Das Awaren-Amulett. Carmen Mayer

Das Awaren-Amulett - Carmen Mayer


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es doch einfach nur Protestanten gewesen.

      Auf der Höhe war bereits der erste Schnee gefallen. Johannes’ Bekleidung und Schuhwerk waren für eine Flucht auf diesem Weg völlig ungeeignet. Zwar schwitzte er vor Anstrengung, aber da sich seine Finger und Zehen bereits nach kurzer Zeit wie erfroren anfühlten, kam er nur mühsam vorwärts.

      Die Schläge der Holzfäller hörte er schon von Weitem. In der Passe im oberen Waldbereich des Baches hatte sein Vater jahrelang gearbeitet, und er selber hatte den Männern auch ein paar Monate lang geholfen. Als er schließlich bei ihnen auftauchte, hielten sie in ihrer Arbeit inne und schauten ihm beunruhigt entgegen.

      Johannes ließ sich erschöpft auf einem der frisch gefällten Baumstämme nieder und erzählte seine Geschichte, während ihm jemand einen Becher mit heißem Wasser reichte.

      Keiner der Männer unterbrach ihn, keiner sagte ein Wort. Alle hörten ihm nur entsetzt zu.

      „Wir haben hier oben nichts davon gemerkt. Die sind auch nicht bei uns durchgekommen. Vielleicht sind sie dem Geseis entlang nach Hieflau gezogen oder über die Berge nach Süden. Nach Graz.“ Der Vorarbeiter legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. „Es tut uns leid, was deiner Familie zugestoßen ist.“

      „Das muss doch ziemlich laut geknallt haben, als das Mehl explodiert ist“, überlegte ein anderer. „Aber bis hierher war nichts zu hören. Oder wir haben nicht darauf geachtet.“

      „Ich hab schon was gehört“, meinte einer. „Hab mir auch überlegt, was das gewesen sein könnte. Aber weil ich mir nicht denken konnte, was es war, hab ich es wieder vergessen.“ Er schüttelte sorgenvoll den Kopf. „Manchmal ist es gut, nicht zu viel zu wissen.“

      „Wer hat das gemacht?“, fragte ein weiterer aus der Gruppe. Johannes konnte nur die Schultern heben.

      „Ich weiß es nicht.“

      „Ich habe schon davon gehört, dass hin und wieder ein paar Söldner aus den bairischen Heeren durch die Seitentäler ziehen, und kleine Bauernhöfe überfallen. Aber dass sie es so schlimm treiben, also davon hab ich bislang noch nichts gehört“, sagte ein anderer. „Und gerade hier, wo die Leute sowieso nichts haben.“

      „Wo willst du jetzt hin?“, fragte ihn der Vorarbeiter und reichte ihm ein Stück Brot und Käse. Johannes nahm es dankbar an. Er hatte seine Vorräte bis auf einen kleinen Rest bereits aufgegessen. Die Flucht über das unwegsame Gebirge hatte seine Kräfte beinahe aufgezehrt.

      „Ursprünglich wollte ich nach Graz, Bruder Anselm suchen“, begann Johannes zögernd.

      „Nach Graz“, echote einer der Männer und schüttelte den Kopf. „In die Stadt! Das ist doch nichts für einen von uns!“

      „Es gibt sonst niemanden, zu dem ich gehen könnte.“

      Die Männer verstanden. Sie selber waren nicht in der Lage, den Sohn eines ihrer ehemaligen Kameraden für längere Zeit in ihren Familien aufzunehmen. Dazu waren sie viel zu arm.

      „Kannst zuerst einmal hierbleiben, wenn du magst“, befand der Vorarbeiter und die übrigen stimmten ihm zu. Er zeigte ein Stück in den Wald, wo Johannes die notdürftig errichteten Hütten der Arbeiter wusste. „Such dir eine aus und leg dich ein wenig aufs Ohr. Wir halten Augen und Ohren offen für den Fall, dass die Dreckskerle sich in unseren Holzschlag wagen.“

      „Danke.“

      Der Junge blieb eine Woche lang bei den Männern und half ihnen bei ihrer schweren Arbeit, so gut er konnte. Er war dankbar, während seines Marsches über die Gebirgskette nicht krank geworden zu sein. Immerhin hatte es geschneit, und sein Schuhwerk war bereits nach kurzer Zeit völlig unbrauchbar geworden. Beinahe barfuß hatte er den steinigen, verschneiten Weg bewältigt. Selbst seine Socken waren inzwischen nicht mehr zu gebrauchen. Einer der Männer flickte notdürftig seine Schuhe, ein anderer gab ihm zwei Socken, die nicht zusammenpassten. Jemand hatte auch ein dickes Wams und warme Beinkleider für ihn aufgetrieben, damit er für die kalte Jahreszeit zumindest ein wenig geschützt war.

