Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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der Geschichte«, der schreckliche Zynismus wurde wohl eher zur göttlichen Rache der Wahrheit an der Verlogenheit, der Tugend an der Sünde, des Rechts am Verbrechen: Denn alles, was in der Vorstellung seiner Peiniger Moczarski entehren und vernichten sollte, erwies sich dank seines ungebrochenen Geistes als ein großer Enthüllungsprozess.

      Moczarski war nicht in der Lage, die unmenschliche Denkweise der Männer, die ihn folterten, völlig zu erfassen. Kehrte er jedoch von den Verhören in die Zelle zurück, lagen wochen- und monatelange Gespräche mit einem Vertreter der gleichen Denkungsart vor ihm. Stroop erwies sich als das »Alter Ego« jener namenlosen, in undurchsichtiger Anonymität verharrenden Funktionäre und Handlanger der stalinistischen Diktatur, die manchmal in den Büchern Solschenizyns auftauchen. Denn sie unterschieden sich in nichts voneinander ...

      Man könnte einwenden, dass es viele solcher Gestalten in unserer modernen Literatur gibt. Diese Ansicht ist falsch. Denn noch niemand hat sich je in einer ähnlichen Lage befunden. Sie schuf dieses in der Geschichte des Schrifttums wohl einmalige Buch.

      Jene zwei Männer haben in der Zelle nicht nur miteinander geredet. Beide hofften auf Leben. Aber beide fürchteten, wussten, dass sie bald sterben würden. Jedes Wort von Stroop wurde zugleich zu einer Art Beichte, abgelegt von einem Mann, dem nur gelegentlich Ahnungen, Eingeständnisse von Schuld kamen, der aber eben darum sein Inneres offenlegte, so bedingungslos wie noch nie in seinem Leben. Das Bewusstsein, einem gemeinsamen Schicksal ausgeliefert zu sein, verstärkte die Offenheit seiner Bekenntnisse.

      Der Zufall wollte es, dass Moczarski dem Tod durch den Strang entging. Hätte Stalin noch ein wenig länger gelebt, hätte sich nicht der Teufel im März 1953 seiner erinnert – dieses Buch wäre nie geschrieben worden.

      Moczarski empfand für den SS-General keinerlei Sympathie. Für die ältere Generation unter uns, die die Kriegszeiten noch lebhaft in Erinnerung hat, klingt das selbstverständlich, alles andere schiene absurd, unbegreiflich.

      Und doch ist alles nicht so einfach. 255 Tage und Nächte verbrachte Moczarski mit diesem Mann in einer Zelle, während beide mit dem Tod rechnen mussten. Wer so etwas nicht mitgemacht hat, weiß nichts von der gefühlsmäßigen Spannung einer solchen Situation.

      XI.

      Als die Zeitschrift »Odra« die »Gespräche mit dem Henker« veröffentlichte, wurde Moczarski von vielen gefragt, wie es möglich sei, dass er nach fast 25 Jahren die Gespräche so genau wiedergeben könne? Viele unterstellten dem Verfasser eine Neigung zum Fantasieren, zu unangemessener Rekonstruktion. Dieser Verdacht ist im Licht der Einzelheiten, die mir Moczarski erzählte, völlig unbegründet. Der Autor übertrug mir die moralische Pflicht, diese Frage richtigzustellen. Denn er selbst war nicht fähig, entsprechende Erklärungen abzugeben, was wohl nicht verwunderlich ist.

      Moczarski unterstrich häufig, dass er zu jener Zeit kein gewöhnlicher Mensch gewesen sei. »Vielleicht war ich eher ein Tier«, meinte er. Ich bin da anderer Ansicht: Er war damals ein Stück über das gewöhnliche Menschsein hinausgewachsen.

      Ein Mensch, der jahrelang auf seinen Tod wartet, lebt in anderen Dimensionen von Zeit und Raum. Um zu überleben und in seiner Dimension existieren zu können, schafft sich ein Eingeschlossener und Verurteilter eine andere Wirklichkeit. Wir kennen Ähnliches aus den Erzählungen vieler Häftlinge. Damit aber diese neue Wirklichkeit unabhängig von den Realitäten funktionieren konnte, bedurfte es einer großen inneren Stärke, über die sich der Gefangene wahrscheinlich überhaupt keine Rechenschaft gab.

      Moczarski erkannte die sich der Zelle nähernden Aufseher an ihrem Geruch. Er hörte das Flüstern der Vernehmungsoffiziere, die sich bei geschlossenen Türen in einem Nebenzimmer unterhielten. Während seiner Berufungsverhandlung setzte er die Anwesenden in Erstaunen, als er auswendig Auszüge aus Akten zitierte, die fast tausend Seiten umfassten und die er nur einige Stunden im Gefängnis einsehen durfte. Er hatte sich viele, in die Hundert gehende Seiten eingeprägt. Natürlich büßte er in den folgenden Jahren diese erschreckende Begabung ein; seine Sinne, die nun nicht mehr einer Bewährung auf Leben und Tod ausgesetzt waren, kehrten zu ihrer normalen Trägheit zurück. In den »Gesprächen mit dem Henker« hat er nichts erfunden. Jedes Wort von Stroop, jede seiner Gesten, jeden Blick trug er behutsam in sich wie einen Schatz. Und auch das nach der Erinnerung Rekonstruierte, auch das später Verifizierte ist und hat die historische Wahrhaftigkeit des zuverlässigen Zeugen, der um objektive Wiedergabe bemüht ist.

