Immer im Rampenlicht. Bernd R. Hock
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
VORWORT
Vielleicht sterbe ich schon morgen. Vielleicht sogar noch heute. Oder ich eifere Johannes Heesters nach und habe mit meinen fast 53 Jahren gerade mal die Hälfte meiner Lebenszeit erreicht. Möglicherweise liegen die spannendsten und wertvollsten Lebensjahre noch vor mir. Eventuell habe ich sie schon hinter mir gelassen. Ich weiß es nicht.
Fakt ist: Ich habe in dem halben Jahrhundert, in welchem ich auf dieser Weltbühne agiere, ganz schön viel erlebt. Genug für ein Buch. Für dieses Buch. Fakt ist auch, dass meine letzten zehn Lebensmonate enorm wertvoll für mich waren. Auf meiner Lebensstraße habe ich in jüngster Vergangenheit nicht nur durch die Windschutzscheibe nach vorne geblickt, sondern auch intensiv und lange in den Rückspiegel. Habe mich an vieles aus meinem Leben erinnert und es aufgeschrieben. Daraus wurde schnell mehr als ein einfaches Zurückblicken und Notieren. Ich erkannte die Chance, meine Vita genauer unter die Lupe zu nehmen.
Diese Selbstreflexion entwickelte eine Eigendynamik, die für mich immer bedeutungs- und eindrucksvoller wurde. Ich wollte mehr erfahren, wollte die psychischen und seelischen Prozesse, die in mir ablaufen, erkennen und verstehen. Deshalb habe ich mir Zeit genommen, um immer wieder in mein Innerstes, in meine Psyche, in meine Seele hineinzuschauen. Ich tat dies mit der Hoffnung, Antworten zu finden auf zahlreiche Fragen, die mich immer wieder beschäftigen:
• Was macht mich aus?
• Was lässt mich so sein, wie ich bin?
• Warum reagiere ich so, wie ich reagiere?
• Wie viel Übereinstimmung gibt es zwischen dem, was ich rede, und dem, wie ich handle?
• Warum tue ich immer noch so viele Dinge, die mir nicht guttun?
• Was tut mir überhaupt gut?
• Warum fällt es mir manchmal so schwer, zu vertrauen?
• Wem oder was vertraue ich überhaupt?
• Welche verschiedenen Bernds leben in mir und sind wann wie und warum aktiv?
Dabei entwickelte ich das immer stärker werdende Bedürfnis, mein Seelenleben konkreter und deutlicher wahrzunehmen. Deshalb habe ich versucht, es zu personifizieren, eine gängige Methode in der psychotherapeutischen Beratung, die ich auch in meiner Praxis als Heilpraktiker für Psychotherapie anwende.
Was manch einer oder manch einem auf den ersten Blick vielleicht vorkommt wie irgendein komischer spiritueller oder vielleicht sogar okkulter Kram, ist bei genauerem Hinsehen ziemlich sinnvoll. Gerade die Methode, das Seelische in uns zu personifizieren und anzusprechen, ist ja keineswegs neu. Schon König David wandte sie vor etwa 3000 Jahren an, wie wir in den ersten beiden Versen von Psalm 103 nachlesen können:
Lobe den HERRN, meine Seele,
und all mein Inneres seinen heiligen Namen!
Lobe den HERRN, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan!
Der Dichter spricht seine Seele nicht nur an, er ermahnt sie förmlich! Gedankenstopp nennen wir dies heute in der Psychotherapie, und in meiner Tätigkeit als Heilpraktiker für Psychotherapie übe ich dies immer wieder mit Patientinnen und Patienten ein. Wenn wir negativen, destruktiven Gedanken Einhalt gebieten wollen, müssen wir lernen, sie anzusprechen und abzuweisen.
»Nun reiß dich einmal zusammen, Seele! Hör auf, ständig zu jammern und alles düster zu sehen. Erinnere dich lieber einmal daran, was du alles Gutes erlebt hast, daran, was Gott dir Gutes getan hat!«, ruft David sinngemäß aus.
Auch ich möchte mich daran erinnern, was Gott mir Gutes getan hat, und mein Seelenleben besser kennenlernen. Damit sich mir alles besser erschließt, habe ich diese inneren seelischen Prägungen und Schutzmechanismen in einem »inneren Wächter« zusammengefasst und mich in Gedanken mehrfach mit ihm getroffen und unterhalten. Immer wieder habe ich so eine Reise in mein Innerstes unternommen. Diese Reisen wurden zu einem intensiven Nachdenken über mich selbst und über mein bisheriges Leben.