      Als eine Gruppe der Männer nach Hieflau zu den Köhlereien aufbrach, begleitete er sie. Seinen Plan, nach Graz zu ziehen und Bruder Anselm zu suchen, hatte er nach langen Gesprächen mit den Holzfällern und aus gutem Grund aufgegeben.

      Blieb noch Linz. Wenn er sich recht besann, lebten dort eine entfernte Verwandte und ein guter Freund von Bruder Anselm, dessen Arbeit er während seiner Zeit mit dem Einsiedler zu schätzen gelernt hatte: Johannes Kepler, sein Namenspate.

      Die Männer ließen ihn nur ungern ziehen, ahnten sie doch, dass ihm kein leichtes Leben bevorstand.

      In Hieflau konnte er durch Fürsprache der Holzhauer kurzfristig Arbeit an einem der Rechen finden, an denen das Holz angeschwemmt wurde, welches man flussaufwärts in die Fluten hatte gleiten lassen. Es wurde zur Verhüttung des Erzes gebraucht, das man seit Menschengedenken ein Stück weiter Richtung Süden aus einem riesigen Eisenerzberg schlug.

      Johannes hatte immer wieder nach den Kerlen gefragt, die sein Elternhaus und die Mühle zerstört und seine Eltern umgebracht hatten. Aber niemand hatte etwas von ihnen gesehen oder gehört.

      „Die werden flussaufwärts gezogen sein“, mutmaßte einer der Köhler, der sich am Abend im Wirtshaus neben ihn gesetzt hatte. „Wenn die vor Admont die Enns überquert haben und Richtung Sankt Gallen weitergezogen sind, find’t man die ned so schnell. Warum fragst nach ihnen? Kannst doch nichts ausrichten bei denen.“

      „Ich will meine Schwester wiederfinden“, erklärte Johannes leise.

      „Deine Schwester?“

      Johannes erzählte ihm, was geschehen war. Der Köhler hörte schweigend zu.

      „Ich konnte sie in den Trümmern der Mühle nicht finden. Vielleicht haben die Mordbrenner sie mitgenommen.“

      „Ja dann musst du in die andere Richtung ziehen“, schlug der Köhler vor. „Richtung Linz. Dort sind die Bairischen untergebracht. Vielleicht waren die das ja und haben sie mit in ihr Quartier genommen. Hier sind die jedenfalls ned durchgekommen.“

      Linz. Für Johannes waren viele Märkte und Städte, die ihm inzwischen genannt worden waren, nur Namen. Er wusste weder, wo sie lagen, noch was er dort sollte. Nur eines wusste er: dass er Arbeit finden musste, eine Unterkunft, die Möglichkeit, mehr über die Bande zu erfahren, die seinen Eltern und die Nachbarn das Leben gekostet hatte. Und vor allem: Elisabeth wiederfinden. Oder zumindest von ihr zu hören.

      „Ist Linz sehr weit von hier entfernt?“, fragte er unsicher.

      Der Köhler lachte.

      „Du kennst dich ned aus in unserem Land“, stellte er fest. „Wenn du von hier aus weiter flussabwärts gehst, kommst nach vier Tagmärschen über Enns nach Linz.“

      „Enns?“

      „Das ist der Ort, an dem unser Fluss in den nächsten mündet. Donau heißt der. Du siehst den Turm und das Schloss von Enns schon von Weitem.“ Er trank einen Schluck aus seinem Becher und rülpste. „Sind inzwischen fast gänzlich katholisch, die beiden Städte Enns und Linz. Die Lutherischen haben dort bislang trotzdem nichts zu befürchten.“ Er machte eine nachdenkliche Pause. „Noch nicht. Der Herberstorff haust in Linz, vergiss das nicht – und der ist unberechenbar. Aber er hält seine Mannen einigermaßen im Zaum. So übel ist der nicht.“

      Daran zweifelte Johannes allerdings aus gutem Grund.

      Der Köhler holte ein Rotztuch aus dem Hosensack und schnäuzte sich ausgiebig. „Bist ein Protestantischer, oder?“

      Johannes zuckte die Schultern.

      „Kannst es ruhig sagen. Hier drin interessiert das keinen. Ich weiß ned, ob du von den Bergknappen in Eisenerz gehört hast?“

      Johannes erinnerte sich daran, dass der Vater von den Männern erzählt hatte, wusste aber nicht mehr so genau, worum es dabei gegangen war.

      „Die haben vor Jahr und Tag versucht, der katholischen Obrigkeit die Stirn zu bieten und protestantisch


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