Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski
formte die Seelen des »Herrenvolkes«, war ein Symbol Germaniens, Erinnerung und – wie Stroop sich ausdrückte – Mahnung für die Deutschen.
Mit dem Bau des Denkmals wurde im Jahre 1838 auf dem Hügel der Groteburg bei Detmold begonnen. Der Entwurf stammte von Ernst von Bandel, der wie Millionen Deutsche von der pangermanischen Idee durchdrungen war.
Bis zum Beginn des Krieges zwischen Preußen und Frankreich kam der Denkmalsbau nur schleppend voran. Bis dahin hatte man lediglich den 28 Meter hohen Sockel errichtet. Erst der Sieg Bismarcks über Frankreich und das Gold, das aus den Wiedergutmachungszahlungen der Franzosen floss, gestattete einen beschleunigten Weiterbau. Der Reichstag bewilligte 10000 Taler, Kaiser Wilhelm I. steuerte 9000 bei, auch der Eiserne Kanzler stellte einen Teil seiner Siegesprämien für die Niederschlagung Frankreichs zur Verfügung. Alle Fürsten, Grafen, Freiherren, Generale, alle Landjunker, Gutsbesitzer, Industrielle, Bankiers, Kaufleute und Bauern steuerten ihr Scherflein bei. Sie unterstützten mit Vorliebe Unternehmungen, die den deutschen Nationalismus stärkten. Besonders jetzt, da der Mythos Preußens, welches die Deutschen zum Sieg geführt und auch gezeigt hatte, wie dieser Sieg verwirklicht werden konnte, zum Symbol für eine treu preußische, alldeutsche und pangermanische Haltung geworden war.
Die Gestalt Hermann des Cheruskers (26 Meter hoch) wurde eilig aus Kupferblech gehämmert und auf den fertigen Sockel gehoben, und im Jahre 1875 wurde das 14-stöckige Denkmal höchst feierlich enthüllt. Kaiser Wilhelm I. war in Begleitung von Königen und deutschen Fürsten erschienen. Die Stadt lebte in einem nationalistischen Taumel, was ihr übrigens nicht schwerfiel.
Der riesige Hermann der Cherusker, mit einem sieben Meter langen, gen Himmel gereckten Schwert, fand seinen Standort auf der Teutoburger Anhöhe dank einer Initiative Detmolds, auf Wunsch der deutschen Führung und mit Hilfe des Goldes, das den Franzosen abgenommen worden war.
Der Cherusker fand sich auch in den Kontenbüchern des Fürsten zu Lippe wieder, der seine feudal-herrschaftliche Position mit den neuen Errungenschaften des Industrie- und Handelskapitalismus zu verbinden trachtete. Der Fürst war gewiss der Meinung, dass »die Macht des Geldes hundertfach größer ist als die des Schwertes ... von Hermann dem Cherusker«, um ein altes chinesisches Sprichwort leicht abzuwandeln – und er sorgte dafür, dass die Pfennigbeträge für die Denkmalsbesichtigung in seine Kassen flossen, wie Stroop mir in der Zelle berichtete. Das Denkmal selbst war schlau konstruiert. Um unmittelbar vor der Gestalt des Arminius zu stehen, musste der patriotische Pilger über Treppen, die durch das Innere des Baus führen, eine Terrasse betreten, von der sich ein weiter Ausblick auf urdeutsches Land bot. Für den Zutritt zu den Knien des Cherusker-Herzogs musste ein Beitrag an den amtierenden Fürsten zu Lippe entrichtet werden. Diese mühelos erworbenen Einnahmen konnte Stroop seinem Herrn nicht verzeihen.
»Sagen Sie doch selbst, Herr Moczarski, ist es patriotisch, Geld von jenen zu verlangen, die zum Denkmal des großen Germanen gepilgert waren, um ihr Nationalgefühl zu stärken?«
»Eine solche architektonische Konstruktion des Denkmals«, bemerkte ich, »erfordert Aufsicht und Pflege. Der Fürst war für das Denkmal verantwortlich, also musste er Abgaben für die Instandhaltung einziehen.« »Er bezahlte nicht nur die Renovierungskosten, sondern verdiente jahrelang an dem Denkmal. Ich weiß das von meinem Vater.«
Kehren wir noch einmal zum Geld der Franzosen zurück, mit dem das Cherusker-Denkmal erbaut wurde. Denn bereits zum zweiten Mal machten sich die Bürger von Lippe Gold aus Frankreich zunutze, das ihnen die Kriegskonjunktur beschert hatte.
Schon 1759 machten sie im Detmolder Schloss klingende Kriegsbeute, die auf eine Million Gulden geschätzt wurde. Es war das Vermögen größerer französischer Militäreinheiten, deren Generäle nach der Schlacht von Minden im Schloss von Detmold Schutz gesucht hatten, bevor man sie dort wieder hinauswarf.
Ich bin Journalist und kein Historiker. Daher kann ich mir die sehr wahrscheinliche Annahme gestatten, dass diese Million den Herrscher von Lippe und seine Armee (ein Bataillon!) so faszinierte, dass das im Siebenjährigen Krieg bis dahin neutrale Heer alle seine Neutralität vergaß und, als der Feind geschwächt war, das Schloss mitsamt den Gulden in seine Gewalt brachte.