Dies half mir, zu erkennen, wie viel Unnötiges und Unsinniges sich über die Jahre in meinem Inneren angesammelt hat. Lebenslügen konnten sich nicht mehr länger verschleiern und Wahrheiten fingen an, neu zu glänzen. Auch entwickelte sich diese Form der Selbstreflexion immer mehr zu einem »Glauben-TÜV«, der dringend fällig war. Wie stand, wie steht es um mich als überzeugter Christ? Wie viel ist noch echt und authentisch und wie viel hat die geistliche Routine über die Jahre in Automatismen verwandelt?
Dies alles hat mir enorm geholfen und vielleicht können auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, etwas davon profitieren.
Vor allem aber erzähle ich in diesem Buch aus meinem Leben, von vielen schönen Begebenheiten und auch manchen weniger schönen. Bestimmt können Sie an manchen Stellen über meine Erlebnisse als behinderter Mensch herzlich lachen. Bitte tun Sie dies auch!
Applaudieren müssen Sie beim Lesen jedoch nicht. Es sei denn, wir treffen uns einmal bei einer öffentlichen Lesung. Dort freue ich mich selbstverständlich über Ihren Beifall, denn da bin ich ja wieder – mitten im Rampenlicht!
Bernd R. Hock
Im August 2020
1
BÜHNE FREI FÜR MEIN ERSTES MAL
»Ist es dein erstes Mal?«, fragt sie mich und holt ihre Maske aus der Plastiktüte. Sie wartet keine Antwort ab: »Das muss klappen hier, hörst du?! Du darfst nicht versagen, darfst dir keine Fehler erlauben. Die da draußen sind gnadenlos!«
Ich nicke – ungewohnt schüchtern.
»Ist das deine komplette Verkleidung oder ziehst du dich noch um?«, fragt sie weiter und mustert mich dabei von oben bis unten. Verunsichert betrachte ich mich im Spiegel. Ich trage das, was ich immer trage, weil es bequem und trotz meiner Körperbehinderung – meinen kurzen Armen, krummen Händen und den wenigen kleinen, deformierten Fingern – selbstständig für mich handelbar ist: Schuhe, Socken, eine dunkelblaue Jogginghose und ein rotes Sweatshirt. Ganz wichtig: ein Sweatshirt ohne Bündchen am unteren Ende. Bündchen sind etwas ganz Schreckliches für Menschen mit kurzen Armen! Sie verhindern nämlich, dass das Kleidungsstück von alleine, also nur von der Erdanziehungskraft geleitet, am Körper hinuntergleitet. Pullover mit Bündchen müssen heruntergezogen werden. Dazu braucht man eigene lange Arme oder freundliche Helfer. Mit meinem roten bündchen-freien Sweatshirt kann ich beides entbehren. Das ist Freiheit!
Corinna zieht ihre Latex-Maske über den Kopf. Ihre Stimme klingt nun gedämpft: »Mit so einer Maske auf dem Kopf bist du ganz weit vorne, musst aber auch echt Profi sein. Du musst ganz konzentriert atmen, sonst kippst du aus den Latschen, weil dir die Luft ausgeht!«
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich habe Corinna vor circa einer Stunde kennengelernt. Wir teilen uns eine Garderobe im Backstage-Bereich, denn wir haben beide heute Abend im Rahmen einer großen Faschingsveranstaltung einen Auftritt.
»Jetzt sieht sie saudämlich aus in diesem Hühnchen-Kostüm«, denke ich. Auch die Hühnerkopf-Latexmaske reißt es nicht raus. Wie »Bibo« aus der Sesamstraße in billig! Ich finde es gar nicht witzig, sondern einfach nur peinlich.
»Na? Wie findest du mich in dem Kostüm!«, fragt sie, tänzelt mit riesigen Hühnerfüßen aus Gummi um mich herum und wackelt mit ihrem auffälligen Kunstfeder-Hintern.
»Richtig gut! Total lustig! Das wird bestimmt der Brüller, wenn du gleich auf die Bühne gehst!«, lüge ich.
»Als