Gespräche mit dem Henker. Ein Buch nach Tatsachen über den SS-General Jürgen Stroop, den Henker des Warschauer Ghettos. Kazimierz Moczarski
heim wie vor Jahren sein Vater, der alte Oberwachtmeister Konrad.
Stroop besitzt nun schon mehrere Paar Stiefel und Galliffet-Hosen. Er reitet, sooft es ihm seine Zeit erlaubt. Er hat viel zu tun, denn die NSDAP segelt in starkem Aufwind, und befiehlt: handeln, handeln, arbeiten! Dem Feind keine Ruhe gönnen! Die Chance nützen, die Verfolgung verstärken! Marschieren! Zuschlagen, bis die Fetzen fliegen! Für Orden, Prämien und Beförderungen ist jetzt keine Zeit. Denn wir erleben die »große Wende, wie in Kriegszeiten«. Seht also zu, wie ihr fertig werdet, ihr dort am unteren Ende der Parteileiter!
Obwohl sich Stroop in der Zelle zu diesem Thema nie klar geäußert hat, nehme ich doch an, dass der künftige SS-Gruppenführer in jenen Tagen besonders intensiv an sich selbst und an das Wohl seiner Familie gedacht hat.
Anfang März 1933 widerfährt Stroop eine »große Ehre«: Er wird zum Führer der Hilfspolizei des Landes Lippe ernannt.
Knapp 14 Tage zuvor hatte Göring den regulären Polizeitruppen 50 000 SA- und SS-Mitglieder einverleibt, die die Reichshilfspolizei bilden sollten. An die abkommandierten SS- und SA-Leute wurden Waffen ausgegeben, sie erhielten weiße Armbinden und wurden rechtlich der normalen Polizei gleichgestellt, um diese »gesund zu machen«.
Wie wir sehen, nahm Stroop nun auch formellen Anteil an der steigenden Welle von Grausamkeit und Unrecht. Im Grunde war er schon vorher der Anführer der SS-Truppe im Land Lippe gewesen, die mit Gebrüll, mit Ausschreitungen, Terror, Folter und Verbrechen dem Führer und sich selbst einen Weg zu uneingeschränkter Macht gebahnt hatte.
Führer der Hilfspolizei in Lippe blieb Stroop bis Mitte Juni 1933. Mit seinen Untergebenen durchsetzte er die Reihen der Berufspolizei, er »erzog« sie im »neuen Geist«. Genau genommen stand er über dem Gesetz.
Joseph Stroop befehligte eine kleine Gruppe alter Polizisten, eine größere Anzahl »neuer«, die sich aus Mitgliedern der nazistischen Hilfspolizei zusammensetzten, sowie die SS. Insgesamt war es eine große Einheit, denn seit Mitte Januar 1933 befehligte Stroop den 3. Sturm (eine Kompanie) des V. Sturmbanns der 19. SS-Standarte.
Stroops Vater, der Polizei-Oberwachtmeister Konrad Stroop, hatte einst für das gleiche Gebiet fünf Beamte zur Verfügung. Auch er war ein treuer Polizeichef von Lippe gewesen, allerdings unter anderen Umständen. Zwei Ähnlichkeiten gab es zwischen den Positionen von Vater und Sohn: Beide waren Polizeichefs im Fürstentum Lippe und beide besaßen keine höhere Qualifikation für diesen Beruf. (Im Gegensatz zum Vater verfügte Joseph Stroop nicht einmal über eine Grundausbildung als Polizist.)
Der Unterschied zwischen ihm und dem Oberwachtmeister Konrad beruhte darauf, dass Joseph Stroop nun zur Elite des Lippelandes gehörte und Hitler, Göring und Himmler persönlich kannte. Vor allem Himmler.
VII. Kapitel
Gehorsam, satt und würdevoll
Nach vierzehn Jahren Mühe und Erwartung hatte sich endlich vor Joseph Stroop das Tor zur Karriere geöffnet. Künftig wird er die Chance wahren, die ihm der Sieg der NSDAP in Lippe geboten hat. Er wird die Spitzenpositionen des »Schwarzen Korps« erstürmen; das Korps wird seine Karriere und seine Existenz absichern. Himmler persönlich war auf Stroop während der Wahlen zum lippischen Landtag aufmerksam geworden. Er wird Stroop nicht vergessen (Treue um Treue!) – und ihn entsprechend ausnutzen.
Vorläufig war die Zeit für Beförderungen noch nicht reif – die NSDAP hatte gerade mit dem Umwandeln des Reiches begonnen.
»Ich wurde in Lippe gebraucht. Wir mussten das Land durchkämmen«, erinnerte sich Stroop, »die Schmarotzer und Feinde der nationalen Revolution herausfischen und die errungene Macht festigen.«
Hitlers Gefolgsleute nahmen sich vor allem die SPD und die KPD vor. Etwas sanftere Methoden wandte man gegenüber der Zentrumspartei an. Immer offener wurde die Reaktion umworben. Vor allem aber ging man daran, die ersten Abschnitte des antijüdischen »Programms auf Raten«, wie Stroop es nannte, zu verwirklichen. Die »Arisierung« des Grundbesitzes wird eingeleitet, die jüdische Intelligenz immer brutaleren Verfolgungen ausgesetzt. Rücksichtslose Plünderungen, Kennzeichnungen durch Judensterne, physische Vernichtung und Ausrottung werden »zu gegebener Zeit« folgen.
