Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski

Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos - Kazimierz Moczarski


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haben wir die Detmolder Schöngeister, diese ganze marxistisch-katholischjüdische Bande ganz schön an die Wand gedrückt. Die hatten später nichts mehr zu sagen!«

      »Aber wohl erst viel später, 1933?«, fragte ich.

      »Ja. Wir haben sie 1933 endgültig fertig gemacht ...«

      »Na, wohl nicht so ganz endgültig«, mischte sich plötzlich Schielke ein. »Wir brauchen hier in der Zelle doch nicht zu übertreiben! Obwohl die Nazis ...«

      »Sie meinen wohl: wir Nationalsozialisten«, unterbrach ihn Stroop bissig.

      »Sie haben Recht, Herr General«, gab Schielke gehorsam zu. »Aber heute bin ich kein Nationalsozialist, denn die Partei gibt es schon lange nicht mehr. Also wenn auch die Nazis die Sozialdemokraten, Jesuiten, Freimaurer, Juden und andere ideologisch fremde Reaktionäre rücksichtslos geduckt hatten, so ließ sich ein Teil der Bevölkerung doch nicht so ohne weiteres gleichschalten.«

      »Weil es immer, in jedem Land, Gruppen von Unruhestiftern, Individualisten und Idioten gibt«, entgegnete Stroop heftig, »die nicht begreifen, dass nur die Treue zu einer Idee, eine auf eine einzige Person konzentrierte Führung und hundertprozentiger Gehorsam die Voraussetzung für die Existenz einer Nation sind. Treue, nur Treue, unbedingte Treue, das ist die wichtigste Eigenschaft eines wahren Menschen. ›Meine Ehre heißt Treue‹, dieser Satz, der im Ehrendolch und im Ehrendegen der SS eingraviert ist, besaß den edelsten Sinn für einen Staatsbürger.«

      »Sie sprechen so oft von Treue«, meinte ich. »Treue ist eine schöne und seltene Eigenschaft. Aber wem soll man treu sein? Jedem Menschen, jeder Idee, jeder Sache? War es richtig, dass Sie Menschen die Treue hielten, die ihr Land in die Katastrophe geführt haben?«

      Stroop reagierte erregt.

      »Wir haben den Krieg nur deshalb verloren«, stieß er gepresst hervor, »weil die Machenschaften der reaktionären angelsächsischen, jüdischen, sozialistischen, kommunistischen, katholischen und freimaurerischen Internationale unser Volk zersetzt hatten. Wir waren zu liberal, wie es sich gezeigt hat ... Das Reich konnte nur unter Mithilfe eines Teils der deutschen Gesellschaft niedergeschlagen werden, mit Hilfe von solchen Canaris’5, Gördelers6, Stauffenbergs7, Thälmanns8, Schumachers9, Niemöllers10, von Kluges11, Paulus’12, Piecks13, und solchen unverschämten norwegischen Bengeln wie Willichen Brandt14 und vielen anderen Kanaillen, die man hätte härter rannehmen müssen15

      VI. Kapitel

      Lippe bekundet den »Willen des Volkes«

      Im letzten Viertel des Jahres 1932 umwölkt sich die Stirn Hitler-Wotans. Nach dem Wahlsieg der NSDAP im Juli 1932 beginnt sich unter der deutschen Bevölkerung eine gewisse Ernüchterung breitzumachen. Die Beliebtheit der Braunhemden lässt merklich nach. Die Spannung im Lande wächst, da die Krise andauert und die Zahl der Arbeitslosen die Sechs-Millionen-Grenze erreicht.

      Präsident Hindenburg löst das Juli-Parlament auf; im November 1932 finden zum zweiten Mal in diesem Jahr Reichstagswahlen statt. Sie verbessern die Lage der Kommunisten (100 Sitze im Reichstag) und der konservativen Rechten (54 Sitze). Die Katholiken erhalten 7 Mandate weniger als im Juli und die Sozialdemokraten 12. (Sie errangen insgesamt 121 Sitze.)

      Am schlechtesten kommen die Nationalsozialisten weg. Im November 1932 verloren sie, im Vergleich zum Juli, mehr als zwei Millionen Stimmen und 34 Abgeordnetensitze. Die Partei Hitlers befindet sich am Rande eines gefährlichen Abgrunds, obwohl sie im Reichstag die meisten Mandate stellt (196 von insgesamt 584).

      »Die Ursache für die Misserfolge der NSDAP«, erklärte Stroop entschieden, »war der Einfluss fremder Mächte, die das Volk zu degenerieren versuchten, außerdem die unmilitärischen Arbeitsmethoden unserer Partei, die allzu liberal und von linken Kräften durchsetzt war.«

      Um diese Zeit ist Stroop bereits eine wichtige Persönlichkeit in seinem Heimatstädtchen. Seit Oktober 1932 führt er die SS-Truppe in Detmold, obwohl er keinen SS-Dienstgrad besitzt. Er wird von gegensätzlichen Gefühlen beherrscht. Manchmal rast er vor Wut über die »unpatriotischen Massen, die sich aufhetzen lassen und die Weisheit des Führers nicht begreifen«. Ein anderes Mal überfallen ihn Zweifel. Was geschieht, wenn der Führer es nicht schafft, wer wird dann die Führung der ehemaligen Soldaten, der Nachkommen des Stammes der Cherusker, übernehmen?

