Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski
»Als mir diese Auszeichnung feierlich überreicht wurde, glaubte ich, im germanischen Himmel zu sein!«, schwärmte Stroop in der Zelle.
Stroop ist ein pflichtbewusster Unteroffizier. Das Kasernenleben, die Vorschriften des Stubendienstes, das Hocken über dem Papierkram der Kompanie und des Regiments sagen ihm zu. Er wird mit Schreibarbeiten beschäftigt und kann sich keine bessere »Schule des Lebens« vorstellen als den preußischen Drill. Neidisch schielt er auf jedes Offiziersmonokel. Die Befehle liest er seinen Vorgesetzten von den Lippen ab. Brutales Zusammenstauchen und Anschnauzer gibt er mit eigenem »Kommentar« an die Soldaten weiter. Unter seinen Untergebenen hat er besondere Lieblinge, solche, die sich über die strenge Behandlung nie beklagen und es verstehen, gutes Essen zu organisieren.
Mit seiner Kompanie wird er nach Brzezany verlegt und in einem kleinen polnischen Haus einquartiert. Es geht ihm nicht schlecht, denn er kann ein geregeltes Leben führen, und auch die Offiziere setzen ihm weniger zu. Die Soldaten, die vorher durch häufige Verlegungen und die Nähe der Front immer wieder aus ihrem gleichförmigen Tagesablauf aufgestört worden waren, kehren zum normalen Kommissalltag zurück. Und sie haben reichlich zu essen.
Stroop setzt etwas Fett an. Ab und zu spaziert er über die Promenierstraße von Brzezany, wo ihm die Ortsjugend begegnet. Genau wie in Detmold.
Ein Mädchen fällt ihm auf. Er folgt ihm wie ein Kundschafter. Die Kleine wohnt unweit seines Quartiers. »Ich wusste nicht«, vertraut er mir in der Zelle an, »dass sie eine Verwandte unserer Wirtsleute war und sie manchmal zu besuchen pflegte. Wir haben uns später kennengelernt. Sie war ein hübsches Mädchen, und so ...« »Lieb?«, forsche ich, als ich merke, dass seine Stimme überraschend weich klingt.
»Ja. Wir gingen spazieren. Die Sonne schien und ein silberner Mond, das Land war schön ...«
»Na und?«
»Na, wir gingen so miteinander. Unterhielten uns. Ich habe sie niemals auf den Mund geküsst. Nur einmal auf die Nase, glauben Sie mir«, schwärmte er verträumt. »Sie war ein gutes Mädchen, sie wusste so viel und war so gebildet und so fraulich, diese Lona C. Ich hatte vor, wenn sie gewollt hätte, sie zu heiraten und vielleicht für immer in Polen zu bleiben. Ich schrieb ihr aus Rumänien, aus Ungarn und sogar aus Detmold. Noch im Jahr 1922 habe ich mit ihr korrespondiert.«
»Warum haben Sie Lona nicht geheiratet?«
»Ich wollte es. Aber meine Eltern in Detmold und meine Freunde rieten mir ab, sie sprachen vom Unterschied der Kulturen. Und ich habe richtig gehandelt, als ich auf diese Ehe verzichtete.«
»Deshalb, weil Lona aus, wie ihr sagt, ›unteren Schichten‹ entstammte?«
»Ich muss zugeben – ja. Hätte ich eine Polin, eine Französin oder eine Amerikanerin geheiratet, wäre ich nie in die SS aufgenommen worden, und meine Kinder wären Mischlinge.«
Mehrmals noch erwähnte Stroop Lona C., wahrscheinlich die große Liebe seines Lebens. Im Mokotówer Gefängnis versuchte ich, mir diese Lona vorzustellen. Sicherlich war sie mädchenhaft – naiv, zart und sozusagen von innen leuchtend. Vielleicht idealisierte ich sie ein wenig, aber jeder hat das Recht zum Träumen, wenn er sich dabei wohlfühlt. Vor allem im Gefängnis.
Stroop kehrte häufig zu seinen Erlebnissen während des Ersten Weltkrieges zurück. Er war beeindruckt von den Wäldern und Sümpfen Polesiens, das er als einen Naturschutzpark Europas ansah. Besonders interessierten ihn die Wisente, Elche, Wildkatzen und die weißrussisch-polesischen Bauernpferde. Er gab ihnen eine hohe Wertnote.
»Solche Pferdchen sind sehr genügsam und dabei ungeheuer ausdauernd und kräftig«, pflegte er zu sagen. Er nannte sie »Panje-Pferde«. Häufig unterstrich er die Armut der Einwohner Polesiens bei allen sichtbaren wirtschaftlichen Vorzügen dieses Gebietes. Er konnte die Ursachen für den technisch-zivilisatorischen Rückstand der Bevölkerung nicht begreifen und meinte: »Diese Einheimischen, das sind Wilde.« Stroop glaubte, sie seien die geborenen Sklaven und könnten nur unter deutscher Verwaltung glücklich werden. Dagegen war er begeistert vom Reichtum der Ukraine mit ihren Rohstoffen, der fruchtbaren, schwarzen Erde und der körperlichen Kraft und Geschicklichkeit der ukrainischen Frauen.
