Das Awaren-Amulett. Carmen Mayer

Das Awaren-Amulett - Carmen Mayer


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      Johannes wartete, ob der Köhler noch etwas sagen würde. Als dieser aber schweigend vor sich hinsah, wagte er eine leise Frage:

      „Bist du ein Katholischer?“

      Der Köhler schaute ihn lange an.

      „Nach außen hin.“

      „Und das damals, waren das Kaiserliche oder Bairische?“, wollte Johannes wissen.

      „Kaiserliche, Bairische!“ Der Köhler zog die Mundwinkel nach unten. „Das ist einerlei. Es sind Leute, die sich für solche Plünderungszüge zusammengerottet haben. Die machen, was sie wollen, und niemand tut was dagegen.“ Er schaute sich kurz um, als wolle er sicher sein, dass ihm niemand zuhörte. „Weil denen …“ Ein Fingerzeig nach oben. „Weil denen ganz recht ist, wenn die Leut’ hier Angst kriegen.“ Er schnäuzte sich erneut. „Wobei die Bairischen seit jeher schlimmer sind als die Kaiserlichen“, fuhr er fort. „Vor Jahren hat unser damaliger Kaiser ein Heer vom Bischof in Passau angefordert, das sich auf dem Weg entlang der Donau nicht sehr beeilt hat. Erst nach deutlichen Ermahnungen sind sie schließlich in Wien angekommen. Bis dahin haben sie viel Unglück über die Leut’ gebracht. Die waren schlimmer als die schlimmsten Höllenhunde.“ Er warf Johannes einen schrägen Blick zu. „Aber daran kannst du dich nicht erinnern, dafür bist du zu jung. Und die im Geseis und den Nebentälern sind ohnedies immer gut weggekommen, da hat es selten einen von denen hin verschlagen.“ Der Köhler hielt kurz inne und nahm einen Schluck aus seinem Krug. „Alle haben Angst vor den Bairischen“, fuhr er fort. „Und das ist so gewollt, glaub’ mir. Wenn die Leut’ Angst haben, lassen sie sich leichter bekehren, das weiß nicht nur unser Kaiser. Die ganz Halsstarrigen packen halt irgendwann ihr Sach’ zusammen und verlassen das Land.“

      „Einfach so?“

      „Nicht einfach so“, antwortete ihm der Köhler und trank seinen Krug leer. Dann erhob er sich und legte Johannes zum Abschied kurz die Hand auf die Schulter. „Wer Schulden hat, muss sie erst zurückzahlen. Das treibt viele in die bitterste Armut. Wer ohnehin unfrei ist …“ Er presste die Lippen zusammen. „Behüt’ dich Gott, Bub!“

      Er wandte sich von Johannes ab und verließ die Gaststube, nachdem er beim Wirt seine Zeche bezahlt hatte.

      Wer Schulden hatte …

      Johannes hatte Schulden. Denn die wurden vom Vater auf den Sohn übertragen. Sie würden ihn irgendwann aufgreifen und zur Rechenschaft ziehen. Denen war egal, wie er das Geld auftreiben würde. Dass die Mühle zerstört und ihm damit alle Möglichkeiten genommen waren, die Schulden jemals zurückzuzahlen, würde sie nicht davon abhalten, auf ihren Forderungen zu bestehen. Ganz abgesehen davon, dass sie ihm die Schuld an der Zerstörung der Mühle geben würden. Ihm, dem Sohn eines Protestanten.

      Johannes konnte sich ausmalen, wie seine Zukunft aussah, wenn er die Tant’ in Linz nicht fand. Oder diesen Johannes Kepler.

      Ein anderer setzte sich zu ihm an den Tisch.

      „Ich hab gehört, was du dem Köhler erzählt hast“, sagte er. „Auf der anderen Seite der Enns ist eine Horde Bairischer Richtung Norden gezogen.“ Er senkte die Stimme und rückte mit dem Kopf nahe an Johannes’ Ohr. „Die haben mich mit ihrem Aufführen an die Passauer erinnert, die sich an unseren Bauern und Bürgern schändlich getan und so viel Leid über sie gebracht haben, damals. Aber keiner tut denen was, weil sie alle unter dem Schutz von unserem Kaiser und …“, er schaute sich um, ob ihn jemand hören konnte, „… und seinem Statthalter in Linz stehen. Der Herberstorff hält schützend die Hand über sie, weil sie ihm gerade recht kommen damit, wie sie den Leuten Angst machen. Der Herberstorff ist schuld an allem Übel, glaub mir. Der wird uns noch großen Kummer bereiten.“

      „Der Herberstorff?“

      Hatte der Köhler den nicht anders beschrieben?

