Das Awaren-Amulett. Carmen Mayer

Das Awaren-Amulett - Carmen Mayer


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gab welche, die es besser wussten und ein Badehaus wie das deines Großvaters schätzten.“ Er machte eine kurze Pause, in der er Johannes nachdenklich ansah. „Viele kamen von Admont, viele auch aus dem Dorf unten an der Enns.“

      „Von Admont?“, fragte Johannes ungläubig. „Aber das Stift …“

      „Aus Admont, ganz richtig. Und aus Hieflau. Es war das einzige Badehaus weit und breit und wurde von denen hoch geschätzt, die eine solche Einrichtung gern aufsuchten. Damals gehörte übrigens auch der Klerus aus Admont dazu. Denen war es egal, ob der Bader protestantisch oder römisch war.“

      Johannes dachte daran, wie sehr seine Mutter Anna darauf bedacht war, dass die ganze Familie sich von Kopf bis Fuß mit Wasser und ihrer selbst hergestellten Seife sauber hielt. Im Sommer geschah das am Bach, im Winter in einem großen Zuber neben dem Herd. Was zugegebenermaßen zumindest bei Johannes jedes Mal ein unbeschreiblich gutes Gefühl auf der Haut hinterließ. Niemand in der Familie wurde jemals von den allgemein verbreiteten Läusen und anderem Getier geplagt. Geschweige denn, dass sie so gestunken hätten wie manch einer von den Nachbarn oder den Leuten, denen Johannes während seiner Aufenthalte im Dorf oder in Admont und Hieflau begegnet war.

      Vom Großvater also hatte sie das.

      „Nun, dein Vater musste sich wohl oder übel eine andere Arbeit suchen, als die Aufträge für die Mühle ausblieben, weil Korn und Mehl anderweitig beschafft wurden“, fuhr Bruder Anselm fort. „Schließlich fand er Arbeit bei den Holzknechten. Die fragten nicht nach seinen Geschichten und seiner Religion, die brauchten Männer, die zupacken können.“

      „Ich kenne das Badehaus überhaupt nicht“, überlegte Johannes, dem der soeben gehörte Teil der Geschichte hinlänglich bekannt war. „Hat mein Vater es abgerissen?“

      Bruder Anselm kratzte sich am Kopf. Dann begann er, sich umständlich die Fingernägel zu säubern, wozu er ein angespitztes Stückchen Holz benutzte.

      „Eines Tages, zur Zeit deines Großvaters, als ein paar landesfürstliche Truppen plündernd über Eisenerz hereinbrachen, zogen sie auf ihrem Weg an der Enns entlang. Sie durchstreiften die Nebentäler und verwüsteten das Badehaus der Mühlhäusler. Sie taten dies wohl aus Wut darüber, dass sie gegen die Bewohner des Gesäuses und der angrenzenden Täler nichts hatten ausrichten können, von denen sich einige in die umliegenden Berge geflüchtet hatten. Sie hatten nichts zurückgelassen, was für die Schurken von Wert gewesen wäre. Außerdem hielten die erzkatholischen Lumpen nichts von solchen Einrichtungen wie der deines Großvaters, in denen ihrer Ansicht nach die Sünde hauste.“ Anselm lachte erneut leise vor sich hin. „Ausgerechnet diese Leute wagten es, andere sündig zu nennen.“ Eine Zeitlang schwieg er nachdenklich, und Johannes befürchtete schon, er würde nicht weitersprechen. „Es war ein Leichtes für sie, vor den Augen deiner Großmutter alles kurz und klein zu schlagen, was ihrer Zerstörungswut unter die Hände kam, während dein Großvater Mehl auslieferte.“ Er stand auf und ging zum Suppenkessel, um darin bedächtig umzurühren.

      „Der Großmutter und Anna ist dabei nichts geschehen?“, fragte Johannes leise.

      „Nein, ihnen ist nichts geschehen.“

      „Und warum hat mein Vater es später nicht wieder aufgebaut?“

      „Nun ja, wie gesagt, deinen Vater mieden die Bauern. Außerdem bekam er von denen in Admont keine Erlaubnis mehr dazu. Die haben inzwischen auch etwas gegen solche Einrichtungen. Besonders wenn sie Protestantischen gehören.“ Anselm zog nachdenklich eine Grimasse. Johannes wusste inzwischen, dass der Mönch keinesfalls mit allem einverstanden war, was der Klerus vorgab, und oftmals seine eigenen Wege ging. Er vermutete darin auch den Grund dafür, weshalb der Alte als Einsiedler lebte.

      „Die Grundmauern und Steine hat dein Vater dazu verwendet, einen Stall zu errichten, der heute noch dort steht.“ Johannes nickte nachdenklich und schnupperte. Es roch appetitlich, und er bekam Hunger.

      „Was ist eigentlich aus dem Kind in Bruck geworden, von dem Ihr erzählt habt? Das ist doch über den Vater mein Geschwister“, bemühte er sich, wieder auf sein eigentliches Anliegen zurückzukommen. Er hatte den Verdacht, dass Bruder Anselm versuchte, ihm in diesem Punkt auszuweichen.

