Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski
damit aus Joseph etwas wird. Hier in Detmold.«
Das kleine Detmold war seit Jahrhunderten Hauptstadt dieses winzigen Staates und Residenz der Fürsten zu Lippe; früher trugen sie einen Grafentitel.
Im Gegensatz zum nahen Lemgo, der einzigen Hansestadt des Fürstentums, in welcher die unansehnlichen Bürgerhäuser vom merkantilen Geiz der Städtebauer zeugen, besitzt Detmold eine Reihe repräsentativer, ehemals fürstlicher Bauten, die jetzt der Allgemeinheit dienen. Außer Parkanlagen, Plätzen und Alleen, Gewächshäusern, einer Reithalle u.a. verfügt Detmold über einen klassizistischen Theaterbau, in dem seit hundertfünfzig Jahren Opern aufgeführt werden. Außerdem gibt es eine Landesbibliothek, ein lippisches Museum und ein »Heimathaus« mit einer Kunstsammlung, ein fürstliches Verwaltungsgebäude aus dem 17. Jahrhundert und ein ehemals barockes Palais, das im 19. Jahrhundert umgebaut wurde und heute die Nordwestdeutsche Musikakademie beherbergt. Es besitzt noch andere alte Gebäude, eine Gemäldegalerie, eine Gobelin- und Porzellansammlung, eine Altstadt und eine Neustadt, ein Rathaus, mehrere Kirchen der verschiedenen Glaubensbekenntnisse, einen Marktplatz sowie viele kommunale Einrichtungen – darunter einen Brunnen, den Stroop häufig erwähnte, mit den Skulpturen einer Göttin und eines Rehs (den sogenannten Donop-Brunnen).
Vor allem aber ist das Schloss dieser »kleinen, sauberen Garnisonsstadt Detmold« angestammter Sitz derer von Lippe. Diese Burg umfasste im 13. Jahrhundert ein Viertel der gesamten Stadt, die am Zusammenfluss von Werre und Berlebecke liegt. Eine so wehrhafte und zugleich verteidigungsgünstige Herrschaftsresidenz bildete ein wichtiges Instrument für politischen, gesellschaftlichen und moralischen Druck. Beim Anblick der mächtigen Mauern machte der brave Bürger jeden Tag im Geiste seinen Diener; er verbeugte sich vor der Machtfülle des Feudalherrn und der eigenen Bedeutungslosigkeit. Jahrhundertelang gab es für den Bürger von Detmold nur die Wahl zwischen Auflehnung (aber so etwas passierte in Lippe überaus selten) und der Koexistenz. Man wählte in der Regel die Koexistenz. Sie wandelte sich im Laufe von Generationen zu bedingungslosem Gehorsam.
Übereinstimmend mit den Traditionen Westfalens war die Detmolder Burg einst ein von schützenden Wassergräben umgebenes Wasserschloss. Als Stroop geboren wurde, gab es diese Festungsgräben nur noch an zwei Seiten des Schlosses, dessen Grundriss aus vier
Flügeln besteht – was, wie Stroop sich ausdrückte, »den Eindruck von maßvoller Macht« vermittelt. Stroop verstand nichts von Architektur und Kunstgeschichte. Aber seinen recht genauen Schilderungen konnte ich entnehmen, dass das Schloss in norddeutschem Renaissance-Stil erbaut war, mit einigen gotischen Resten.
Nachdem ich das Gefängnis verlassen hatte, fiel mir die Arbeit eines Dr. Gerhard Peters aus Lippe in die Hände. Ich fand darin einen Kommentar über die architektonisch-bildhauerische Ausschmückung des Schlosses: »Die Giebel, Erker, Ornamente sowie alle naturalistischen und abstrakten Verzierungen vermitteln in ihrer Gesamtheit eine romantische Lebensfreude, die die Zuverlässigkeit und das Selbstbewusstsein der herrschenden Familie widerspiegeln.«
Was soll man nur von diesen Detmoldern halten?! Wenn im Jahre 1960 ein Wissenschaftler aus Lippe solch schmeichelhafte Ansichten über die ehemaligen Herrscher dieses Ländchens verbreitet, dann darf man sich nicht wundern, wenn ein anderer Detmolder, der in seiner Jugend mit Aussagen ähnlicher Doktoren gefüttert wurde, nun ebenfalls das Lob dieser Fürstenfamilie sang und von der Notwendigkeit überzeugt war, man müsse Rittergüter in der Ukraine besitzen. Und dass er, genau wie Dr. Peters, hartnäckig an seiner Meinung festhielt. Es war die unerschütterliche Überzeugung von der Rechtmäßigkeit jeglicher Macht, solange sie über die Einhaltung einer »Ordnung« wacht, das heißt, solange sie den Bürger fest im Griff hat.
In Detmold lebten auch gebildete Leute, Gelehrte und Halbgelehrte, Künstler, Schriftsteller, Musiker, Geistliche, Lehrer und sogar Journalisten. Es erschienen zwei, zeitweise auch drei Zeitungen.