      Eines Tages sagte er mir ein wenig betroffen: »In mir steckt wohl irgendeine Krankheit. Jeden Satz von Stroop höre ich so deutlich, sogar die Betonung, als würde ich das alles vom Tonband abschreiben. Und ich sehe ihn vor mir, jede seiner Bewegungen, seinen Ausdruck, das Verziehen der Lippen, wie auf einer Filmleinwand ...«Ich glaubte ihm. Und ich bitte den Leser, ihm ebenfalls zu glauben. Dabei ist sein Buch weder eine historische Monografie noch ein Tatsachenroman. Es ist keine archivalische Dokumentation, sondern Dokument, historisch wahrhaftig auch dort, wo es in Details irrt und dort wo es Irrtümer der »handelnden Personen« wiedergibt oder wo sich im Nachhinein Perspektiven des Erlebten mit dem »Verarbeiteten« verbinden.

      XII.

      Mein deutscher Freund aus Sachsenhausen, der bereits erwähnte Osske, wiederholte häufig während unserer heimlichen Gespräche auf der Lagerlatrine, dass er mich um meine moralische Sicherheit und Unbefangenheit beneide. Denn ich sei ein Pole, der unter den Deutschen zu leiden habe, während seine eigenen Qualen um vieles größer seien – einmal als KZ-Häftling, zum anderen wegen der erniedrigenden Erfahrung, dass die Deutschen so tief gefallen waren. Er litt, weil seine Landsleute auf so furchtbare Weise die Ideale des Humanismus verraten hatten. Das Gebrüll und jeder Faustschlag eines SS-Mannes demütigten Osske als Deutschen und beleidigten sein Nationalbewusstsein. Damals, im Jahre 1945, war ich überzeugt, dass er Recht hatte, und Osske tat mir leid. Heute entdecke ich in seiner Haltung etwas Zweideutiges, das zwar durch die ehrliche Absicht moralisch gerechtfertigt, aber schwer zu akzeptieren war. Dieser kluge Mann dachte in Schablonen, die mir inzwischen fremd geworden sind. In Osske steckte trotz allem das Gefühl einer gewissen Gemeinsamkeit mit diesen Männern in SS-Uniform, die ihn jahrelang in den Gefängnissen und KZ-Lagern des Dritten Reiches misshandelt hatten. Osske fühlte sich als Deutscher, und dieses Deutschtum verband ihn auf eine verhängnisvolle Weise mit den Nazis.

      Ich empfinde keinerlei Solidarität mit einem Schweinehund, nur weil er polnisch spricht, einen polnischen Namen trägt und sich für einen Polen hält. Ein anständiger Deutscher, Russe oder Engländer steht mir näher als ein Lump, der nur deshalb mein Bruder sein soll, weil er in meinem Land geboren wurde und meine Sprache spricht.

      Diese Einsicht verdanke ich vor allem meiner Freundschaft mit Moczarski. Probleme, die Osske beschäftigt haben, kannte er nicht. Niemals litt er einzig aus dem Grund, weil es Polen waren, die ihm die größten Leiden zufügten. Er behandelte sie so, wie sie es verdienten, und er hielt sie für Kreaturen, die aus den finstersten Schlupfwinkeln dieser Erde hervorgekrochen waren.

      Ein Pole zu sein war für ihn nicht gleichbedeutend mit Muttersprache, und schon gar nicht mit nationalistischem Phrasendreschen. Unter Polentum verstand er die Kulturtradition seines Volkes, das so viel gelitten hatte, um seine Eigenständigkeit zu bewahren.

      XIII.

      In jenem Frühling 1956, als Moczarski nach fast elf Jahren das Gefängnis verließ und über Osteuropa der milde Hauch des nachstalinistischen »Tauwetters« wehte, hatte der Rechenschaftsbericht Chruschtschows eine Lawine von Ereignissen in Bewegung gesetzt. Polen reckte vorsichtig seine schmerzenden Glieder, die Menschen lösten sich allmählich aus den Fesseln der Angst, die Presse schrieb vom Unrechtsregime der vergangenen Jahre. Sogar zu jener Zeit war es kein leichtes Unterfangen, als die Warschauer Rechtsanwälte Władysław Winawer und Frau Aniela Steinsberg, zwei mutige und hochanständige Menschen, den Kampf um die Rehabilitierung Kazimierz Moczarskis aufnahmen.

      Aber die öffentliche Meinung erhob, zaghaft zuerst, dann immer lauter, ihre Stimme im Namen der jahrelang unterdrückten Gerechtigkeit. Tausende von Verschleppten kehrten aus den Lagern im Norden der Sowjetunion zurück, wurden aus den


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