      „Ja, ein unangenehmer Bursche. Seitdem unser Kaiser das Land ob der Enns an die Baiern verpfändet hat, ist keiner vor ihm sicher.“ Er lachte heiser. „Dabei war er selber mal ein Evangelischer, der Hundsfott, der elende!“

      Verwirrt schob Johannes den Mann ein Stück von sich weg. Kummer hatte er selber genug, da interessierte ihn nicht, was der berüchtigte Statthalter aus bairischen und kaiserlichen Gnaden den anderen bereitete. Er hatte andere Sorgen.

      „War ein Mädchen dabei?“, fragte er. „Ich suche meine Schwester.“

      „Bei den Bairischen? Ein Weibsbild war dabei, aber ob es deine Schwester war, weiß ich nicht.“

      „Wie hat sie denn ausgesehen?“ Johannes gab ihm aufgeregt eine Beschreibung von Elisabeth.

      „Wie ein Weibsbild halt“, gab der Köhler achselzuckend Bescheid. „So genau hab ich nicht hingeschaut. Wusste ja nicht, dass einer kommen und nach ihr fragen würd’.“

      „Ist sie freiwillig mitgelaufen oder haben die Männer sie gezwungen, was meinst du?“

      Vor Johannes tauchten die schrecklichsten Bilder auf. Wieder zuckte der Mann die Schultern.

      „War halt ein Weibsbild.“

      Johannes saß noch lange nachdenklich da, bevor er sich auf den Heimweg machte. Seufzend suchte er seine Schlafstatt neben dem Küchenherd einer der Köhlerfamilien auf, die ihm Quartier gegeben hatte.

      *

      Die Worte der Köhler hallten noch ein paar Tage in ihm nach. Auch Berichte anderer Arbeiter beschäftigten ihn, die von kleinerem Geplänkel bis hin zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken berichteten. Es schien, als zögen dabei mehr und mehr die Lutherischen und Calvinisten den Kürzeren. Von aufständischen Bauern und umherziehenden Baiern war immer wieder die Rede, die sich ungestraft an der Landbevölkerung austobten. Aber auch von katholischen Soldaten, übereifrigen Geistlichen und unbezähmbarem Gesindel erzählten sie, die alle dafür sorgten, dass der Wille Kaiser Ferdinands umgesetzt wurde. In diesen ganzen Wirren seine Schwester zu finden, erschien Johannes mehr und mehr unmöglich. Andererseits hatte die Aussage des zweiten Köhlers seine Hoffnung darauf bestärkt, sie am Leben zu wissen.

      So beschloss er, so schnell es ging nach Linz zu ziehen, und machte sich in den ersten Tagen des anbrechenden Winters auf den Weg. Ein bisschen Geld hatte er für seine Arbeit bekommen und hoffte, dass es für die erste Zeit in der Stadt reichen würde. Insgeheim hoffte er außerdem, unterwegs mehr über die Männer zu erfahren, von denen der Köhler berichtet hatte. Aber außer ihm schien sie niemand wahrgenommen zu haben. Vielleicht hatte der Mann ihm auch etwas vorgemacht, um wichtig zu tun. Oder aber die anderen Leute waren so verschreckt, dass sie lieber nicht über das reden wollten, was sie gesehen hatten oder aus Erfahrung wussten. Denn manch einer erinnerte sich schon daran, einen Haufen Männer in bairischen Farben an der Enns entlangziehen gesehen zu haben. Aber niemand wusste Genaues. Und ob seine Schwester dabei war, konnte ihm auch keiner sagen.

      Also blieb die Hoffnung, sie in Linz bei den Leuten um diesen Herberstorff zu finden.

      Eine ziemlich vage Hoffnung, das war dem Jungen inzwischen klar geworden.

      Trotz des gerade einsetzenden Schneetreibens konnte Johannes den Ennser Stadtturm schon von Weitem sehen. Er ragte zwischen den Türmen des Schlosses zur rechten und dem Kirchenbau zur linken Seite der Holzbrücke über die Mauern der Stadt, und befand sich mitten auf dem weitläufigen Marktplatz. Er erinnerte sich daran, wie Bruder Anselm ihm einmal davon erzählt hatte, dass dieser Turm von den protestantischen Ennser Bürgern als Wach- und Glockenturm gewünscht, und unter Kaiser Maximilian II. vor über 50 Jahren gebaut worden war.

      Staunend betrachtete der Junge das Kupferdach und die Kugel mit der geflügelten Figur auf der Spitze, die langsam unter einer weißen Schneedecke verschwanden. Er konnte sich vorstellen, wie reich diese Stadt einst gewesen sein musste, und wünschte sich, das sei bis heute so. Wie er auch hoffte, dass der evangelische Geist dieser Stadt erhalten geblieben sein möge.

      Johannes überquerte die Brücke und erreichte das Stadttor gerade noch rechtzeitig,


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