Auch regionale wissenschaftliche Gesellschaften, Musikvereine und soziale Verbände hatten hier ihren Sitz. Fürstin Pauline zu Lippe aus dem Hause Anhalt-Bernburg, eine Nichte Katharinas der Großen, gründete in Detmold im Jahre 1802 den ersten deutschen Kindergarten. Stroop erzählte von ihrer sozialen Tat: »Die in ganz Lippe hochverehrte Fürstin Pauline verzichtete damals auf den Kauf von einigen Kleidern und bestimmte das Geld, das sie dadurch gespart hatte, für die Gründung eines Kindergartens. Sie war mit Kaiserin Josephine, der Gemahlin Napoleons, befreundet.« »Mit Josephine, so so! Freundinnen ahmen sich gern nach. Hat eure Pauline ihrem Mann ebenfalls Hörner aufgesetzt?« scherzte ich.
»Warum unterstellen Sie Fürstin Pauline solche Schweinereien?«, empörte sich Stroop.
»Erstens ist es keine Schweinerei, einen ergebenen Geliebten zu haben«, entgegnete ich. »Und zweitens, ganz ohne Spaß, halte ich sehr viel von der Hilfsaktion der Fürstin für Mutter und Kind. Diese Fürstin war für die damaligen Zeiten durchaus fortschrittlich. Und das ist schon sehr viel.«
Hier setzte eine »grundsätzliche« Auseinandersetzung ein. Diskussionen in der Zelle sind eine sportliche Betätigung besonderer Art. Auch ich unterlag diesem Zwang oder auch Bedürfnis, bis ich mich an einen Satz von Puschkin erinnerte, in dem er rät, bei manchen Personen einem Disput aus dem Weg zu gehen.
Die Hügel des Teutoburger Waldes, der vor den Toren Detmolds liegt, sind wunderschön. Grün bewaldete Hänge erstrecken sich bis in die Täler, die von dürftigem Humus bedeckt sind. Eine zauberhafte Landschaft, aber ein felsiger Grund. Über diese Steine sagte mir Stroop einmal:
»Mit dem Boden kenne ich mich aus, Herr Moczarski, ich war Katasterinspektor im Fürstentum Lippe. Es gibt dort viele Steine, die man nicht beseitigen kann, weil sie in der Erde wachsen.«
»Wieso wachsen? Ein Stein lebt doch nicht, also kann er auch nicht wachsen.«
»Sie irren. Steine wachsen im Boden. Auch wenn man es mit dem bloßen Auge nicht erkennen kann. Jahr für Jahr kommt eine Schicht dazu, und nach einigen Jahrzehnten wird aus einem Steinchen ein Felsbrocken.«
Stroop kehrte mehrmals zu diesem Thema zurück. Er wusste, dass ich seine Meinung nicht teilte und kannte auch meine Begründung. Es gelang mir aber nicht, ihn zu überzeugen. Schließlich, als er mit seinen Ansichten etwas mutiger geworden war, meinte er:
»Herr Moczarski, Ihre These von den Steinen beweist, dass Sie marxistischem Gedankengut huldigen.«
Im steinigen Lippeland gibt es schöne Wälder, herrliche Nadel- und Laubbäume, kleine Seen, Bäche, romantische Felsengruppen, weite Lichtungen, Wiesen und etwas Ackerland. Es verfügt über reiche Jagdgründe; und wo gejagt wird, gibt es Pferde, Schaftstiefel, Hunde. Und manchmal auch Amazonen.
Vom Jagen sprach Stroop selten. Offensichtlich wurden zu Kaiserzeiten und während der Weimarer Republik weder er noch sein Vater zu den Jagdvergnügungen der Potentaten zugelassen – es sei denn in der Rolle von Bewachern. Über Pferde hingegen – westfälische, schwäbische, fränkische, Detmolder, ostpreußische, friesische, ungarische, polnische, ukrainische, polesische und andere sowie über Pferderassen und -gewohnheiten, über Reitschulen und die Kunst des Lenkens wurde ich bis zum Überdruss aufgeklärt.
Joseph Stroop hatte eine heitere, bäuerlich-bürgerliche Kindheit. Sein Vater war soldatisch streng, chauvinistisch und roch immer nach Pfeife. Er liebte es, mit Freunden beim Bier zu sitzen; und immer, wenn ihm sein Fürst ein Glas Wein oder einen Schnaps spendiert hatte, kehrte er strahlend nach Hause zurück. Die Mutter führte ein strenges Hausregiment. Sie duldete die bäuerliche Herkunft ihres im Polizeidienst stehenden Ehemannes, lebte aber ausschließlich das Leben einer Städterin, mit Nachbarinnen, der Bequemlichkeit der Einkaufsläden, dem täglichen Schwatz auf dem Marktplatz und der Sonntagspredigt des Pfarrers. Ihre Weltanschauung war zwischen der Kirchenkanzel und dem Sofakissen auf dem Fensterbrett angesiedelt.
So ein Fensterkissen ist schon eine praktische Angelegenheit. Man kann sich darauf stützen, ohne den Bauch einzudrücken, dabei stundenlang die Straße im Auge behalten und ohne alle Heimlichkeit die Nachbarn beobachten. Dieses Sofakissen scheint mir eine Antwort der deutschen Frau auf ihre traditionelle Sklavinnenrolle in der ehelichen Gemeinschaft zu sein. Das Kissen macht es möglich, sich mit dem Unterleib innerhalb der Wohnung aufzuhalten, mit dem Auge, dem Ohr und manchmal auch mit dem Mundwerk