In dieser Überzeugung bestärkt mich der Direktor des Archivs von Detmold, Dr. Erich Kittel, der in einem historischen Abriss der Stadt schreibt, dass nicht das Vermögen des französischen Heeres, sondern ein umfangreicher Generalstross im Wert von einer Million Gulden von »den mit den Preußen vereinten Einheiten« erobert wurde. Um welche »Einheiten« mag es dem Archivar aus Detmold wohl gehen, wenn er vergisst, ihre Nationalität zu erwähnen? Doch wohl um die an Ort und Stelle ansässigen, geldhungrigen Krieger von Lippe und ihren obersten Chef und Fürsten? Sie waren kampflos zu Geld gekommen! Man kann die Geschicklichkeit derer von Lippe-Detmold sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten nur bewundern.
Ihre Schlauheit und ihre Wirklichkeitsnähe imponierten Stroop ungemein.
Joseph Stroop gehörte nicht zu den begabten Schülern, obwohl die Mutter, die in ihm gern die Verwirklichung ihrer Träume gesehen hätte, die Ansicht verbreitete, er sei ein gescheiter und begabter Junge. Er war gründlich, fleißig, pedantisch sauber, immer glatt gekämmt und hatte eine schöne Handschrift, obwohl man ihm das Alphabet erst spät beigebracht hatte. Mit Vorliebe zeichnete und malte er Parolen, Eichenlaubgirlanden und Waffen. Ich merkte schnell, dass er die deutsche Literatur überhaupt nicht kannte, nicht einmal das, was man in der Schule mitbekommt. Für banale Schrifterzeugnisse empfänglich, verachtete er seine Altersgenossen, die intellektuelle Begabung oder Interesse für humanistisches Gedankengut verrieten. (»Bücherwürmer und Talmudisten« nannte er sie in unseren Zellengesprächen.) Er schwärmte für körperliche Kraft, Pferde- und Sattelgeruch. Uniformen und militärische Rüstungen zogen ihn unwiderstehlich an, dazu Auszeichnungen, Orden, Rangabzeichen und äußerer Drill.
Moralischer und körperlicher Mut dagegen gehörten nicht unbedingt zu seinen Vorzügen. Wir unterhielten uns einmal in der Zelle über Angst, Furcht und Grauen. Schielke hatte man gerade zur Gefängnisverwaltung gerufen. Stroop schien gelockerter und irgendwie ehrlicher als sonst. Er sprach von seinen Flegeljahren und erzählte, wie er vor Angst geschwitzt hatte, als er mit einigen Jungen über die aus dem Wasser ragenden Steine eines Gebirgsflusses springen sollte. Und als er von seinen Schulerlebnissen sprach, erwähnte er, dass es ihm unmöglich gewesen sei, dem Befehl eines Lehrers (eines ehemaligen Offiziers) zu widersprechen, der von ihm den Namen eines Schulfreundes verlangte, welcher dem Lehrer einen Streich gespielt hatte. Stroop verriet den Kameraden. Der Übeltäter wurde daraufhin ziemlich streng bestraft. Den Äußerungen Stroops konnte man entnehmen, dass er es grundsätzlich für falsch hielt, sich gegen einen Vorgesetzten aufzulehnen. Vor allem, so schien mir, fürchtete er sich vor dem Lehrer-Feldwebel. Seinen Schullehrern war er übermäßig ergeben. Das führte zu Schwierigkeiten mit einem kleinen Teil seiner Schulkameraden.
Die Mutter kannte ganz Detmold. Noch bevor sie den Oberwachtmeister Konrad heiratete, war sie häufig dem Fürsten begegnet, der mit vielen Bewohnern seines Fürstentums, den Beamten und deren Familien, unmittelbaren Kontakt pflegte. Der Fürst mochte Käthe Stroop, die loyal, ansehnlich und hübsch war. Ihr Aussehen hatte sie offensichtlich auf ihren Sohn vererbt. Obgleich er feingliedrig war, wirkte der Junge sehr männlich. Schon als Kind und später als junger Mann überragte er seine Altersgenossen um Haupteslänge. Er war 1,82 cm groß.
Die Volksschule besuchte er in Detmold, anschließend begann er am 1. April 1910 in der Steuerabteilung des Katasteramtes zu arbeiten.
In seinem Lebenslauf als SS-Mann schreibt Stroop, er sei zu jener Zeit »Katasteramtsanwärter« bei der lippischen Regierung gewesen. Das klingt vergleichsweise wie »junger Beamter beim Präsidium des Ministerrates«. Stroop hatte eine Vorliebe für leitende Stellen, und in Detmold war die Mehrzahl der Ämter »leitend«, natürlich im Maßstab dieses Mini-Staates.
Da Stroop in seinen Personalakten, in polnischen und amerikanischen Untersuchungsprotokollen sowie in den Gerichtsunterlagen und verschiedenen Publikationen als Mann mit höherer Schulbildung geführt wird, wollen wir hier auf Grund der Gespräche mit Stroop und der vorhandenen schriftlichen Beweise festhalten, dass Joseph (Jürgen) Stroop keine höhere Bildung besaß. Er begann nämlich unmittelbar nach seiner Schulentlassung im Katasteramt zu arbeiten,