Einen wesentlichen Teil dieser »dringenden Aufgaben« führt Stroop in Lippe-Detmold als Leiter der dortigen Hilfspolizei durch. Gleichzeitig übernimmt er den Ausbau und die Schulung der SS-Kader. Es ist eine ruhige Arbeit. Stroop mag kein »verrücktes« Improvisieren, wie es die Jahreswende 1932/33 erfordert hatte. »In Lippe war im Allgemeinen alles gut verlaufen«, erzählte er.
»Nur einmal hatten wir Probleme mit einem großen Teil der öffentlichen Meinung ...«
»... Habt ihr sie wirklich ernst genommen? Sie scherzen wohl!«, unterbrach ich ihn.
»Doch«, meinte Stroop, »denn wenn so viele dagegen sind, gibt es meist Schwierigkeiten.«
»Worum ging es denn der öffentlichen Meinung?«
»Um die Unabhängigkeit von Lippe, das, wenn es auch klein war, seit Jahrhunderten ein selbstständiges Land innerhalb Deutschlands gewesen war. Und plötzlich hatte man uns einen Reichsstatthalter vor die Nase gesetzt. Und zwar keinen, der nur für unseren Freistaat zuständig gewesen wäre, sondern einen gemeinsamen für Lippe-Detmold und Lippe-Schaumburg. Die Einwohner waren empört, viele fühlten sich aufs Äußerste verletzt.«
»Sie auch?«
»Auch ich war nicht ganz zufrieden. Schließlich war ich in der Tradition einer halb souveränen Autonomie unseres Ländchens aufgewachsen, obgleich ich heute verstehe, dass die Politik der Kleinstaaterei dem Reich ausnahmslos geschadet hat.«
»Wissen Sie, dass Lippe seit Kriegsende wieder in gewisser Weise selbstständig wurde? Nicht so wie zur Kaiserzeit oder in der Weimarer Republik, aber die Alliierten und Adenauer haben einen Zustand wiederhergestellt, der dem Jahr 1932 ähnelt.«
»Das geht mich nichts an«, reagierte Stroop gereizt.
»Mögen Sie die Freiheit nicht?«
»Diese Freiheit? Nein.«
»Schließlich sitzen Sie auch im Knast.«
»Sie aber auch.«
»Ja, aber ich achte jede Art von Freiheit.«
Die Lage Stroops entwickelt sich in den Jahren 1933/34 günstig und vielversprechend. Er hat enge Beziehungen zu höhergestellten Nazis. Man hält große Stücke auf ihn. Er ist fleißig, sorgt für die Parteiorganisation und vergisst dabei auch seine eigenen Interessen nicht, was in jener Zeit allgemein üblich war.
Ein einschneidendes Erlebnis, auf das Stroop im Gefängnis immer wieder zu sprechen kam, war die »Siegesparade« in Nürnberg im Herbst 1933. Als noch junges NSDAP-Mitglied reagiert er begeistert, wie die meisten Bewohner des Lippelandes, auf die Feierlichkeiten, Aufmärsche, Appelle und Ansprachen, die Anwesenheit des Führers und seines Stabes, auf Fahnen, Standarten, Ströme von Bier und Berge von Würsten und auf den »ruhig-festen Schritt«. Bis zum Rand seiner schwarzen SS-Mütze hat er in Nürnberg den »historischen Sieg« in sich aufgesogen.
»Aus Nürnberg brachte ich ein bis aufs Blut aufgescheuertes Bein mit«, erinnerte sich Stroop in der Zelle. »Für die Herbstparade 1933 hatte ich mir neue Stiefel anfertigen lassen. Der Schuhmacher nahm für die Ferse zu hartes Leder. Als ich wieder in Detmold war, habe ich ihm in die Fresse geschlagen, obwohl er beteuerte, unschuldig zu sein. Er sagte: ›Herr Truppführer, Sie sind nicht zur Anprobe gekommen und befahlen, die gerade fertig gewordenen schwarzen Marschstiefel sofort zu schicken‹ ... Und trotzdem war dieser elende Schuster schuld. Anprobe oder nicht. Die Lieferung von unbequemen Stiefeln für eine Parade ist Sabotage.«
Stroop wird zum Offizier der SS befördert. Diese Ernennung ist jedoch von Schwierigkeiten begleitet. Die Kameraden vom SS-Abschnitt Münster verlangen, dass Stroop wie alle anderen Rang um Rang befördert wird. Stroop dagegen ist der Meinung, seine Verdienste bei den Wahlen in Lippe rechtfertigten eine Beförderung außer der Reihe. Er gibt sich trotzig, erinnert an die Karrieren verschiedener »Schnösel«, wie er sie nannte,