Das Awaren-Amulett. Carmen Mayer

Das Awaren-Amulett - Carmen Mayer


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Grund gewesen war, herzukommen.

      Fassungslos starrte er Kepler an.

      „So, und jetzt setz dich da hin und erzähl mir: Woher kennst du meinen alten Freund Anselm?“

      Johannes ließ sich vorsichtig auf einem Schemel nieder, der dem Schreibpult des Meisters gegenüber stand.

      Wo sollte er anfangen?

      Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Als hätte Kepler sie erraten, sagte er: „Ich möchte genau wissen, mit wem ich es zu tun habe. Also erzähl!“

      „Ich suche eigentlich nach meiner Tant’“, gestand Johannes leise.

      „Nach deiner Tant’?“ Kepler schaute den Jungen überrascht an. „Was soll ich denn mit ihr zu schaffen haben?“

      „Sie ist die Schwester von Bruder Anselm“, begann Johannes und rutschte unbehaglich auf seinem Schemel herum.

      „Von Bruder Anselm?“, fragte Kepler mit hochgezogenen Augenbrauen. „Ich dachte, es ist deine Verwandte!“

      *

      „Du solltest über den Winter zu deinen Leuten zurückkehren, und deinem Vater beim Wiederaufbau der Mühle helfen“, sagte Bruder Anselm eines Abends im Frühherbst zu Johannes. „Er kann eine starke Hand gut brauchen, und du könntest deine neuen Kenntnisse gleich in die Tat umsetzen. Über den Seilzug beispielsweise, den ich dir gezeigt habe.“

      „Ich hatte nicht hierherkommen wollen“, warf Johannes ein, dem der Gedanke gar nicht gefiel. „Aber inzwischen weiß ich, dass ich noch mehr zu lernen habe, als meine Eltern sich jemals denken konnten.“

      Sie waren gerade dabei, Holz für die Feuerstelle in einer Ecke der Hütte aufzustapeln. Das übrige Brennholz hatten sie bereits wie eine zweite Wand rings um die Hütte aufgeschichtet. Eine ideale Isolation gegen die winterliche Kälte, die mit zunehmender Wärme im Frühjahr verschwunden war, wenn man sie ohnehin nicht mehr brauchte.

      „Wenn Ihr mir erlaubt, würde ich gerne über den Winter noch hier bleiben, um meine Studien fortzuführen.“

      Der Mönch legte schmunzelnd einige Scheite Holz auf und entfachte Feuer. Er freute sich einesteils über den Eifer seines Schülers, andererseits wusste er auch, dass die Familie im Tälchen ihn notwendig brauchte.

      „Sobald der Schnee geschmolzen ist, erwarte ich dich wieder hier. So lange wirst du dich bei deiner Familie nützlich machen. Es wird jetzt ohnehin früher dunkel, und da bleibt nicht viel Zeit zum Lesen und Schreiben.“

      Er hatte sich nichts sehnlicher gewünscht als diesen Augenblick, wenn Johannes gierig nach neuem Wissen um mehr Informationen und Unterricht betteln würde. Jetzt tat es ihm fast leid, dass er seinem Wunsche nicht sofort entsprechen, sondern sich mit Johannes zusammen bis zum Frühjahr gedulden musste.

      Dabei entging ihm nicht, wie sein Schüler zu den seltsamen Instrumenten schielte, die er in einem wollenen Tuch zwischen seinen Arzneifläschchen aufbewahrte. Sie schienen den Jungen schon lange brennend zu interessieren. Anselm hatte nicht vorgehabt, ihm ausschließlich praktisches Wissen zu vermitteln, er wollte immer schon einen begabten jungen Menschen etwas lehren können, das er selber hütete wie ein dunkles Geheimnis. Bislang hatte er immer gehofft, eines Tages den offenen Ackerboden zu finden, in den er die Saat seiner Kenntnisse würde legen können.

      Hier war er nun.

      Johannes.

      Anselm hatte jene Instrumente, die der Junge so sehnsüchtig betrachtete, nicht angefasst, seitdem er hier war. Er hatte gewollt, dass jener von sich aus Interesse bekunden würde – denn wenn nicht, wäre vermutlich alle Mühe vergebens gewesen.

      Während er Wasser in einem kleinen Kessel über die offene Feuerstelle hängte, in das er ein Stück Fleisch (Johannes hatte ein Kaninchen in einer geschickt ausgelegten Schlinge gefangen, was Bruder Anselm gebührend kritisierte, bevor er es fachkundig ausnahm und zerlegte) und einige Kräuter und Gemüsebröckchen legte, machte er ein nachdenkliches Gesicht.

      „Warum haben mich die Eltern in Wahrheit zu Euch geschickt, Bruder Anselm?“

      Der Mönch winkte unwillig ab.