      „Ja, das Kind.“ Bruder Anselm setzte sich wieder an den Tisch und schaute nachdenklich auf seine gefalteten Hände. „Es blieb zunächst bei jener Schwägerin deines Vaters in Bruck. Aber dann kamen die Kapuziner in die Stadt, die unser damaliger Fürst von Gottes Gnaden ansiedeln ließ. Mit ihnen begannen unruhige Zeiten. Jahre zuvor hatte man den Brucker Bürgern noch zugestanden, ihren Glauben nach eigenem Gutdünken auszuüben, aber eines Tages überlegte es sich der Landesfürst anders und ließ die protestantischen Bürger unter Druck setzen. Außerdem gingen die Geschäfte der Brucker Kaufleute immer schlechter, die vom Salzhandel lebten. Es entstand Unfrieden, der auch vor der angeheirateten Familie deines Vaters nicht Halt machte. Deshalb übergab die Schwägerin das Kleine dessen Onkel mit der Bitte, es zu seinem Vater zu bringen. Sie selbst zog mit ihrem Mann und ihren eigenen Kindern nach Linz.“

      Johannes starrte den Mönch mit aufgerissenem Mund an.

      „Wenn sie nach Linz zog – weshalb hat sie das Kind dann nicht selber seinem Vater gebracht? Das lag doch am Weg! Ich habe außerdem nie davon gehört, dass jemand meinem Vater ein Kind gebracht hätte.“

      „Langsam, langsam! Ganz abgesehen davon, dass euer Tälchen ein Stück vom direkten Weg entfernt liegt: Es war inzwischen äußerst gefährlich geworden, in Bruck ein Protestant zu sein. Der Onkel des Kindes war zusammen mit einigen angesehenen und guten Männern in Graz an der Stiftsschule angestellt. Eines Tages verbot der Erzherzog deren Arbeit an der Schule, ließ die protestantischen Lehrer und Professoren aus der Stadt vertreiben und ihre schriftlichen Werke öffentlich verbrennen. Der Onkel hatte mit ansehen müssen, wie unersetzbare Schätze der Wissenschaft unter dem Gejohle eines Haufens ungeschlachter Dummköpfe in Schutt und Asche zerfielen.

      Eines Abends eröffnete ihm sein Freund, ein gewisser Johannes Kepler, er müsse die Stadt verlassen, wolle er nicht Gefahr laufen, gewaltsam seiner bisherigen Arbeitsstelle verwiesen zu werden, oder noch Schlimmeres. Er vertraute ihm an, dass er wohl mit den falschen Leuten über seine Auffassung zur Abendmahlsfrage gesprochen habe. Kepler ist Calvinist.“

      Johannes erfuhr weiter, dass Johannes Kepler sehr viel über die Gestirne herausgefunden hatte, die der Junge aus dem Tälchen bislang lediglich als glitzernde Lichtpunkte am Himmel betrachtet hatte, deren Standpunkt sich im Jahreslauf veränderte. Wobei er sich allerdings niemals Gedanken darüber machte, worauf ihre Helligkeit beruhte und was sie bedeuten mochten. Es waren eben Lichtpunkte, Sterne, nichts sonst.

      „Weißt du, was Johannes Kepler einmal zu seiner Mutter gesagt hat, als er noch klein war?“, fragte Bruder Anselm, als Johannes ihm seine Gedanken dazu mitteilte. „Es sieht aus wie ein schwarzer Mantel mit lauter kleinen Löchern drin, hinter dem ein Licht brennt.“

      Johannes musste lachen. Genau so hatte er es auch einmal gesehen.

      Bruder Anselm hatte ein Büchlein, das sein wertvollster Besitz war, und das er Johannes eines Tages gab. Es hieß De Iesu Christi servatoris nostri vero anno natalitio, in dem Johannes Kepler die Frage nach dem astronomisch richtigen Geburtsjahr Christi aufwarf und zu ergründen versucht hatte.

      „Das hat Johannes Kepler geschrieben. Wenn dein Latein gut genug ist, wirst du verstehen, wovon er spricht.“

      Er erreichte damit, dass Johannes jede freie Zeit damit verbrachte, sein Latein zu vervollständigen, damit er das Büchlein lesen konnte.

      „Kepler befürchtete eines Tages, zwischen die religionsstreitigen Fronten zu geraten“, fuhr Bruder Anselm fort. „Nach einem langen Gespräch mit dem Meister beschloss der Onkel jenes Kindes, von dem ich dir erzählt habe, einen sehr eigenwilligen Weg zu gehen: Er konvertierte zusammen mit einigen anderen Menschen, die keine Lust hatten, sich wegen religiöser Fragen vertreiben zu lassen, zum Katholizismus. So hatte er, wie er dachte, die Möglichkeit, unter dem Deckmantel dieser Religion an seinen bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen weiterarbeiten zu können. Die Kapuziner, deren Orden er als Laienbruder beigetreten war, zeigten sich anfänglich


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