Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski
zuzuhören. Denn ich spürte noch den Brandgeruch meiner im Jahre 1943 bezwungenen und zerstörten Stadt.
Und ich begleitete ihn auch während des Fememordes an Generalfeldmarschall von Kluge im Jahre 1944 und war bei der Liquidierung der in Kriegsgefangenschaft geratenen amerikanischen Flieger im westlichen Rheinland dabei.
Wir sprachen über viele Dinge, vor allem in den letzten Wochen unseres gemeinsamen Zellenaufenthaltes. Stroop war kein Schwätzer, aber er neigte dazu, viel von sich zu reden und sich selbst zu loben. Es waren die typischen Gewohnheiten eines Amtsträgers, die sich da bemerkbar machten. Er genoss es, ein Publikum zu haben. Jetzt waren Schielke und ich seine einzigen Zuhörer. Dieser Umstand erlaubte es mir, viele glaubwürdige, wenn auch nur mündlich weitergegebene Einzelheiten zu erfahren.
Stroop beschrieb sein Leben nicht chronologisch. Manchmal diskutierten wir stundenlang über ein einziges Problem. Ein andermal sprangen wir von Thema zu Thema. Ich bemühte mich, aus all diesen Gesprächen ein möglichst systematisch gegliedertes Buch zusammenzustellen. Gustav Schielke beurteilte manche Tatsachen und Ereignisse anders als Stroop. Er war psychisch geradliniger. In ihm waren noch Reste eines sozialdemokratischen Bewusstseins lebendig, Erinnerungen an die Bindung an Gewerkschafts- und Arbeiterkreise in seiner Jugend. Die von Schielke meist spontan, kaum bewusst geäußerten Überzeugungen bildeten einen Gegensatz zu Stroops Einseitigkeit. Sie waren auch eine Art Kontrollorgan und eine Ergänzung der Bekenntnisse Stroops. Anfangs war unser Verhältnis in der Zelle von Vorsicht und leiser Verwunderung geprägt, die sich aus der Ungewöhnlichkeit der Situation ergaben; später folgte ein diplomatisches Vorgehen und das Reden »zwischen den Zeilen« und schließlich das offene Artikulieren von Meinungen und Informationen.
Waren es ehrliche Gespräche? In den meisten Fallen gewiss, besonders als wir uns schon besser kannten. Angesichts des Unabwendbaren werden die Bekenntnisse von Todgeweihten ehrlich und einfach. Aber es war eine passive Offenheit, die darauf beruhte, alles zu vermeiden, was zufällig zum »Verzinken« des Mitgefangenen führen konnte. Außerdem herrschte in der Zelle das ungeschriebene Gesetz, grundsätzlich alle besonders kritischen Themen zu meiden oder sie zumindest behutsam zu behandeln.
Meinen Lesern gegenüber muss ich betonen, dass ich mich stets um größte Ehrlichkeit bemühte, um dadurch die volle Wahrheit über Stroop und sein Leben zu erfahren. Der Schock des Augenblicks, als ich mich plötzlich den zwei Nazis gegenüberfand, war rasch dem Entschluss gewichen: Wenn ich schon mit Kriegsverbrechern Zusammenleben muss, dann will ich sie genau kennenlernen, will versuchen, ihr Leben und ihre Persönlichkeit bis zur letzten Faser aufzudecken. Sollte mir das gelingen, so wäre ich in der Lage, wenigstens bis zu einem gewissen Grade mir selbst die Frage zu beantworten, welcher historische, psychologische und soziologische Mechanismus einen Teil der Deutschen zu Massenmördern werden ließ, die das Dritte Reich beherrschten und ihre »Neue Ordnung« in Europa und in der Welt einzuführen gedachten.
Ich befand mich also während meines fast neun Monate dauernden Aufenthaltes in Stroops Zelle Auge in Auge mit einem Massenmörder. Unsere Beziehungen verliefen im Rahmen einer eigentümlichen Loyalität. Obwohl es mir anfangs schwerfiel, bemühte ich mich, in Stroop nur den Menschen zu sehen. Er hatte meine Haltung begriffen, obwohl ich immer wieder meine Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber der Ideologie, der er diente, und den Handlungen, die er begangen hatte, nachdrücklich unterstrich. Stroop seinerseits versuchte nicht, einen Freund der Polen zu mimen und seine eigenen Taten zu verurteilen.
Diese gemeinsam verbrachte Zeit wurde zum Impuls und lieferte das Quellenmaterial für dieses Buch. Das Bild, das ich hier zeichne, ist gewiss nicht vollständig. Und es ist nicht frei von meinen eigenen Kommentaren, obwohl ich versucht habe, sie zu vermeiden.
Gebe ich den Sinn der Worte und der Verhaltensweisen von Stroop und Schielke wahrheitsgetreu wieder? Ich glaube schon. Umso mehr, als ich mir kurz nach Verlassen des Gefängnisses Aufzeichnungen gemacht habe und einige Aussagen Stroops in den Archiven und den mir zugänglichen historischen Dokumenten überprüfte. Nirgends fand ich einen Hinweis, dass Stroop in unseren Gesprächen die Unwahrheit gesagt oder Schönfärberei betrieben hätte.