      „Nun, das weißt du doch: Nachdem unser allergütigster Herr und Kaiser die protestantischen Schulen zum großen Teil geschlossen und kein Interesse daran hat, Kindern dieses Glaubens eine gute Schulbildung zu ermöglichen, fanden deine Eltern, eine Ausbildung bei mir sei angebracht.“

      „Aber Ihr seid doch ein Katholik! Warum unterrichtet Ihr einen protestantischen Schüler?“, stellte Johannes entrüstet die Frage, die ihn schon lange beschäftigte, und ballte dabei unbewusst die Hand zur Faust.

      Bruder Anselm sah ihn kurz an und ging dann zum einzigen Fenster hinüber, vor dem er nachdenklich stehen blieb und durch das milchig beschlagene Glas in die Dunkelheit hinausschaute.

      „Das ist eine berechtigte Frage, mein Sohn, die nicht ganz einfach zu beantworten ist.“

      Bruder Anselm umschloss mit seiner Hand die Faust des Jungen, der neben ihn getreten war, und starrte noch eine Zeit lang in die Dunkelheit vor dem Fenster. Dann ließ er die Faust wieder los und setzte sich an den Tisch, auf dem er ein flackerndes Talglicht entzündete.

      Er griff hinter sich nach dem Krug mit Wein, den er zusammen mit zwei Bechern auf die Tischplatte stellte. Sorgfältig füllte er sie und reichte Johannes einen davon hinüber.

      „Dein Vater wurde als Protestant in Graz geboren, wo er auch aufwuchs und zur Schule ging“, begann er schließlich. „Als er ein junger Mann war, lernte er seine Barbara kennen, und die beiden heirateten kurz darauf.“

      „Barbara? Aber meine Mutter heißt Anna!“

      „Warte. Dein Vater zog mit ihr nach Bruck, wo er eine gute Anstellung bei einem Kaufmann gefunden hatte. Leider starb seine Frau wenige Tage nach ihrer ersten Niederkunft. Dein Vater holte die Schwester seiner verstorbenen Frau als Amme zu sich, da sie kurz zuvor ebenfalls entbunden hatte. Während einer Fahrt nach Hieflau lernte dein Vater die Anna kennen, und heiratete sie noch im selben Jahr. Sein Kind wusste er bei seiner Schwägerin in guten Händen. Kurz darauf starb sein neuer Schwiegervater, und dein Vater übernahm zusammen mit seiner Frau die Rechte für die Mühle, die der Alte den beiden hinterlassen hatte. Aber keiner der ortsansässigen Bauern wollte mit dem Fremden zu tun haben – zum Teil schon deshalb nicht, weil sich einige der Männer die Anna zur Frau oder als gut situierte Schwiegertochter ausgedacht hatten, und sich von dem Dahergekommenen um eine Heirat und gute Partie betrogen fühlten. Ganz abgesehen davon, dass dein Großvater einmal eine gut gehende Badeanstalt betrieben hatte, die ihm ein schönes Zubrot einbrachte.“

      „Badeanstalt?“

      „Oh ja! Die Mühlhäusler hatten früher ein Badehaus, von dem gesagt wird, es stamme noch aus der Römerzeit. Das glaube ich allerdings weniger, weil die Römer ihre Badehäuser von heißen Quellen speisen ließen, die es hier nirgends gibt. Aber das Gerücht, es stamme aus uralten Zeiten, hält sich wie alle Gerüchte äußerst hartnäckig.“ Er trank einen Schluck Wein und fuhr dann fort: „Aus welcher Zeit es auch stammen möge: Der Alte hatte es eines Tages wieder instand gesetzt. Nachdem es bereits ein Mühlrad gab, brauchte dein Großvater das Wasser nur noch über eine geschickt angebrachte Vorrichtung in die Badestube umzuleiten. Das hat er auch gemacht.“

      „Mein Großvater war ein Bader?“, fragte Johannes überrascht. Das mit den heißen Quellen würde er sich später erklären lassen. Er konnte sich nur eiskaltes Wasser vorstellen, das aus dem Boden quoll. Aber heißes?

      „Ja, und ein sehr guter noch dazu. Die Leute kamen gerne zu ihm, weil er sauber und ordentlich war und vor allen Dingen die schlechten Weiber von seinem Badehaus fernhielt, die bloß Unruhe hineingebracht hätten.“

      „Davon wusste ich nichts.“ Johannes überlegte, wie das mit den schlechten Weibern gemeint war. Woher sollten die gekommen sein? „Außerdem kann ich mir kaum vorstellen, dass so ein Badehaus von vielen Leuten aus dem Tälchen besucht wurde.“

      Bruder


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