Von Galizien wurde die Einheit Stroops in die rumänischen Karpaten verlegt. Er beschrieb uns in allen Einzelheiten den Frontverlauf auf den schneebedeckten Bergkuppen, die beschwerlichen Transport- und Versorgungsbedingungen, die Frontlinie, die Verschiebungen an den einzelnen Abschnitten und die weiter im Hinterland gelegene Etappe: die Kantinen, die Art der Verpflegung, das Meldewesen und das Heimweh nach Detmold. Er war oft »unrasiert und fern der Heimat«; das deutsche Heer sang schon damals diesen Satz nach der Melodie »Wolga, Wolga«. In der Zelle summte Gustav Schielke oft seine deutsche »Wolga«, besonders wenn er gut gelaunt war. Er machte sich dann über sich selbst und uns lustig, manchmal kicherte er gutmütig und spuckte durch seine Zahnlücken.
Dort, in den Karpaten, sehnte sich Stroop oft nach Lona C., seiner »kleinen Heiligen aus Brzezany«. Gleichzeitig beobachtete er interessiert die karpatisch-rumänischen Bergbäuerinnen, die »schmutzig und wild waren, aber die schönsten Brüste unter der Sonne hatten«, wie er sich ausdrückte.
Einmal, nach dem Mittagessen, begann er mit einer vertraulichmännlichen Beichte:
»Die rumänischen Bäuerinnen verkauften uns immer Milch. Es war Winter und sehr kalt. Aber die Milch war immer lauwarm, weil sie die Flaschen unmittelbar zwischen ihren Brüsten trugen, nur mit einer vorn geschlitzten Bluse bedeckt, darauf den Schafpelz. Man konnte die Brüste sehen. Sie machten sich nichts daraus. Uns brachte die Milch eine verheiratete junge Frau.«
»War sie älter als Sie?«
»Ja. So etwa acht Jahre, aber sie war nicht so mager wie die anderen Frauen. Und sie schaute mich herausfordernd an.«
»Wahrscheinlich spürte sie das Männchen in Ihnen?«
Stroop wurde verlegen: »Aber damals wusste ich doch noch gar nicht, was zwischen einem Mann und einer Frau passiert.«
Plötzlich sprudelte er heraus:
»Hören Sie, es war so um Weihnachten herum. Wir verließen gemeinsam unser Quartier. Es war bitterkalt, dazu der Mond, Sterne. Ich drückte sie an mich und wir gingen los. Zwei Stunden später verließ ich die Almhütte als vollwertiger Mann.«
»Haben Sie die Frau anschließend zu ihrem Haus begleitet und dabei von Zeit zu Zeit an den Zaun gelehnt?« fragte ich.
»Die Rumänin? Aber woher denn! Nein. Ich habe sie nicht nach Hause begleitet.«
An jenem Tag sprachen wir nicht mehr miteinander.
Einmal erwähnte Stroop flüchtig, dass er zum zweiten Mal verwundet wurde.
Wahrscheinlich ging es dabei um einen unbedeutenden Kratzer. Aber vielleicht irre ich mich. Er erzählte auch von Bukarest, wohin er 1918 zu einem viermonatigen topografischen Lehrgang an die Vermessungsschule abkommandiert wurde. Von da an zählte er sich zu der Sparte der »diplomierten Topografen«.
Stroop führte in Rumänien das Leben eines Etappenunteroffiziers zwischen Kompanie, Küche, Exerzieren, Requirierungen, dem Unteroffizierskasino und der Kneipe. Aber im September 1916 erhielt er eine Auszeichnung: das »Fürstlich lippische Verdienstkreuz«.
»Der Blechladen vergrößerte sich auf der Brust des Generals«, bemerkte Schielke, der während des Ersten Weltkrieges vorwiegend mit dem Schleppen von Balken in einer Pioniereinheit und dem Bauen von Brücken beschäftigt worden war, dabei oft bis zum Gürtel im Wasser stehend. Häufig erwähnte Stroop Ungarn im Jahre 1918 und den »großen Mackensen«1. Die Magyaren waren ihm sympathisch, auch wenn er sie kritisierte.
»Es ist unverzeihlich von diesen ungarischen Idioten, dass sie den Aufstand Béla Kun2 zugelassen haben, in diesem Land mit seinen herrlichen Landgütern, den schönen Jagden, hinreißenden Pferden und dem Draufgängertum der Kavallerie!«
Stroop verehrte Feldmarschall August von Mackensen dank dessen militärischen Talenten und vor allem deshalb, weil er die deutsche Armee 1918 in Ungarn mit eiserner Disziplin