – und genau in diesem Punkt begann der Fürst zu handeln. Dem damaligen Herrscher von Lippe-Detmold kann man weder Intelligenz noch Tatkraft und einen geschärften Sinn für wirtschaftspolitische Entwicklungen absprechen. Er entstammte einer Familie, die es glänzend verstand, bestimmte Situationen zu erfassen, mit dem Wind zu segeln und den materiellen Besitz – die Güter, Wälder und schließlich auch das langsam wachsende Potenzial der »kleinindustriellen Anlagen« der Dynastie derer von Lippe-Detmold zu schützen und zu bewahren.

      Schon im September 1918, als der Fürst zu Lippe (»stets huldvoll, demokratisch und menschlich«, wie Stroop ihn charakterisierte) die Niederlage der kaiserlichen Armeen witterte, richtete er sein Augenmerk auf die revolutionären Umtriebe in seinem kleinen Land.

      »Der Fürst tolerierte das allgemeine Geschrei um die neuen Parolen«, erzählte Stroop, »denn er wusste, dass es am bequemsten war, revolutionäre Stimmungen durch eine Art demokratischer Redefreiheit in den Griff zu bekommen.«

      Stroop hatte wohl Recht, denn der Fürst muss gewusst haben, dass auch die aufrührerischsten Reden auf Versammlungen, in Gasthöfen und Bierkneipen in seinem Fürstentum keine organisierte Form annehmen würden, da größere, geschlossene Gruppen eines Industrieproletariats fehlten; und in Kreisen der Intelligenz wagte es kaum jemand, sich als »Bolschewik« zu erkennen zu geben. Die Bauern und Kleinbürger, die jetzt lauthals über die Berater des Kaisers, die Großindustriellen, Fürsten, Grafen, Freiherren und andere »Ausbeuter« und sogar »Blutsauger« schimpften, vergaßen schon am nächsten Tag ihren Zorn und kehrten zu ihrer gewohnten Arbeit auf ihre bäuerlichen Anwesen oder ihren städtischen Besitz zurück.

      Doch die Lage wurde für die Fürstenhäuser immer bedrohlicher. Daher verfügte der Fürst


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