Das Awaren-Amulett. Carmen Mayer

Das Awaren-Amulett - Carmen Mayer


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hier herumgetrieben hatte. So schlich er sich zur Hüttentür, lauschte angestrengt und öffnete sie dann vorsichtig.

      Das Innere sah verlassen aus. Die hölzernen Borde befanden sich noch an der Wand, Anselms Bücher jedoch fehlten. Die Feuerstelle war unversehrt aber kalt, Kessel und Pfannen hingen sauber gescheuert an der Wand. Tisch, Hocker und die Bettstatt des Einsiedlers waren leer, der Fußboden war gefegt. Es sah ganz so aus, als warte die Einsiedelei auf einen neuen Bewohner, nicht auf die sonst übliche Rückkehr des alten Mönchs nach einer längeren Reise.

      Johannes lehnte sich erschöpft an die Wand und überlegte, weshalb Bruder Anselm sie bei seinem Weggehen dieses Mal so gründlich aufgeräumt, den Felsenkeller aber gelassen hatte, wie er war. Es schien ihm viel wichtiger gewesen zu sein, zerlesene Bücher und ein paar Tiegel mit Salben und Heiltinkturen mitzunehmen.

      Nichts davon hatte er zurückgelassen. Nicht das kleinste Krümelchen zerstoßener Kräuter, kein Schmalz, keine Tinktur. Bruder Anselms größter Schatz war zusammen mit ihm und der Ledertasche verschwunden, die er nie aus der Hand gab.

      Was mochte das bedeuten?

      Johannes verließ die Hütte und warf noch einen Blick in das Gärtlein, auf das Bruder Anselm immer so stolz gewesen war. Es war sorgfältig umgegraben worden und zeigte dem Jungen, dass der Mönch keinesfalls in Eile aufgebrochen war, sondern seinen Auszug sorgfältig vorbereitet hatte. Im Gegensatz zu vergangenen Zeiten schien sein Weggehen dieses Mal für längere Zeit geplant gewesen zu sein. Oder tatsächlich für immer.

      Aber wohin war er gegangen?

      Warum hatte er nichts davon gesagt?

      Johannes hatte ihn doch selber erst wenige Zeit zuvor verlassen, um in der Winterpause dem Vater zur Hand zu gehen. Da hätte der Mönch doch etwas verlauten lassen können.

      Er verstand es nicht.

      Im strömenden Regen machte sich Johannes schließlich erneut auf den Weg talwärts. Das Tosen des Gebirgsbaches und das Rauschen des Regens übertönten jedes weitere Geräusch. Johannes glaubte, dazwischen immer wieder die johlenden Stimmen und das heisere Lachen der Kerle zu hören, die in zerstörerischer Wut Gegenwart und Zukunft seiner Familie und der Nachbarn in Schutt und Asche gelegt hatten.

      Schließlich nahm er seinen ganzen Mut zusammen und kletterte über die rutschig gewordenen Trümmer der ehemaligen Mühle, die bis auf den Weg verstreut lagen.

      Das Mühlrad schien sich hilflos an einen Mauerstumpf zu krallen und ragte zur Hälfte in das tosende Wasser des Baches. Lange würde es nicht mehr halten und mitgerissen werden. Johannes erinnerte sich daran, wie stolz der Vater erst vor wenigen Wochen noch darauf gewesen war, die arg mitgenommenen Schaufeln wieder instand setzen und das Mahlwerk damit antreiben zu können.

      Zwischen Steinbrocken und dampfendem Holz fand er ein paar Scherben von Mutters Geschirr und die verkohlten Reste der einfachen Möbel, die sich im Haus befunden hatten.

      Ob die Mordbrenner wussten, was geschieht, wenn Mehl Feuer fängt?

      Der Vater hatte einige Tage zuvor einen Teil des Mehls nach Hieflau zu den Bauern gebracht. So war nicht allzu viel davon in der Mühle geblieben, aber doch genug, um durch die Wucht der Explosion alles zu vernichten, was sich in unmittelbarer Nähe befand.

      Aber wo war seine Familie?

      Der Junge hoffte, dass sie sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten. Seine Nase sagte ihm jedoch etwas anderes. Johannes legte seinen Arm vors Gesicht, um den schrecklich stinkenden Rauch nicht einatmen zu müssen, der an einigen Stellen immer noch aus den Trümmern kroch und sich über die Ruine gelegt hatte.

      Was er die ganze Zeit über gewusst, aber nicht an sich herankommen hatte lassen, wurde zur grausamen Gewissheit. Denn plötzlich entdeckte der Junge eine verkohlte Hand, die zwischen ein paar zerborstenen Mauerresten herausragte. Entsetzt schrie er auf, räumte fieberhaft mit bloßen Händen Asche und Steine zur Seite.