Bestimmte Teile der »Gespräche mit dem Henker« könnten zu Missverständnissen führen. Sollte dies der Fall sein, so ließen sie sich meiner Meinung nach nur damit erklären, dass es dem Leser unmöglich ist, seine Erfahrungen und seinen Wissensstand mit den hier beschriebenen Tatsachen gleichzusetzen; oder mit meiner subjektiven Unfähigkeit, diesen Bericht niederzuschreiben. Ich betone: Bericht; denn im Falle dieses Buches scheint mir jegliche literarische Fiktion unpassend.
Noch eine Anmerkung zu den Dialogen, die in einigen Kapiteln der »Gespräche mit dem Henker« vorkommen. Möglich, dass es zu viele sind. Aber mein 2556 Tage währendes Leben in dem Dreieck »Stroop, Schielke und ich« (nur für kurze Zeit war ein vierter Mitgefangener dabei) setzte sich aus Dialogen zusammen, jener Grundform sprachlicher Kontakte in kleinen Zellen. Warum sollte ich mich dieser Form nicht bedienen, da es um die Wahrheit geht?
II. Kapitel
Zu Füssen von Bismarcks Cherusker
Der SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Stroop, bekannt als Jürgen, trug bis zu seinem 46. Lebensjahr den Vornamen Joseph1, den er gemäß der Familientradition von seiner Mutter Katharina, geb. Welther, und dem Vater Konrad Stroop, einem Polizeichef im Fürstentum Lippe-Detmold, erhalten hatte. Josephs Eltern waren katholisch. Der Vater trug sein Glaubensbekenntnis kaum zur Schau, die Mutter dagegen war eine bigotte Frömmlerin, wie aus den Erzählungen Stroops in der Zelle hervorging.
Im Gefängnis von Mokotów trafen in den Jahren 1947–1953 in steiler gotischer Schrift geschriebene Briefe ein, in denen die Witwe Käthe Stroop ihrem Sohn Bibelsprüche schickte, obwohl er zum Abtrünnigen geworden war. (Zum Offizier der Waffen-SS befördert, brach er mit der römisch-katholischen Kirche und nannte sich »gottgläubig«.) Ich nehme an, dass seine Mutter die Sünden, für die der Sohn zuerst in Landsberg2 und später in Polen im Gefängnis saß, nicht für Verbrechen hielt. So viel zumindest ging aus den Briefen hervor, die Stroop mir zu lesen gab.
Man könnte meinen, dass ein Polizeichef im Fürstentum Lippe-Detmold zur Elite der Regierenden zählte und in seinem Beruf hoch angesehen war. In Wahrheit bekleidete Konrad Stroop den Rang eines Polizeioberwachtmeisters und befehligte kaum fünf Polizisten. Diese Tatsache bestimmte sein berufliches Niveau und seine gesellschaftliche Stellung.
Das Fürstentum zählte vor dem Ersten Weltkrieg etwa 150000 Einwohner, stellte aber bis 1918 ein kleines, selbstständiges Staatsgebilde innerhalb des Kaiserreiches dar. Trotz umfangreicher dynastischer Traditionen und Verschwägerungen war der Fürst von Lippe-Detmold kein bedeutender Herrscher. Und sein Polizeichef war in Wirklichkeit nur Leiter einer Polizeiwache. Allerdings brauchten da auch nicht allzu viele Ordnungshüter beschäftigt zu werden. Geruhsame Zeiten, Heimatverbundenheit, überkommene Sitten und das Fehlen einer modernen Wirtschaftsstruktur führten – strafrechtlich gesehen – zu einem gediegenen moralischen Lebenswandel. In den Städten und Dörfern kannte jeder jeden, so dass die Angst vor der öffentlichen Meinung die Bereitschaft zu einem Verbrechen von vornherein lähmen konnte. Die aktiveren Elemente und Abenteurer wanderten in der Regel in das nahe Rheinland und nach Westfalen aus, wo sich die Industrie unaufhaltsam entwickelte.
Oberwachtmeister Konrad Stroop, der einer westfälischen Bauernfamilie entstammte, wohnte in der Mühlenstraße, fast im Zentrum des damals 11000 Einwohner zählenden Städtchens Detmold. Als ehemaliger Soldat war er gedrillt im Gehorsam gegenüber Gott, dem fernen Kaiser und dem Fürsten, seinem nahen Arbeitgeber. Ein Leben lang ein treuer Untergebener.
In seiner Jugend hatte er sich wohl manchmal aufgelehnt – nicht als Proletarier, sondern als Bauer. Von Zeit zu Zeit regten ihn die hochfahrenden Aristokraten auf, aber er verstand ihren Herrschaftsanspruch über Grund und Boden, denn in seinen geheimsten Träumen sah sich Oberwachtmeister Konrad Stroop als Besitzer eines Bauernhofes, wie mir sein Sohn in der Zelle erzählte.
Ich nehme an, dass am 26. September 1895, als sein Sohn Joseph in jener Mühlenstraße geboren wurde, seine Frau Käthe unter dem Federbett hervor zu ihrem Mann sagte:
»Wir beide gehören zwar noch nicht