      Erleichterung und Stütze findet er im Gehorsam. Wozu viel nachdenken, abwägen, planen, sich mit Zweifeln herumschlagen? Wenn man schon der Partei beigetreten ist, dann darf man nur noch diszipliniert und dem Führer treu sein und notfalls als Therapie eine organisatorische Tätigkeit übernehmen. Zum ersten Mal werden in jenen Wochen »unsichere und parteifremde Elemente« aus der SA im Land Lippe entfernt, außerdem Personen mit »angeschlagenem Rückgrat« und einer »abgestumpften ideologischen Klinge«.

      Trotz der Misserfolge Hitlers bei den November-Wahlen zum Reichstag war Stroop stolz über den kleinen Freistaat. »In unserem Lippe errangen wir im November 1932 sogar 1,6 % mehr Stimmen als der Landesdurchschnitt.«

      Diesen Stolz verband er mit der Tatsache, dass er 14 Tage vor den Wahlen einen »Parteierfolg« errungen hatte. Er wurde zum SS-Mann und zugleich zum SS-Scharführer ernannt. Damit übersprang Stroop zwei SS-Ränge – den eines SS-Sturmmannes und eines SS-Rottenführers. Diese Art von Beförderung war damals nicht außergewöhnlich. Es gibt Menschen, die es verstehen, in Zeiten von Kampf und Konjunktur, unabhängig von ihren persönlichen Fähigkeiten, blitzschnell in den Kreis der Mächtigsten einzudringen.

      Ende November und im Dezember 1932 erhalten die Nazigenossen in Lippe hohen Parteibesuch. Er kommt weder aus Münster, Bielefeld oder von der SS-Gauleitung Westfalen; es sind Parteibonzen aus dem Braunen Haus in München.

      Eines Tages fühlte sich Stroop »wie vom Donner gerührt«. Auf einer extra einberufenen Versammlung – so berichtete er – wurde bekannt gegeben, Adolf Hitler persönlich sei auf den Freistaat Lippe-Detmold aufmerksam geworden und habe entschieden, die NSDAP müsse sich zum Wohle Deutschlands am 15. Januar 1933 besonders aktiv an den dortigen Landtagswahlen beteiligen. Aus der zentralen Parteikasse wurden Mittel in solcher Höhe überwiesen, dass es Stroop leicht schwindelte. Die Führungsspitze der NSDAP sicherte ihre Teilnahme an der Wahlkampagne zu.

      Alles steht den Detmolder Nazis zur Verfügung: Stroop erhält zusätzliche Befehle. Er wird sie genauestens ausführen. Er fühlt sich zwar etwas gedemütigt, weil durch den Einfall von so vielen Leuten »von oben« seine Rolle als einer der wichtigsten Nazis in Detmold verblasst. Aber er findet sich schnell damit ab, geschmeichelt durch die huldvolle Behandlung seitens der Münchner NSDAP-Stabsleute, die sich immer wieder an ihn wenden:

      »Lieber Parteigenosse Stroop, wir müssen alles tun, um einen überwältigenden Sieg ... zu erringen und damit zu zeigen, dass unsere Bewegung sich im Vormarsch befindet und aufzublühen beginnt.«

      Stroop wächst über sich selbst hinaus. Er befiehlt, instruiert, organisiert, ist »tätig«; fleißig, eilfertig, aufopfernd, »soldatisch«.

      Der Wahlkampf in Lippe begann mit einer ungewöhnlichen Konzentration aller Kräfte und Mittel und mit dem Einsatz vielfältiger Propagandamethoden. Sie sollten die etwa 100000 wahlberechtigten Bürger beeinflussen. Die direkte Agitation erfasste alle Ortschaften des Landes Lippe. Den kleinen Freistaat überschwemmten Redner, Claqueure, Reporter, Filmleute, Kolporteure, Verfasser von Schmähschriften und Lobeshymnen, Schlägergruppen und »sanfte« Einpeitscher, Demagogen und stille Pseudo-Wissenschaftler. Man vergaß auch nicht, das Netz der Informanten und Spitzel dichter zu legen. An alles wurde gedacht. Ganze Transporte von Würsten und ähnlicher »Wahlstärkung« rollten heran; in den abgelegenen Dörfern stellten die Nazis große Zelte für ihre »Aufklärungsversammlungen« auf.

      »An dieser Aktion nahmen Adolf Hitler, Göring und Goebbels persönlich teil, außerdem Dr. Frick1, Ley2, Kerrl3, Kube4 und andere Volksführer«, erzählte Stroop.

      »Auch Heinrich Himmler war anwesend, aber seine Aufgaben lagen auf einem anderen Gebiet, außerhalb der Agitation.«


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