      Die Hand gehörte seiner Mutter. Anna. Ihre Leiche lag dort, wo sich gestern noch ihre Schlafstatt befunden hatte. Entsetzt sank er auf die Knie und vergrub das Gesicht in den von Ruß und Asche geschwärzten, aufgeschundenen Händen. Ein verzweifelter Schrei löste sich aus seiner Kehle.

      „Mutter!“

      Es gab weder eine Schaufel noch sonst etwas, womit er ein Grab für Anna ausheben konnte. Außerdem befürchtete er, ihre Überreste würden auseinanderfallen, sobald er sie berührte. Also begann er langsam, den Leichnam an Ort und Stelle wieder mit Steinen zu bedecken, und seine Mutter ihrem Frieden zu überlassen. Plötzlich aber stutzte er. Unter den verbrannten Resten ihres Gewandes entdeckte er etwas, das wie eine Münze aussah, die er niemals zuvor gesehen hatte. Sie war mit einer verkohlten Kruste und Asche überzogen. Auch die Männer, die Haus und Hof niedergebrannt und seine Mutter umgebracht hatten, schienen nichts von dem Kleinod bemerkt zu haben. Sie hätten es ihr sonst grob vom Hals gerissen.

      Johannes schaute sich nachdenklich um.

      Es gab doch nichts zu holen bei ihnen! Oder bei den Nachbarn! Nichts, wofür es sich lohnte, Menschen umzubringen, ihr Heim zu brandschatzen. Was waren das nur für Kreaturen, die so etwas taten?

      Er schaute wieder auf die Überreste seiner Mutter hinunter, hätte sie so gerne ein letztes Mal umarmt. Jetzt war sie nur noch ein verbrannter Haufen Fleisch, der übel stank und nichts mehr mit der Frau zu tun hatte, die sie einmal gewesen war.

      Zunächst wollte Johannes der Toten lassen, was ihr im Leben so wichtig gewesen war, dass sie es vor den Augen anderer verborgen gehalten hatte. Dann aber fiel ihm ein, dass er weder Geld noch sonstige Mittel besaß, mit denen er die nächste Zeit überleben konnte. Verkaufen würde er Mühle und Grund auch nicht können, da sich der Vater mit dem Wiederaufbau verschuldet hatte, und Grund und Boden ohnehin dem Stift gehörten. Die Münze würde er vielleicht verkaufen und mit dem Geld überleben können, wenn er Glück hatte. Allerdings wusste er auch, dass er dazu sehr viel Glück brauchte.

      Johannes war auf einem verrußten Balken zusammengesunken und starrte vor sich hin. Er zürnte Bruder Anselm, der seine Hütte ohne Abschied verlassen und ihm somit die Möglichkeit genommen hatte, wenigstens vorübergehend Unterschlupf zu finden. Und Trost.

      Ob Anselm etwas von den bevorstehenden Gräueltaten gewusst und sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte?

      Er war ein Verräter. Ein gottverdammter katholischer Verräter!

      *

      Bruder Anselm lebte seit vielen Jahren als Einsiedler weit oben im Tälchen, dort, wo der Bach nur ein kleines, unruhig hüpfendes Quellbächlein war. Er hatte vor Zeiten die Hütte eines anderen Mönchs bezogen, als dieser in einem der kalten Winter gestorben war.

      Als Johannes eines Abends aus einem der Holzschläge nach Hause kam, in denen er gearbeitet hatte, teilten ihm seine Eltern mit, dass ihn der Mönch in die Lehre nehmen würde.

      Johannes war sprachlos. Auf diese Nachricht war er vollkommen unvorbereitet gewesen.

      „Ich soll bei Bruder Anselm in die Lehre gehen? Was soll mir denn der Alte beibringen?“, fragte er aufgebracht. „Das Beten vielleicht? Habt ihr vergessen, dass er einer von denen ist? Ein Katholischer?“

      Johannes sah Hilfe suchend zum Vater hinüber.

      „Bruder Anselm ist ein besonderer Freund unserer Familie, Johannes, und wir wollen, dass du alles lernst, was er dir beibringen kann. Es gibt keinen Lehrer mehr für uns Protestantische, seit sich der Herr Prädikant aus dem Staub gemacht hat. Du hast deshalb gerade mal zwei Jahre lang die Schulbank gedrückt. Bruder Anselm ist der Beste, den wir uns für dich vorstellen können.“

      „Ich bin viel zu alt für die Schule!“, entrüstete sich Johannes und schaute von seiner Mutter zum Vater. „Ich nütze der Familie doch weitaus mehr, wenn ich mit Vater im Holzschlag arbeite.“

      Aber der machte keine Anstalten, sich mit seinem Sohn weiter über dieses Thema auseinanderzusetzen, und die Mutter schien mit dem Plan einverstanden zu sein. So wagte er nur noch einen kleinen Einwand.

      „Ich


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